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Eric Schweitzer

© dapd

IHK-Präsident Eric Schweitzer: "Arm und sexy – das ist vorbei"

Die steigende Wirtschaftskraft Berlins schafft auch Ungleichgewichte, warnt IHK-Präsident Eric Schweitzer. Im Interview spricht er außerdem über Ex-Wirtschaftssenatorin von Obernitz, über Klaus Wowereit und über die Berliner Start-up-Szene.

Herr Schweitzer, wie finden Sie es, dass bald eine langjährige Pharma-Lobbyistin die Wirtschaftspolitik Berlins bestimmt?

Ich finde es gut, dass wir eine Wirtschaftssenatorin mit wirtschaftlichem Berufshintergrund bekommen. Es muss zwischen Politik und Wirtschaft gewechselt werden können. Bei Gewerkschaften und anderen politikberatenden Bereichen wird es schließlich auch nie als Problem wahrgenommen, wenn deren Mitarbeiter politische Ämter übernehmen. An offenem, transparentem Lobbyismus habe ich überhaupt nichts auszusetzen, im Gegenteil: Im Sinne einer Politikberatung erfüllt er eine wichtige gesellschaftliche Funktion.

Frau Yzer wird auch für Forschung zuständig sein und kommt vom Verband forschender Arzneimittelhersteller.

Wir dürfen keine Berufsverbote verhängen. Sie ist bei dem Verband schon im vergangenen Jahr ausgeschieden. Und ihr Hintergrund ist sogar ein Vorteil. Sie kennt die wichtige Bedeutung der Wissenschaft und Forschung für die Wirtschaft sehr genau, das kann in Berlin nur nützlich sein. Hier werden 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Wissenschaft ausgegeben, damit liegen wir auf dem zweiten Platz hinter Baden-Württemberg. Diese Investitionen sind die Basis für eine bessere wirtschaftliche Entwicklung und schaffen in den Unternehmen zukunftsfähige Arbeitsplätze.

Was ist die wichtigste Aufgabe der neuen Senatorin?

Wir sollten der neuen Senatorin zunächst mal Gelegenheit gegeben, sich einen Überblick über die Berliner Wirtschaft zu verschaffen. In ihrer ersten Pressekonferenz hat sie sich ja eine bessere Position der Berliner Wirtschaft im Bundesdurchschnitt zum Ziel gesetzt. Das unterstütze ich. Wir haben immer noch einen Rückstand in der Wirtschaftsleistung aufzuholen. Von 2005 bis 2011 ist die Berliner Wirtschaft um fünfzehn Prozent gewachsen, im Bund waren es im gleichen Zeitraum neun Prozent. Das muss so weitergehen, denn mehr Wachstum führt zu mehr Beschäftigung und höherem verfügbarem Einkommen für die Menschen.

Gerade hat die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft Berlin zwar in Sachen Dynamik sehr gelobt, aber beim wirtschaftlichen Niveau war es wieder nur der letzte Platz unter den Bundesländern.

Ursache hierfür ist, dass wir nach wie vor die höchste Arbeitslosenquote haben. Das wird sich ändern durch die steigende Wirtschaftskraft. Hierfür wird zwar noch einige Zeit benötigt – die Dynamik zeigt aber, dass wir auf einem guten Weg sind.

Frau von Obernitz hatte als Wirtschaftssenatorin gerade damit begonnen, die Wirtschaftsförderung umzubauen. Berlin Partner und Technologiestiftung Berlin sollen zusammengelegt werden. Reicht das?

Der Schritt ist auf jeden Fall nachhaltig, richtig und gut. Die Technologiestiftung ist im übertragenen Sinne für die Produktion verantwortlich, um wissenschaftliche Exzellenz herauszufinden, die in unternehmerische Wertschöpfung in Berlin umgesetzt werden kann, Berlin Partner ist für den Vertrieb verantwortlich. Kein Unternehmen würde daraus zwei getrennte Gesellschaften machen. Deswegen haben wir die Zusammenführung schon lange gefordert.

