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Wirtschaft: IG Farben bekundet Willen zur Entschädigung

FRANKFURT (MAIN) (ro).Fast wäre es die letzte Hauptversammlung der IG Farben in Abwicklung gewesen.

FRANKFURT (MAIN) (ro).Fast wäre es die letzte Hauptversammlung der IG Farben in Abwicklung gewesen.Nicht etwa weil die Aktionäre nach über 50 Jahren endlich eingesehen hätten, daß die Zeit für das tief in die Verbrechen der Nationalsozialisten verstrickte Unternehmen längst vorbei ist und die Opfer entschädigt werden müssen.Grund war vielmehr der drohende Konkurs der Gesellschaft, den die beiden Liquidatoren Volker Pollehn und Otto Bernhardt erst in letzter Sekunde abwenden konnten."Die Gesellschaft war bar jeder Liquidität.Es konnten weder Gehälter und Miete noch Telefon bezahlt werden", räumte Pollehn gestern auf der Hauptversammlung in Frankfurt ein.Irgendwie haben es die beiden Manager aber geschafft, die Finanzen zu sichern.Und im Unterschied zu vergangenen Hauptversammlungen gab es diesmal ein Novum: Zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern soll eine Stiftung eingerichtet werden.Die Aktionäre stimmten dem Vorschlag zu.

Zu Ende ist die Geschichte von IG Farben damit aber nicht.Ein Ende ist nicht einmal in Konturen absehbar, denn auch die neuen Liquidatoren halten an Ansprüchen auf angebliches Ostvermögen fest - obwohl ihre Vorgänger bis hin zu den höchsten Gerichten deutliche Abfuhren erhalten hatten.

So wird sich das bei Hauptversammlungen der IG Farben schon traditionelle Schauspiel auch in den nächsten Jahren wiederholen.Vor dem Versammlungsort - diesmal die Stadthalle im Frankfurter Vorort Bergen-Enkheim - versammeln sich Demonstranten, die gegen die "Blutfirma" protestieren, ihr Ende und Entschädigung für die Opfer fordern.Die Polizei sperrt das Gelände weiträumig ab, mitunter kommt es zu mehr oder weniger heftigem Gerangel.Drinnen im Versammlungssaal streiten sich Aufsichtsrat, Liquidatoren und uneinsichtige Aktionäre mit Kritikern und ehemaligen Zwangsarbeitern, die auch in diesem Jahr wieder die sofortige Auflösung und die Einrichtung einer Stiftung zur Entschädigung der Zwangsarbeiter fordern.Zwischendrin wirft jemand eine Stinkbombe, Ordnungskräfte zerren sechs Aktionäre aus dem Saal.

Dann wird weitergetagt.Pollehn und Bernhardt erläuterten den nicht einmal 100 Aktionären die Lage des Unternehmens, im Geschäftsjahr 1997 wohlgemerkt.Was 1998 war, weiß noch keiner so genau.Die Lage ist eher desolat.Faktisch ist die IG Farben, die Ansprüche und Forderungen aus der Nazi-Zeit abwickelt, ein Immobilienunternehmen, dem zwei Wohnhäuser mit 483 Wohnungen und eine knapp 7700 Quadratmeter große Gewerbeimmobilie gehören.Eigentlich sollen diese stattliche Gewinne abwerfen, damit die IG Farben ihre Kosten tragen, zahlreichen Prozesse führen, den Aktionären eine Dividende zahlen und ehemalige Zwangsarbeitern entschädigen kann.1997 brachte das eingesetzte Kapital - knapp 28 Mill.DM - gerade einmal 237 000 DM Gewinn.Ob die Immobilien überhaupt noch dieses Geld wert sind, ist unwahrscheinlich.Außerdem sind Bankkredite, wie Pollehn sagt, nicht ordnungsgemäß finanziert.Die Wohnungen jedenfalls werden nicht instandgehalten, es gibt Mietausfälle.

Die beiden Liquidatoren schlagen moderatere Töne als ihre Vorgänger an.Pollehn bekundet Verständnis für die Forderungen der ehemaligen Zwangsarbeiter."Niemand - am allerwenigsten das Restvermögen von IG Farben - kann sich seiner historischen Verantwortung entziehen.Ob es uns gefällt oder nicht: IG Farben ist und bleibt das Negativsymbol schlechthin für die Zusammenarbeit der deutschen Industrie mit den Nationalsozialisten."

Und trotzdem werden und wollen auch Pollehn und Bernhardt das Kapitel IG Farben nicht so schnell schließen.Sie vermuten Unregelmäßigkeiten bei ihren Vorgängern, die möglicherweise in Klagen münden.Sie halten an Ansprüchen auf angebliches Ostvermögen fest, sie fordern von der Schweizer Großbank UBS 4,4 Mrd.DM ein, die dieser angeblich zu Unrecht aus dem Vermögen einer Auslandstochter der IG Farben zugeflossen sind.Dies alles, ließ auch Henry Mathews von den Kritischen Aktionären am Rande der Hauptversammlung durchbliêken, wird jahrelange Prozesse nach sich ziehen.Ob am Ende überhaupt etwas für Aktionäre und Zwangsarbeiter übrig bleibt, ist höchst fraglich.

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