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Goldstück. Das Sonntagsbrötchen ist vielen Deutschen ein Heiligtum. Mehr als 1200 Sorten Kleingebäck sind hierzulande amtlich registriert.

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Immer wieder sonntags: Schrippen werden teurer

Jeden Sonntag gehen die Deutschen zum Bäcker. Doch Brötchen werden teurer – nicht nur wegen höherer Getreidepreise. Mit Flugblättern wirbt dieser Tage eine Berliner Filiale um Verständnis dafür, dass sie die Preise erhöht.

Von Maris Hubschmid

Ein später Morgen, elf Uhr. Die Sonne scheint durch das Küchenfenster. Auf dem Herd kochen die Frühstückseier. Kaffeeduft zieht durch den Raum. Die Mutter macht ein Glas Marmelade auf, und dann, endlich: kommt der Papa mit den Schrippen nach Hause. Das Brötchen gehört für viele Deutsche zum Sonntag wie der Tannenbaum zum Weihnachtsfest.

Umso mehr schmerzt es die Verbraucher, dass vielerorts die Brotpreise steigen. Bei den meisten Anbietern passiert das schleichend. Der eine verteuert den Schusterjungen von 45 auf 50 Cent, der nächste die Brezel von 70 auf 80. Das in Berlin verbreitete Unternehmen Thürmann geht offensiver vor. Mit Flugblättern wirbt es dieser Tage in seinen Filialen um Verständnis dafür, dass es die Preise erhöht. Statt 2,88 Euro kostet ein Weißbrot „Pain Parisien“ jetzt 3,20 Euro. Gestiegene Rohstoffpreise, wie etwa bei Weizen, Roggen, Saaten und Zucker seien ein Grund, heißt es. Ähnliche Mitteilungen waren bereits von der Firma Kamps im Umlauf.

Nicht von ungefähr wird Deutschland das „Land des Brotes“ genannt. Bei 95 Prozent aller Bundesbürger kommen Backwaren täglich auf den Tisch. Rund 87 Kilogramm Brot isst ein Deutscher im Schnitt pro Jahr. Das sind mehr als der Pro-Kopf-Verbrauch von Frankreich, Großbritannien und Irland zusammen. Dabei rühmen wir uns zu Recht einer einzigartigen Vielfalt: Allein 1200 verschiedene Sorten Kleingebäck, also Brötchen, Pfannkuchen und Co sind amtlich registriert. Im vergangenen Jahr machte die Branche 13 Milliarden Euro Umsatz. Die Nachfrage steigt, heißt es beim Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks.

Tatsächlich hat sich der Getreidepreis im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 60 Prozent erhöht. Schuld ist unter anderem das verquere Wetter, das zu heftigen Ernteeinbußen führt. „Im Mai hat es regelrechte Dürren gegeben, dafür war der Juli extrem verregnet“, sagt ein Brandenburger Landwirt. „Jetzt ist der Weizen fällig, aber wir können ihn nicht einsammeln, weil die Felder zu nass sind.“ An den wenigen trockenen Tagen in der vergangenen Woche haben die Getreidebauern im Akkord gemäht. Dennoch prognostizieren die Landwirtschaftsverbände für 2011 Ernteausfälle in Höhe von zehn Prozent.

Dabei sind es inzwischen nicht mehr nur die Mengen, die den Bauern Sorge bereiten: Auch die Qualität ist durch die hohe Feuchtigkeit bedroht. „Der Roggen fängt schon an zu keimen“, sagt der Landwirt, der nicht namentlich genannt werden will, weil er zugibt, seinen Qualitätsstandard vermutlich nicht halten zu können. „Keimende Körner sind für Brotmehl nicht mehr zu gebrauchen. Die kann ich allenfalls als Futtermittel anbieten.“

Allein für die Teuerungen verantwortlich ist der hiesige Wetter-Zirkus aber nicht. „Auch der Weltmarkt spielt eine Rolle“, sagt Martin Schraa, Getreide-Experte der Agrarmarkt-Informations-Gesellschaft (AMI). „Ein wichtiger Exportmarkt ist die USA. Die haben ebenfalls schwache Ernten eingefahren.“ Hinzu kommt, dass die Nachfrage nach Getreide weltweit steigt. Gerade die Schwellenländer verzehren mehr Getreideprodukte als noch vor ein paar Jahren. 2010 ist erstmals mehr Getreide verzehrt als produziert worden: Laut Internationalem Getreiderat standen 1,75 Milliarden Tonnen Ertrag 1,79 Milliarden Tonnen Verbrauch gegenüber. Für 2011 rechnet der Rat mit 1,83 Milliarden Tonnen Bedarf. „Die Bestände werden abgebaut. Das ruft Nervosität an den Märkten hervor“, sagt der Agrarexperte. Ohnehin tragen Spekulationen mit Rohstoffen an der Börse dazu bei, dass die Preise schwanken. „Das bewirkt zumindest Planungsunsicherheiten bei den Einkäufern“, sagt Schraa.

Lesen Sie auf Seite zwei, wie der wachsende Fleischkonsum auf das Getreideangebot auswirkt.

