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IAA: Über den Durst

Niedriger Spritverbrauch ist ein gutes Verkaufsargument. Doch die Angaben stimmen nicht. Die Autos schlucken deutlich mehr.

Berlin/München - Auf der Internationalen Autoausstellung (IAA) bestaunt das Publikum seit diesem Wochenende nicht nur neue Autos. Statt mit PS und Beschleunigungswerten zu werben, plakatieren die Autobauer auch großformatig beeindruckende Kohlendioxid (CO2)- und Spritverbrauchswerte ihrer neuen Fahrzeuge. Die Freude am Fahren wandelt sich zur Freunde am Sparen.

Wer allerdings einen Neuwagen kauft, erlebt oft sein blaues Wunder: Das Auto verbraucht meist deutlich mehr als vom Hersteller angegeben. Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer und Eva Maria John vom Ökoglobe-Institut der Universität Duisburg-Essen kommen in einer Untersuchung für das Münchner Ifo-Institut zu der Erkenntnis, dass Autos unter realitätsnahen Bedingungen im Schnitt 27 Prozent mehr Sprit schlucken und Schadstoffe ausstoßen als angegeben. Umweltverbände wie die Deutsche Umwelthilfe (DUH) ziehen gegen die Verbrauchsangaben einiger Hersteller inzwischen juristisch zu Felde. So verklagte die DUH kürzlich VW wegen einer irreführenden Werbeanzeige für den neuen Golf GTD.

Die Duisburger Autoforscher kritisieren, die Hersteller träten mit ihren Verbrauchsangaben den Verbraucherschutz mit Füßen. Außerdem würden Innovationen verhindert. „Damit wird das von der EU-Kommission verfolgte Ziel, dass Neuwagen ab 2015 im Schnitt nur noch 130 Gramm CO2 ausstoßen sollen, Makulatur“, rügen die Experten. Sie rechnen hoch: Aus 130 Gramm auf dem Papier würden realistisch gesehen 188 Gramm pro Kilometer.

Besonders schlecht schnitt in den Vergleichen von Ökoglobe ein VW Tiguan 1.4 TSI ab, der laut Prospekt 8,3 Liter Super auf 100 Kilometern verbraucht. Realitätsnahe Tests ergaben Werte von 13,4 Litern – gut 60 Prozent mehr als angegeben. Insgesamt, so die Untersuchung, seien von 188 untersuchten Fahrzeugen nur vier sparsamer gewesen als versprochen: zwei nicht eben als Sparmobile bekannte Aston Martin, ein Bentley und ein Ferrari.

Weil der Verbrauch und damit der CO2-Ausstoß seit dem 1. Juli in die Berechnung der Kfz-Steuer einfließt, entgehen dem Fiskus durch ungenaue Herstellerangaben Einnahmen in dreistelliger Millionenhöhe, hat die DUH berechnet. Würde richtig gerechnet, kämen auf den einzelnen Vielfahrer pro Jahr Mehrkosten von 1000 Euro oder mehr zu. „Das ist systematische Verbrauchertäuschung“, findet DUH-Chef Jürgen Resch.

Die Autoindustrie widerspricht. Sie argumentiert, dass das vom europäischen Gesetzgeber vorgeschriebene Messverfahren „nicht das Ziel hat, alle realen Fahrzustände abzubilden“. Es gehe vielmehr darum, mit einem einheitlichen Standard die Entwicklung von Verbrauchswerten für verschiedene Fahrzeuge vergleichbar zu machen. Es sei nicht überraschend, dass es „je nach individuellem Fahrverhalten im Alltag auch zu Abweichungen kommen“ könne.

Die Werksangaben zum Spritverbrauch werden im sogenannten Nefz- Test ermittelt, dem „Neuen Europäischen Fahr-Zyklus“. Diesen gibt es in seiner jetzigen Form seit 1996. Dabei rollen Autos mit maximal 120 Kilometern pro Stunde auf einem Prüfstand, bei für Motoren idealen Temperaturen, ausgeschalteten Stromfressern wie Klimaanlage oder Sitzheizung und ohne das Stop-and-go des Straßenverkehrs. Auch auf Extras nimmt der Test keine Rücksicht. Sie erhöhen nicht nur den Komfort eines Autos, sondern auch dessen Gewicht und damit den Verbrauch, stellt Ökoglobe klar. 100 Kilogramm schlügen im Schnitt mit 0,4 Liter pro 100 Kilometer zu Buche. Die DUH bemängelt zudem, dass viele Autohersteller den Nefz-Test zusätzlich „kreativ auslegen“. Mit Leichtlaufölen oder erhöhtem Reifendruck werde der Rollwiderstand und damit der Spritverbrauch irreführend gemindert. Laut Automobilverband VDA „eine negative Legendenbildung“.

Auch der ADAC ist mit dem Nefz-Verfahren nicht glücklich. Zwar hätten auch Autofahrer mit einer entsprechenden Fahrweise Einfluss auf den Spritverbrauch. „Die Fahrweise erhöht oder senkt den Spritverbrauch um bis zu 30 Prozent“, sagt ADAC-Experte Andreas Maurer und wirbt für defensives Fahren. Die Angaben der Hersteller entlarvt der ADAC-eigene Ecotest aber ebenfalls als schönen Schein. „Sie werden garantiert mehr verbrauchen“, sagt Maurer.

Da der werkseitige Testverlauf fest definiert ist, sei es für die Hersteller technisch kein Problem, ein Fahrzeug daraufhin zu optimieren, warnen Dudenhöffer und John. „Der Test verzerrt systematisch.“ Kein Wunder, sei die realitätsferne und industriefreundliche Nefz- Richtlinie doch seinerzeit vom EU-Kommissar für Industriepolitik, Martin Bangemann, eingebracht worden – nicht vom Verbraucher- oder Umweltkommissar. Dass es anders gehe, zeigten die USA. Der dortige Verbrauchstest mit dem Kürzel FTP 75 bilde eine reale Fahrt ab.

Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) und die Verbraucherzentralen bekräftigten in dieser Woche auf der IAA ihre Forderung nach einer neuen, transparenten Kennzeichnung von Neuwagen. Nach dem Vorbild der Etikettierung von Kühlschränken sollten die Autohersteller ihre Fahrzeuge kennzeichnen. Dann könnten Käufer auf einen Blick erkennen, wie sauber und sparsam ein Auto sei.

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