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Flagschiff auf Schienen. Siemens-Techniker erledigten am Mittwoch im Krefelder Werk letzte Handgriffe am neuen ICE 3.

© ddp

ICE 3: Abschied vom Prinzip Banane

Die Bremse war Schuld. Oder die Toilette. Oder der Bordcomputer. Die Achsen erwiesen sich als brüchig, die Kupplung als morsch, die Elektrik kapitulierte bei Schneefall. Zuletzt ging sogar eine Tür während der Fahrt verloren. Die Bahn will der Industrie bei der Herstellung der Züge künftig stärker auf die Finger schauen

Eigentlich gibt es wenige Teile, die beim vermeintlichen Superzug ICE 3 nicht irgendwann einmal ihren Dienst versagt haben. Die Folgen für die Fahrgäste waren meist gravierend: Züge fuhren zu spät, waren zu kurz oder fielen ganz aus.

Doch trotz der Pannenserie hat die Bahn weitere ICE-Exemplare beim Hersteller Siemens geordert. Bei den neuen Zügen will der Staatskonzern aber keine Ausfälle mehr dulden. „Wir sind sehr zuversichtlich, dass Siemens aus den Problemen der Vergangenheit gelernt hat“, sagte Volker Kefer, der Technikvorstand des Staatsunternehmens, höflich, aber bestimmt am Mittwoch in Krefeld in Richtung des Elektrokonzerns. Schließlich sei der Zug das „Flaggschiff“ der Bahn, sagte der Vorstand. Obendrein, fügte er vielsagend hinzu, werde man in den kommenden fünf Jahren bis zu neun Milliarden Euro in neue Züge investieren.

Kefer präsentierte zum ersten Mal die neue Version des ICE 3, der ab Ende 2011 im internationalen Verkehr in Europa fahren soll, vor allem in Richtung Frankreich. 15 Exemplare, Stückpreis 30 Millionen Euro, hat die Bahn geordert. Um in Belgien und Frankreich fahren zu können, mussten sie mit viel Aufwand für die verschiedenen Signal- und Stromsysteme ausgerüstet werden. Sie sind eine Weiterentwicklung des Siemens-Schnellzugs Velaro, der bereits durch China, Spanien und Russland düst. Insgesamt hat Siemens bereits 200 dieser Züge verkauft. Optisch unterscheiden sie sich vom ICE 3 nur in Details.

Für die Bahn geht es um viel: Sie will endlich der Pannenserie der vergangenen Monate ein Ende setzen, die ihren Ruf als sicheres Verkehrsmittel ankratzte. Zudem plant sie in den kommenden Jahren eine starke Expansion im europäischen Fernverkehr – das funktioniert nur, wenn das Material nicht ständig ausfällt. „Die Zuverlässigkeit ist ein zentrales Thema“, unterstrich Kefer. Dazu wollen die Experten des Konzerns der Industrie stärker auf die Finger schauen. „Das Prinzip Banane – das Produkt reift beim Kunden – wird es in Zukunft mit uns nicht mehr geben“, polterte ein Vorstand kürzlich. Bereits bei der Konstruktion schreibt die Bahn nun den Ingenieuren detailliert vor, was sie erwartet. „Wenn man bei der Konstruktion etwas ändert, ist es viel billiger als erst bei der Herstellung oder gar bei der Endabnahme“, sagte Kefer. Dieses Prinzip soll mehr Qualität und zugleich niedrigere Kosten bringen. Allerdings wolle man nicht zurück zu Bundesbahn-Zeiten – damals entwarfen die Konstrukteure das Material im Alleingang und ließen es von der Industrie nur noch zusammenschrauben.

Dabei gehen die Startschwierigkeiten beim ICE 3 seit der Inbetriebnahme im Jahr 2000 darauf zurück, dass dieses Prinzip geändert wurde. Siemens, Bombardier und Alstom, die Großen der Branche, befehden sich üblicherweise. Dann sollten sie damals in einem Konsortium zusammenarbeiten – doch die verschiedenen Prozesse und Systeme vertrugen sich nicht. Mitunter meldete der Bordcomputer des Zuges mehrere hundert Fehler an einem Tag. Deshalb ist Siemens nun froh, alleine die Verantwortung zu tragen.

Technisch sei der neue ICE ein Fortschritt, erklärte Hans-Jörg Grundmann, Chef der Siemens-Verkehrssparte Mobility. Spoiler bringen eine um fast ein Zehntel bessere Aerodynamik, dadurch sinken Energieverbrauch und Lärm. Durch eine bessere Raumausnutzung ist Platz für 460 statt 420 Fahrgäste, der Zug schafft Tempo 320. Schon bald soll das erste Exemplar auf die Teststrecke rollen. Das zuletzt wichtigste Problem, die Achsen, soll bei den neuen Zügen gelöst sein – sie werden üppiger dimensioniert, ebenso wie demnächst alle Achsen der bereits ausgelieferten ICE-3-Züge.

Im Werk in Krefeld soll bald jeden Monat ein Zug fertig werden. Die 2000 Beschäftigten müssen Präzisionsarbeit leisten. Bei Wagenkästen von mehr als 25 Metern Länge gibt es eine Toleranz von nur einem halben Millimeter. „Die Produktion läuft auf Hochtouren“, sagt Grundmann. Allerdings verlieren sich erstaunlich wenige Monteure in den großen Hallen.

Siemens macht auch deshalb gut Wetter, weil der Konzern auf einen neuen Bahn-Auftrag von immenser Größe hofft. Mitte des Jahres sollen die Verträge für den ICX unterzeichnet werden, die Nachfolgegeneration für die veralteten IC- und ICE-Züge der ersten beiden Generationen. Derzeit verhandeln die Bahn und Siemens über Ausstattung und Kosten. Es geht um sechs Milliarden Euro, die größte Bestellung in der Bahn-Geschichte. „Wir sind noch nicht durch“, hieß es am Mittwoch dazu. Dass die Verhandlungen noch scheitern, schließen beide Seiten aber aus. Siemens hofft auf Folgeaufträge für diesen Zugtyp aus aller Welt. Wenn die Fertigung beginne, würden auch Berliner Zulieferer davon profitieren, hieß es bei dem Elektrokonzern.

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