Wenn man bei dem Vergleich bleibt, gibt es zwei weitere Abteilungen, nämlich die Tourismusförderung Visit Berlin, die ebenfalls Vertriebsaufgaben hat, und die Investitionsbank Berlin als Finanzabteilung. Muss das alles enger zusammengeführt werden?

Zwischen den Aufgaben von Visit Berlin und Berlin Partner gibt es kaum Überschneidungen. Die IBB ist eine Bank. Die Struktur der Wirtschaftsförderung sollte nicht noch weiter verändert werden. Man gewinnt nichts, wenn man Tourismus und Forschung in einer Gesellschaft zusammenführt.

Frau von Obernitz hat in der Sache richtige Entscheidungen getroffen.

Frau von Obernitz war in den neun Monaten ihrer Amtszeit mit starkem Gegenwind auch aus der Wirtschaft konfrontiert. Wird das bei Frau Yzer anders sein?

Frau von Obernitz hat in der Sache richtige Entscheidungen getroffen. Aber in der Politik sind Dinge nicht automatisch gut, wenn sie der Sache nach richtig sind. In der Politik zählen Mehrheiten und man muss seine Entscheidungen vermitteln. Frau Yzer kennt den politischen Betrieb sehr gut, deswegen bin ich zuversichtlich, dass sie eine erfolgreiche Wirtschaftssenatorin sein kann.

Haben vielleicht auch Sie unterschätzt, was das Amt bedeutet?

Warum ich?

Sie haben sich doch für Frau von Obernitz stark gemacht.

Wir hatten ihre Berufung begrüßt, das ist richtig – die IHK benennt aber keine Senatoren. Menschen entwickeln sich im Amt, in die eine wie in die andere Richtung. Harald Wolf war zum Beispiel nie ein begnadeter Kommunikator und trotzdem ein guter Wirtschaftssenator.

Die Start-up-Szene ist wieder ein großes Thema in Berlin. Wie kann daraus ein dauerhafter Wirtschaftsfaktor werden?

Im IT-Bereich stehen wir weltweit auf Platz vier: nach dem Silicon Valley, Tel Aviv und Singapur. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Zum einen ist Berlin eine sehr attraktive Stadt für Kreative, Intellektuelle und Wissenschaftler. Da sollte man durchaus noch mehr tun. Zum Beispiel gehen nur fünf Prozent der Kulturmittel in die freie Szene und 95 Prozent in die Hochkultur. Es ist aber gerade nicht nur die Hochkultur, die Berlin zu einer so anziehenden Stadt macht. Der andere Punkt ist: Inzwischen ist Berlin auch für Unternehmer und Investoren interessant geworden. Arm und sexy – das ist vorbei. Dafür haben wir viel gearbeitet. Aber es entstehen dabei auch Ungleichgewichte.

Was meinen Sie?

Eine steigende Wirtschaftskraft ist mit steigenden Einkommen, Mieten und Immobilienpreisen verbunden. Um dabei die freie Kulturszene trotzdem in der Stadt zu halten, brauchen wir hier Angebote.

Sie machen jetzt in Kultur?

Natürlich! Die zahlreichen Unternehmen der Kreativwirtschaft sind auch unsere Mitgliedsbetriebe. Subventionierte Mieten darf und soll es geben. Solange das transparent und nach festgelegten Kriterien abläuft.

Sie sind gerade als IHK-Präsident bestätigt worden. Haben Sie die Meuterei, wie es eine Zeitung nannte, also überstanden?

Welche Meuterei? Einzelne Mitglieder haben eine mediale Präsenz gesucht, die mit der tatsächlichen Stimmung in der Berliner Wirtschaft nichts zu tun hat. Ich bin – trotz eines Gegenkandidaten – mit 88 Prozent der Stimmen wiedergewählt worden. Das ist ein starker Vertrauensbeweis. Dabei besteht die Vollversammlung der IHK zu zwei Dritteln aus neuen Mitgliedern, und zu 90 Prozent vertreten sie kleine und mittlere Unternehmen.

