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Wirtschaft: IM INTERVIEW: "Berlin ist ein Standort für internationale Investoren"

IHK-Präsident Gegenbauer: Die bisherigen Privatisierungen sind ein Erfolg für Berlin / Zahl der Ausbildungsbetriebe soll um 20 Prozent steigen TAGESSPIEGEL: Herr Gegenbauer, wie können die Organisationen der Wirtschaft, Verbände und Kammern, den dringend notwendigen Strukturwandel in der Stadt beschleunigen? GEGENBAUER: Die Standortbedingungen für die bestehende Industrie müssen wir verbessern.

IHK-Präsident Gegenbauer: Die bisherigen Privatisierungen sind ein Erfolg für Berlin / Zahl der Ausbildungsbetriebe soll um 20 Prozent steigen TAGESSPIEGEL: Herr Gegenbauer, wie können die Organisationen der Wirtschaft, Verbände und Kammern, den dringend notwendigen Strukturwandel in der Stadt beschleunigen? GEGENBAUER: Die Standortbedingungen für die bestehende Industrie müssen wir verbessern.Wir sollten beispielsweise die Kostensituation in allen deutschen Ballungsgebieten im Rahmen eines Benchmarkings vergleichen und uns dann das Ziel setzen, mit Berlin weiter nach vorn zu kommen. TAGESSPIEGEL: Glauben Sie, daß die Möglichkeiten der Politikberatung und -beeinflussung von der IHK hinreichend ausgeschöpft werden? GEGENBAUER: Die Aufgabe ist doch, unsere Position weitestgehend durchzusetzen.Das geht nicht mit Draufschlagen oder lautstarker Polemik.Wir müssen gute Vorschläge machen und müssen die Punkte, die uns wichtig sind, in eine klare Struktur und Hierarchie bringen, um dann auch besser gehört zu werden.Das ist gewissermaßen eine Frage des Marketings.Auf den meisten Politikfeldern sind wir in der Kammer jedenfalls hervorragend besetzt. TAGESSPIEGEL: Auf welchen Politikfeldern besteht denn dringender Handlungsbedarf? GEGENBAUER: Wir brauchen einen anderen Zuschnitt von Senatsressorts, in jedem Fall die Zusammenlegung von Wirtschaft und Technologie.Zweitens: Der Sachverstand von den Hauptverwaltungen darf nur dann in die Bezirke verlagert werden, wenn sichergestellt ist, daß auf der Ebene auch die nötige Kompetenz vorhanden ist.Und schließlich drittens: Ein besserer Investorenschutz ist erforderlich.Es kann nicht sein, daß sich die Investoren permanent in der Presse wiederfinden, beispielsweise durch Indiskretionen.Wir möchten auch, daß Privatisierungen professionell vorbereitet und durchgezogen werden. TAGESSPIEGEL: Wie bei der Gasag? GEGENBAUER: Das ist doch fabelhaft gelaufen.An dem Beispiel sehen wir doch auch, daß Berlin ein Standort ist für internationale Investoren.Über diese internationalen Beteiligungen bekommen wir eine breitere Wirtschaftskultur in der Stadt - genau das, was wir immer wollten, und was jetzt Stück für Stück kommt.Wir wollen nur nicht, daß die Verkaufserlöse allein zum Stopfen von Haushaltslöchern genutzt werden, sondern auch zur Entwicklung von Zukunftsfeldern. TAGESSPIEGEL: Finanzsenatorin Fugmann-Heesing zufolge gibt der Senat rund vier Mrd.DM auf den sogenannten Zukunftsfeldern aus. GEGENBAUER: Aber reicht das? Wir sitzen doch in der Haushaltsfalle.Allein über Privatisierungen lösen wir nicht das Budgetproblem.Wenn man auf betriebsbedingte Kündigungen verzichtet, ist unser öffentlicher