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Wirtschaft: Ilse Beck

Geb. 1917

Die erste Biografie als Sängerin, die zweite als Sozialdemokratin Es war irgendwann in den sechziger Jahren, als Ilse Beck, Betreuerin des Bundespresseamts, mal wieder einen ausländischen Journalisten durch Berlin führte. Als sie feststellte, dass er die Stadt schon einigermaßen kannte, fuhr sie mit ihm auf den Teufelsberg, um von dort aus die ganze Stadt in Augenschein zu nehmen. Dann führte sie ihn in einen amerikanischen Club, weil dort der Kaffee so gut war.

Sie war eine ausgesprochen kultivierte West-Berliner Sozialdemokratin, frei von jeglicher Spießigkeit – und sie wohnte im Reihenhaus einer ehemaligen SS-Siedlung in Zehlendorf, umgeben von Eichhörnchen und Kiefern. Solche Widersprüche ließen Besucher das Besondere, das Surreale dieser Stadt schnell spüren.

Als Ilse Tödten in Duisburg geboren, in einem musikalischen Elternhaus glücklich aufgewachsen, stand ihr Berufswunsch früh fest: Sängerin. In den dreißiger Jahren studierte sie in Florenz und zog dann nach Berlin. Hier lernte sie den Pianisten Gustav Beck kennen, der 17 Jahre älter war als sie. 1942 heirateten sie. Das Regime verachteten sie, und doch konnten sie ein wenig beschwertes Künstlerleben in ihrem Atelier an der Bundesallee führen. Beck war vom Kriegsdienst befreit, er gab Truppenkonzerte. Gemeinsam spielten und sangen sie vor Soldaten in Polen und Russland.

Die Tochter Heidemarie wurde im September 1942 geboren, Ilse hatte bis zum Ende der Schwangerschaft auf der Bühne gestanden. Als immer mehr Bomben auf Berlin fielen, schickte sie das Baby zur Großmutter nach Darmstadt. Auch Darmstadt ging in Flammen auf, Gustavs Mutter starb, und Gustav entdeckte Heidis Namen eingekratzt auf der Wand des zerstörten Hauses. Sie war in einem Kinderheim im Odenwald gelandet. Gustav fand sie dort und brachte sie nach Hause.

Als die Russen nach Berlin kamen, hatte Ilse vor ihnen solche Angst, dass sie sich auf Alt schminkte, bevor sie das Haus verließ. Als die Sieger dann vor ihrer Haustür in Dahlem standen, spielten sie Russisches Roulette mit Gustav und ein grausames Spiel mit Heidi: Die linke oder die rechte Hand? Schokolade oder Pistole? Verzweifelt zeigte die Mutter auf die Schokoladen-Hand, und die Soldaten zogen lachend ab.

Nach zwei Fehlgeburten wurde dann Barbara geboren, endlich eine Schwester für Heidi, Mutters Wunschkind.

Die Stadt wurde in vier Sektoren geteilt, Gustav trat im Amerika-Haus auf, und Ilse gab amerikanischen Kindern Klavierunterricht. Sie freundeten sich mit vielen Amerikanern an. Gustavs Karriere endete 1954 abrupt: Durch einen epileptischen Anfall erblindete er fast völlig. Er zog sich in eine Welt aus Schach, Canasta und Krimi-Lektüre zurück, und eine recht glückliche und sturmerprobte Ehe brach auseinander.

Lange vor Gustavs Tod lernte Ilse Leo Bauer kennen, einen Journalisten und Ratgeber Willy Brandts. So begann, was sie ihre „zweite Biografie“ nannte.

Durch Leo Bauer bekam sie die Arbeit beim Bundespresseamt und Einblick in den inneren Zirkel der SPD, die sich gerade auf den Machtwechsel in Bonn vorbereitete. Bauer war ein warmherziger Sachse, einst Kommunist, der in den fünfziger Jahren nach Sibirien geschickt wurde, was ihn seine Gesundheit kostete. Nun arbeitete er sich zu Tode.

Für ihn und natürlich auch für sich selbst ließ Ilse ein kleines Haus in Italien bauen. Dort wurde so oft eingebrochen, dass sie auf den Kaminsims ein paar Grappa- und Weinflaschen stellte, daneben lag ein Zettel: „Lieber Einbrecher, bediene dich selbst. Es gibt nichts anderes.“

Tochter Barbara adoptierte 1992 zu Ilses großer Freude Frida, ein indianisches Waisenkind aus Mexiko. Als Barbara fünf Jahre darauf plötzlich starb, war dies der grausamste Schlag in Ilses langem unverwüstlichen Leben. Ihre Enkel gaben ihr noch Kraft. Und sie war noch immer sehr stolz auf die Stadt, in der sie 65 Jahre lebte. Anrufern aus dem Ausland stellte sie noch kurz vorm Tod die Frage, auf die es wirklich ankam: „Wann kommst du nach Berlin?“

Michael Ratcliffe

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