Hans-Joachim Blauert, Obermeister der Bäcker-Innung Berlin und Inhaber der Bäckerei Walf in Lichterfelde, sieht vor allem die Politik in der Verantwortung. Seit Getreide auch zu Biokraftstoffen verarbeitet wird, kommt es zu Nutzungskonkurrenzen. Gerade in ärmeren Ländern widmen Bauern ihre Äcker zunehmend um, produzieren Biomasse zur Energiegewinnung, statt sich weiter den strengen Regeln für Nahrungsmittelanbau zu unterwerfen. „Die Bioethanolherstellung ist das Schlimmste, was der Menschheit je eingefallen ist“, regt sich Blauert auf. „Überall leiden Kinder an Hunger, und wie verheizen Getreide in unseren Tanks. Natürlich gehen da die Brotpreise in die Höhe.“

Nicht zuletzt wirkt sich der seit Jahren wachsende Fleischkonsum negativ auf das Getreideangebot aus, heißt es bei der internationalen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Denn für ein Kilo Fleisch muss sehr viel mehr Getreide verfüttert werden, als der Bäcker für ein Kilo Brot benötigt.

Gleichwohl kritisieren viele Verbraucherschützer, dass gestiegene Getreidepreise noch keinen höheren Schrippenpreis rechtfertigen – sie haben recht. Denn faktisch macht der Rohstoff Getreide am Brötchenpreis nur ein bis zwei Cent aus, wie der Verband Deutscher Großbäckereien bestätigt. „Auch zahlreiche andere Rohstoffe sind teurer geworden“, heißt es bei der Wiener Feinbäckerei. „Enorm angezogen haben die Preise für Milchprodukte.“ Der Butterpreis ändere sich manchmal zweimal am Tag, erläutert Bäckermeister Blauert. „Auch in der Logistik spüren wir erhebliche Preissteigerungen“, sagt ein Sprecher der Wiener Feinbäckerei. „Bislang haben wir die Preise gehalten. Für 2012 können wir Erhöhungen aber nicht ausschließen.“

Bei den Unternehmen Märkisches Landbrot und Wiedemann verweist man auf die hohen Energiekosten: „Backen kostet Strom.“ Und weil schlichtweg alles, also auch der Lebensunterhalt teurer geworden sei, seien Lohnerhöhungen überfällig, heißt es in der Kundeninformation von Thürmanns. Das alles trägt der Kunde beim Brötchenkauf mit.

Wo aber stehen wir? „Durchschnittlich kostet eine Schrippe in Berlin 26 Cent“, sagt Nikolaus Junker, Geschäftsführer der Bäcker-Innung Berlin. Damit hat Berlin bundesweit das niedrigste Preisniveau bei Brötchen. Im EU-Vergleich liegt Deutschland bei den Brötchenpreisen ziemlich in der Mitte, auf Platz zwölf von 27. Einerseits kann man sich überlegen: „Wo bedenkenlos 3,50 Euro für einen Coffe-to-go ausgeben werden, muss man sich da über 3,20 Euro für einen ganzen Laib Brot ärgern?“, fragt Junker. Andererseits sei Brot in Deutschland eben ein Grundnahrungsmittel und treffe „viele Verbraucher hart“, mahnt ein Sprecher der Verbraucherzentrale Berlin.

Großen Zuspruchs erfreuen sich auch deshalb die Backshops, die nur fertige Teiglinge aufbacken und somit zu Discounterpreisen anbieten. Der Verband schätzt die Zahl der Aufbackstationen in Deutschland auf bis zu 12 000. Auch immer mehr Supermärkte machen sich das Prinzip zu eigen. Ein Problem ist die neue Konkurrenz in den Augen der handwerklichen Betriebe. Die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) aber stellt den Shops ein gutes Zeugnis aus. „Geschmacklich wie qualitativ sind die Produkte nicht schlechter als in den herkömmlichen Bäckereien“, sagt DLG-Expertin Regina Hübner. Teurer geworden sind allerdings auch die Backshopprodukte – prozentual sogar viel deutlicher: Statt 24 Cent kostet etwa das Kürbiskernbrötchen bei drei Anbietern jetzt 32 Cent.

„In den neuen Bundesländern fällt der Preis bei der Kaufentscheidung stärker ins Gewicht. Da sind Veränderungen im Absatz erkennbar“, heißt es beim Großbäckerverband. In Westdeutschland hätten die Preiserhöhungen weniger Einfluss auf das Kaufverhalten. Auch, weil dort die Spezialbrötchen gefragter sind. Zwar ist die Schrippe hier wie dort die Nummer eins, im Westen aber ist Brötchen längst nicht mehr gleich Brötchen. Ob Mini-Ciabatta, Vollkornstange oder Knusperfladen, jeder hat seinen persönlichen Liebling. So hat der Papa das bestellte Mohnbrötchen auch dann in der Tüte, wenn es wieder zehn Cent teurer geworden ist.

Im Übrigen: Ein Brot statt teurer Brötchen würde die Familie zwar auch satt machen. Doch es gibt auch Geschmacksunterschiede. Wegen der geringen Größe und des somit veränderten Verhältnisses von Volumen und Oberfläche schmeckt das Brötchen – nachweislich – intensiver. Und so will es der deutsche Brauch: Sonntags muss es eben etwas Besseres sein.

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