Haushalt kaum in den Griff zu bekommen.Das ist eine Sisyphus-Arbeit. TAGESSPIEGEL: Sind Sie mit der Privatisierungspolitik alles in allem zufrieden? GEGENBAUER: Es geht voran.Die Verkäufer sollten jedoch bedenken, daß die Braut schön gemacht werden will.Sie können nicht auf der einen Seite sagen: "Ich verkaufe nicht die Mehrheit", und auf der anderen Seite sagen, "Das dürft ihr nicht, das dürft ihr nicht, und das dürft ihr nicht" - und dann noch einen hohen Preis erwarten.Der Preis allein ist nicht alles. TAGESSPIEGEL: Überwiegen die finanzpolitischen Aspekte in der Verkaufsstrategie? GEGENBAUER: Ich glaube, die Entscheidungsträger haben einen klaren Kopf, werden aber von ihren Parteien nicht immer unterstützt.Wer soll 49 Prozent einer Wohnungsbaugesellschaft zu einem hohem Preis kaufen, bei gleichzeitiger Verpflichtung zur Sicherstellung der Mieten und Nichtveränderung des Bestandes? Da wird sich doch jeder Investor eher Bundesschatzbriefe zulegen. TAGESSPIEGEL: Sind Sie eher auf der Seite Fugmann-Heesings contra die Große Koalition Landowsky-Benneter? GEGENBAUER: Ich rede hier nicht über Personen.Der Verkauf von Eigenbetrieben ist ein unternehmerisches, kein politisches Geschäft.Das heißt, für bestimmte Größenordnungen müssen bestimmte Märkte abgefragt werden.Dazu gehört der Schutz der Investoren und die Akquisition im Ausland bei potentiellen Investoren, die auf der Suche nach Einkauf, nach zusätzlichem Geschäft sind.Das, was bisher zustande gebracht wurde, ist alles in allem ein Erfolg, der Berlin gut zu Gesichte steht. TAGESSPIEGEL: Unlängst haben Sie dazu aufgefordert, Ideen in der Stadt nicht nur zu diskutieren, sondern auch zu realisieren.Ein Appell, der sich vor alllem an die mehr als 130 000 IHK-Mitglieder richtet? GEGENBAUER: Unternehmer sind es gewohnt, zu entscheiden.In der Politik ist leider der Eindruck da, daß jeder Vorschlag so lange diskutiert wird, bis er nicht mehr zu erkennen ist.Und daß die Umsetzung von Vorschlägen verzögert wird, weil die Lust an der Diskussion größer ist als die Lust am Umsetzen. TAGESSPIEGEL: Ist das auch ein Grund für die Exportschwäche und Innovationsträgheit in vielen Berliner Unternehmen? GEGENBAUER: Das kann ich überhaupt nicht so erkennen.Nehmen Sie nur Polen; dahin haben sich unserer Exporte in den letzten Jahren annähernd verdoppelt. TAGESSPIEGEL: Schätzungen zufolge betreiben rund drei Viertel der Berliner Industriebetriebe keine Forschung, der Technologietransfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft stockt noch immer. GEGENBAUER: Zweifellos ist der Schatten der politisch begründeten Strukturdefizite aus der Zeit vor 1989 lang.Aber seit 1990 haben wir immerhin 100 000 Neugründungen in der Stadt.Wir haben also tatsächlich eine Gründerwelle, gerade auch aus den Universitäten heraus. TAGESSPIEGEL: Hat die Kammer zu der "Welle" beigetragen? GEGENBAUER: Ganz entscheidend.Es gibt ein Netzwerk für Gründer, aber auch für bestehende Unternehmen, vor allem aus dem Mittelstand.Pro Jahr führt die IHK rund 12 500 Gründerberatungen durch.In unserem Service-Center betreuen wir monatlich knapp 8000 Anfragen; die IHK-Task Force und der Runde Tisch haben inzwischen weit über 100 in Schwierigkeiten