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Wirtschaft: Im Westen sinken die Einkommen

Die Verlagerung von Jobs ins Ausland ist kaum zu stoppen/Früher wanderten die Arbeitskräfte aus

Arbeitgeber verlagern Arbeitsplätze ins Ausland oder Arbeitnehmer suchen sich Arbeit in fremden Ländern. Dieses Phänomen ist seit der Industrialisierung bekannt und hat verschiedene Facetten. Die britische Textilindustrie war um 1830 so effizient, dass indische Bekleidungshersteller nicht mithalten konnten. Die Produktion wurde nach England verlagert – mit desaströsen Folgen. „Eine vergleichbare Misere hat es in der Geschichte des Handels wohl noch nicht gegeben“, schrieb der indische Generalgouverneur William Bentinck 1834 an seine Vorgesetzten in London. In der Geschichte gibt es viele ähnliche Vorkommnisse.

Anfang des 19. Jahrhunderts hielten die britischen Weber ihre Arbeitsplätze für sicher. Obwohl es schon Webmaschinen gab, untersagte der Staat deren Gebrauch. So konnten die Weber an ihren Webstühlen mit Verachtung auf die Fabriken mit ihren 14-stündigen Arbeitstagen und der Sechs-Tage-Woche blicken. Sie selbst arbeiteten manchmal nur vier Tage. Doch irgendwann war es mit ihrer privilegierten Situation vorbei und die Fabriken setzten sich durch. Daraufhin formierte sich ein Teil der Weber und verwüstete 1811/1812 Fabriken. Der Aufstand der „Ludditen“ – so nannten sich die Weber nach ihrem Anführer Ned Ludd – wurde durch 14000 Soldaten niedergeschlagen.

Nach der Niederlage der Ludditen kämpfte die Lobby der britischen Industriellen um die Abschaffung der Zölle auf landwirtschaftliche Produkte (die so genannten „Corn Laws“). Der Grund: Die Industrie wollte Weizen importieren. Während die „Corn Laws“ den Bauern und dem Landadel nutzten, weil sie den Wert ihres Grundbesitzes erhöhten, waren sie für die Industrie und die Arbeiter von Nachteil. Für die Industrie verteuerte sich der Boden und für die Arbeiter das Brot. Als 1845 in Irland eine Hungersnot wütete, hob der Staat die Zölle auf. Die Brotpreise fielen und die britische Wirtschaft gedieh prächtig unter dem Freihandel.

Heutzutage profitieren Arbeitgeber durch Job-Outsourcing. Dank der Computertechnik können Unternehmen Arbeitsplätze ins Ausland verlagern. Früher verhielt es sich andersherum: Die billigen Arbeitskräfte zogen in gewaltigen Einwanderungswellen nach Amerika. Beides – Jobverlagerung und Einwanderung – führt unterm Strich zum gleichen Ergebnis: Millionen einheimischer Arbeitskräfte müssen mit Ausländern um Arbeitsplätze konkurrieren. Doch verglichen mit früher ist der Wettbewerb zwischen den Arbeitskräften eher gering. Allein zwischen 1870 und 1910 wanderten 60 Millionen Europäer nach Nordamerika, Kanada, Australien und Argentinien aus. Meist waren es junge Männer mit geringer Qualifikation. Weil das Arbeitsangebot in den USA massiv wuchs, sanken dort die Löhne, während sie in Europa stiegen. Zu einer derartigen Lohnangleichung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern wird es heute nicht so schnell kommen. Auch wenn die Einkommen in Indien und China steigen, dauert es Jahrzehnte, bis das amerikanische Gehaltsniveau erreicht ist. Allerdings werden die Gehälter der Arbeitnehmer, die mit Indern und Chinesen konkurrieren, sinken. Amerikaner müssen sich also auf geringere Einkommen einstellen. Das muss aber nicht unbedingt den Wohlstand mindern, weil der nicht nur vom Lohn abhängt, sondern auch vom Preis der Güter und Dienstleistungen.

Röntgenbilder nach Indien

So wie der Güterimport zum Beispiel zu niedrigeren Computer- und Autopreisen geführt hat, werde auch der Import von Dienstleistungen die Kosten für die amerikanische Bevölkerung senken, meinen manche. Wenn US-Krankenhäuser Röntgenaufnahmen nach Indien schicken und von indischen Radiologen auswerten lassen oder wenn Pharmaunternehmen klinische Tests in Indien durchführen, sinken die Gesundheitskosten für US-Arbeitnehmer.

Ende des 19. Jahrhunderts revolutionierte die Erfindung und Einführung der Eisenbahn das Transportwesen und darüber hinaus die gesamte Wirtschaft. Kurz, die Eisenbahn veränderte das Leben ebenso stark, wie es heute Internet und Hochgeschwindigkeits-Datenübertragung tun. Auf einmal konnten dank der Eisenbahn Güter durch die USA, Kanada und Australien an die Häfen gefahren und von dort auf Dampfschiffen über das Meer transportiert werden. Die Transportkosten sanken erheblich. Dank des technischen Fortschritts entstanden neue Märkte und Branchen wie etwa der Versandhandel. Damals schienen technischer Fortschritt und Handel unaufhaltsam. Und doch – der Staat bremste den technischen Fortschritt auf eine Art und Weise, die Schlüsse für heute ziehen lässt. Wie kam es dazu?

Die New Economy jener Tage vernichtete Jobs, Branchen und ganze Ortschaften. Einst blühende Hafenorte wie Burlington, Iowa und St. Louis verkümmerten. Und während die US-Getreidebauern vom zunehmenden Handel profitierten, gerieten die amerikanischen Baumwollplantagen unter Druck, weil sie nun mit ägyptischer und indischer Baumwolle konkurrieren mussten. Unternehmen und Arbeitnehmer, die durch die Importe in Bedrängnis gerieten, schlossen sich zu Interessengruppen zusammen. Sie überzeugten die Politik, hohe Zölle einzuführen. So kam es, dass die USA bis ins 20. Jahrhundert hinein ein Land mit hohen Zöllen waren. Wie sieht es heute aus?

Bisher hat die amerikanische Regierung kaum etwas gegen das Job-Outsourcing unternommen. Abgeordnete einiger US-Staaten erwägen die Sanktionierung von Unternehmen, die Arbeitsplätze ins Ausland verlagern. Solche Firmen sollten von staatlichen Aufträgen ausgeschlossen werden, fordern sie. Und der Kongress überlegt, die Jobverlagerung durch Regulierungsmaßnahmen und Instrumente der Steuerpolitik zu verhindern.

Bob Davis

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