Haben Ihre Gegner Punkte formuliert, die Sie nachvollziehen können?

Ich kenne keine inhaltlichen Punkte, die formuliert worden sind. Für völlig falsch hielte ich es aber, die Pflichtmitgliedschaft abzuschaffen. Weil es sie gibt, bestimmen mittelständische Unternehmen und nicht große Konzerne die Kammern. Jedes Unternehmen hat eine Stimme, unabhängig von der Höhe des Beitrags. Wir sind eine gelebte Solidargemeinschaft. Der größere Teil unserer Mitglieder ist ganz von Beitragszahlungen befreit. Ohnehin hätten nicht wir, sondern die Abgeordneten des Bundestags über die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft zu entscheiden.

Ihre Position ist dort Mehrheitsmeinung?

Davon gehe ich aus. Bisher gab es in keiner Regierungskonstellation Bestrebungen, die Pflichtmitgliedschaft abzuschaffen. Die Parteien wissen sehr genau, dass der Staat dann neue Aufgaben zu übernehmen hätte, die bisher die Selbstorganisation der Wirtschaft sehr gut erfüllt. Das würde auf jeden Fall teurer und bestimmt nicht besser.

"Ich bin aus tiefer Überzeugung Unternehmer"

Sie sind als Nachfolger von Hans Heinrich Driftmann als DIHK-Präsident im Gespräch. Streben Sie das Amt an?

Herr Driftmann, den ich ausgesprochen schätze, hat erklärt, dass er nicht noch einmal antritt und Mitte November bei der nächsten Vollversammlung einen Nachfolger vorschlagen wird. Damit ich das Amt übernähme, müssten also drei Dinge an einem Tag eintreten: Herr Driftmann müsste mich vorschlagen, ich müsste auch wollen, und die Vollversammlung müsste mich wählen. Wenn alle drei Dinge eintreten, wird es passieren. Wenn nicht, dann nicht.

Normalerweise wird der Kandidat, den der scheidende Präsident vorschlägt, auch gewählt. Bleiben also zwei Punkte. Noch mal die Frage: Streben Sie das Amt an?

Ob Herr Driftmann mich vorschlägt, weiß ich nicht. Die Frage steht also noch nicht an. Ich habe mich auch wirklich noch nicht entschieden, ob ich wollen würde. Klar ist: Ich bin aus tiefer Überzeugung Unternehmer, und das hat für mich immer Priorität. Mir ist meine Unabhängigkeit sehr wichtig, die materielle wie die geistige. Mit diesem Amt käme eine erhebliche zusätzliche zeitliche Belastung auf mich zu. Der DIHK ist eine sehr ehrwürdige Institution, die eine gefragte Stimme in der deutschen und europäischen Politik ist.

Im Moment geht es dort vor allem um den Euro. Wie bewerten Sie es, dass die EZB Anleihen überschuldeter Euro-Staaten in unbegrenzter Höhe ankaufen will?

Als Berliner IHK-Präsident bin ich bei dem Thema nicht gefragt, sondern der DIHK als Bundesverband. Meine ganz normale Meinung als Zeitungsleser möchte ich hier nicht verbreiten.

Sie gelten in der IHK-Landschaft als junger Reformer. Was für Reformbedarf gibt es denn beim DIHK?

Vielen Dank, dass Sie mich mit 47 Jahren für jung halten. Es ist leider immer seltener der Fall, dass dies passiert. Ich finde, dass der DIHK eine hervorragende Arbeit macht – wie jede einzelne Kammer in Deutschland auch. Deutschland hat durch die duale Berufsausbildung, die von den Kammern maßgeblich verantwortet und geprägt wird, mit die geringste Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Hier schauen andere Nationen mit Neid auf uns.