geratene Firmen unterstützt - um nur einige Beispiele zu nennen. TAGESSPIEGEL: Von Jahr zu Jahr dramatischer wird die Lage auf dem Lehrstellenmarkt.Gut 4200 von 131 000 der Berliner IHK-Mitglieder bilden aus, halten Sie das für eine zufriedenstellende Quote? GEGENBAUER: Immerhin ist die Zahl schon in den letzten drei Jahren um über 1000 gestiegen, das sind so viele wie noch nie.Die Zahl der Ausbildungsverhältnisse hat sich im letzten Jahr um rund 15 Prozent auf 10 675 erhöht.Wir schätzen den Bestand an ausbildungsfähigen Betrieben auf 12 000 bis 15 000.Unsere Strategie ist, die Zahl der Ausbildungsbetriebe in den nächsten Jahren um 20 Prozent zu erhöhen.Unter anderem setzen wir dazu 15 Ausbildungsberater ein. TAGESSPIEGEL: Hat das von Ihnen skizzierte Leistungsprofil der Kammer dazu beigetragen, daß das Problem der IHK-Verweigerer, die sich gegen Zwangsmitgliedschaft und Pflichtbeiträge wehren, vom Tisch ist? GEGENBAUER: Wir bemühen uns um Anerkennung unserer Arbeit bei allen Mitgliedern.Im übrigen sind wir damit einverstanden, wenn es keine Beitragspflicht für Mitglieder gibt, deren Gewerbeertrag unter 10 000 DM im Jahr liegt.Eine entsprechende Änderung des IHK-Gesetzes ist derzeit im Bundestag in Arbeit.Auch für diese Mitglieder sind wir weiterhin da. TAGESSPIEGEL: Im neuen Domizil, im Ludwig-Erhard-Haus (LEH) an der Fasanenstraße, sollen die Leistungen der IHK noch besser werden.Wie soll das gehen? GEGENBAUER: Selbstverständlich ist es unsere Aufgabe, für unsere Mitglieder den Service aktiv auszuweiten: Also nicht auf die Mitglieder zu warten, sondern zu ihnen zu gehen.Andererseits schaffen wir ein offenes Haus und fassen dabei an einem Standort den gesamten Service für die Mitglieder zusammen.Wir erbringen wirkliche Dienstleistungen, damit die Leute auch wiederkommen. TAGESSPIEGEL: Das Erhard-Haus ist 50 Mill.DM teurer als geplant, die Bauzeit ein Jahr länger als veranschlagt, die der Finanzierung zugrundegelegte Miete bei weitem nicht zu erreichen.Mußte das Projekt derart ausufern? GEGENBAUER: Für die wirtschaftsrelevanten Institutionen, die wir hier unterbringen wollen, ist das Haus und das gesamte Konzept richtig.An dieser Stelle gab es im übrigen nur eine Baugenehmigung für ein architektonisch herausragendes Haus.Nicht beeinflußbar ist die Entwicklung der Marktmiete, die vor fünf Jahren auch nicht absehbar war.Ärgerlich ist zweifellos das Überschreiten der Baukosten.Wir sichern die erhöhten Baukosten durch Aktivierung von Rücklagen und Vermögen ab.Und bei den Mietverträgen werden wir uns die Chance offenhalten, daß wir - sobald der Markt dreht - auch die Kostenmiete bekommen, die wir brauchen. TAGESSPIEGEL: Es ist noch viel Platz im Haus.Wenn das LEH dem großen Anspruch eines ausstrahlenden Kommunikations- und Servicezentrums gerecht werden will, dann brauchen Sie noch mindestens einen bedeutenden Mieter. GEGENBAUER: Das weiß ich auch.Im Moment hat jeder Zweite in der Stadt unvermietete Flächen.Entsprechend schwierig ist das Geschäft.Aber die Struktur und die Qualität des Gebäudes rechtfertigen die Einschätzung, daß wir bis Ende des Jahres das Ludwig-Erhard-Haus voll haben.

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