Dass Sie sich nicht überlegen, wie Sie das Amt gestalten würden, kann ich mir nicht vorstellen.

Was soll ich dazu sagen?

Anderes Thema: Sie selbst sind Aufsichtsratsvorsitzender, nämlich bei Alba SE. Was ist das Wichtigste, was ein Aufsichtsratsvorsitzender leisten muss?

Ich nehme mal an, dass diese Frage auf den Flughafen BER zielt.

Genau.

Als Aufsichtsratsvorsitzender ist man nicht für das operative Geschäft verantwortlich, sondern die Geschäftsführung oder der Vorstand. Das liegt schon am unterschiedlichen zeitlichen Aufwand. Wichtig ist, dass der Aufsichtsrat von der Geschäftsführung jederzeit umfassend und korrekt informiert wird.

Jetzt bitte konkret. Hat Klaus Wowereit seine Pflichten als Aufsichtsratsvorsitzender erfüllt? Und hat er richtig gehandelt, als klar wurde, dass der Eröffnungstermin Juni 2012 nicht zu halten war?

Ich kenne Herrn Wowereit inzwischen gut. Es gab Höhen und Tiefen in unserer Beziehung, aber eines war immer gleich: Er kümmert sich intensiv um die Themen, er geht sehr gut vorbereitet in die Sitzungen und er findet sehr schnell die wunden Punkte. Als der Eröffnungstermin im Mai abgesagt wurde, hat er sich sofort und intensiv auf die Suche nach den Ursachen gemacht und die richtigen Konsequenzen gezogen.

Sie stellen sich uneingeschränkt vor Klaus Wowereit?

Herr Wowereit hat meinen Schutz nicht nötig, das wäre vermessen. Aus meiner unternehmerischen Erfahrung komme ich zu dem Schluss, dass er getan hat, was zu tun war. Man sollte Klaus Wowereit nicht unterstellen, dass er gegen die Interessen des Landes Berlin agiert hat. Er wird auf seine Fragen plausible Antworten bekommen haben. Ein Aufsichtsrat darf gegenüber einer Geschäftsführung auch nicht ständig bösgläubig sein, weil ansonsten eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht möglich ist. Vielleicht hätte man den neuen Eröffnungstermin erst mal offen lassen sollen. So haben wir jetzt binnen weniger Wochen zwei Verschiebungen, das war etwas unglücklich.

Klaus Wowereit trägt insgesamt die politische Verantwortung?

Natürlich tut er das, genau wie Matthias Platzeck, der als Ministerpräsident den Gesellschafter Brandenburg vertritt, sowie die Vertreter der Bundesregierung im Aufsichtsrat. Aber: Klaus Wowereit trägt keine persönliche Schuld, und er hat als Aufsichtsratsvorsitzender, soweit ich das beurteilen kann, keine entscheidenden Fehler gemacht.

Vorhin haben Sie gesagt, zwischen Politik und Wirtschaft müsse gewechselt werden können. Gilt das auch für Sie?

Ich schließe für mich einen hauptberuflichen Wechsel in die Politik aus. Ich habe großen Respekt davor, was Politiker jeden Tag leisten. Sie stehen stark unter öffentlicher Beobachtung, können jederzeit entlassen werden und werden vergleichsweise schlecht bezahlt. Ich wäre kein guter Politiker. In der Wirtschaft entscheiden Sie nach rationalen Gesichtspunkten, in der Politik nach Mehrheiten - das ist das nicht immer das Gleiche.

Bei der IHK und beim DIHK ist das vermutlich ähnlich.

Das sind Ehrenämter. Gesellschaftliche Verantwortung endet nicht mit der individuellen Steuerzahlung. Damit ist mein Beitrag für die Allgemeinheit noch nicht erbracht, finde ich. Unserer Stadt fehlt es an Wirtschaftskraft, und ich kann dazu beitragen, dass sich dies ändert.

Das Interview führte Moritz Döbler.

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