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Zuhause im Alter. Wohnungen ausgestattet mit technischen Assistenzsystemen (AAL) sind eine gute Alternative zu den üblichen Pflegeeinrichtungen.

© Jens Wolf/dpa

6. Deutscher AAL-Kongress: Wenn der Teppich den Notruf wählt

Technische Hilfen sollen dazu beitragen, dass ältere Menschen lange in ihrer Wohnung bleiben können.

Viele Menschen kennen das ungute Gefühl: Man hat die Wohnung verlassen, steht vielleicht gerade im Supermarkt – da fällt es einem siedendheiß ein: Hat man jetzt eigentlich den Herd ausgeschaltet? Gebäudetechniker und Informatiker haben für solche Fälle eine Lösung entwickelt: eine intelligente Tür, die merkt, wenn der Mieter die Wohnung verlässt, und im Fall der Fälle den Herd automatisch ausmacht. Für technische Hilfssysteme dieser Art haben Fachleute den sperrigen Namen Ambient Assisted Living (AAL; wörtlich: umgebungsunterstütztes Leben) erfunden. Vergangene Woche trafen sich rund 600 Entwickler, Wissenschaftler und Anwender auf Einladung des Verbands der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (VDE) in Berlin zum 6. Deutschen AAL-Kongress.

Was sie diskutierten, ist auch für Mieter und Wohnungseigentümer interessant. Denn die Wohnungswirtschaft verbindet mit AAL eine große Hoffnung: Die technischen Lösungen sollen dazu beitragen, dass ältere und gesundheitlich beeinträchtigte Menschen in der eigenen Wohnung bleiben können, statt in eine Pflegeeinrichtung zu müssen. Das hat für alle Beteiligten Vorteile: Die Bewohner können im gewohnten Umfeld alt werden; die Vermieter freuen sich, dass sie ihre Wohnungen an – in aller Regel zuverlässige und pünktlich zahlende – Nutzer vermietet haben; und die Allgemeinheit profitiert, weil die hohen Kosten für die Unterbringung im Heim wegfallen.

So weit die Theorie. In der Praxis aber gestaltet sich die Umsetzung der technischen Hilfen schwierig. „Es ist noch ein weiter Weg zur Massenanwendung von AAL“, räumte VDE-Vorstandsvorsitzender Hans Heinz Zimmer in seiner Eröffnungsansprache ein. „Die Akzeptanz muss noch gesteigert werden.“ Das liegt nicht zuletzt an der Begrifflichkeit. „Die Leute können mit dem Begriff ,AAL‘ gar nichts anfangen“, stellte Bernd Dechert vom Zentralverband der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke fest. Er sprach stattdessen von „multifunktionalem Wohnen“. Roland Sing, Vizepräsident des Sozialverbandes VdK Deutschland, schlug„alltagsunterstützende Technologie“ vor.

Ausprobiert wurden derartige Lösungen bisher in zahlreichen vom Bundesforschungsministerium geförderten Modellvorhaben. An einem davon – „Smart Senior“ – beteiligte sich auch ein Wohnungsunternehmen aus der Hauptstadtregion: die Gewoba Potsdam. 35 Mieter machten bei dem Projekt mit, dessen Dreh- und Angelpunkt der Fernseher war. Er diente als Steuerzentrale für verschiedenste Angebote: Über Audio-Video-Kommunikation konnten sich die Teilnehmer mit anderen Mietern und dem rund um die Uhr besetzten Assistenz-Center austauschen. Zudem konnte das System Blutdruckwerte und andere Gesundheitsdaten an die Charité senden. Schließlich wurde auch die Haustechnik, beispielsweise Temperatur und Beleuchtung, über den Fernseher geregelt.

Sicherheit steht an erster Stelle

Ein anderes Beispiel findet sich in Bremerhaven, wo die Wohnungsbaugesellschaft Stäwog am Projekt „Länger selbstbestimmt wohnen“ teilnahm. Hier befragten die Wissenschaftler des Oldenburger Forschungsinstituts Offis die Teilnehmer zunächst, was sie von der Technik erwarteten. Dabei zeigte sich, dass Aspekte der Sicherheit ganz oben auf der Wunschliste standen, berichtete Offis-Vertreterin Melina Franken. Die Techniker entwickelten deshalb eine funkbasierte Lösung, die beim Verlassen der Wohnung Herd und Bügeleisen ausschaltete. Außerdem meldet das System, wenn man vergessen hat, die Fenster zu schließen.

„Schwerpunkt für die Nutzer ist nicht die Gesundheit, sondern die Sicherheit“, stellte auch Axel Viehweger vom Verband Sächsischer Wohnungsgenossenschaften fest. Damit war ursprünglich nicht gerechnet worden; die meisten Forschungsvorhaben zielen auf gesundheitlich eingeschränkte Menschen. AAL-Lösungen, so die Idee, sollen einen Notfall erkennen und Hilfe holen. Ein Beispiel ist der (bereits serienmäßig erhältliche) Fußboden, der Stürze erkennt.

Er ist mit Sensoren ausgestattet und nimmt wahr, wenn jemand hinfällt und nicht mehr aufstehen kann. In diesem Fall erfolgt eine Meldung an die Notrufzentrale. Diese fragt telefonisch nach, ob alles in Ordnung ist; wenn niemand ans Telefon geht, wird jemand in die Wohnung geschickt. Technisch ist noch viel mehr möglich. Die Forscher haben auch schon ganze Wohnungen mit Sensoren ausgestattet, so dass sich ein exaktes Bewegungsprofil erstellen lässt. Wer an einem solchen Projekt teilnimmt, muss allerdings damit rechnen, dass ein besorgter Anruf aus der Zentrale bereits dann eingeht, wenn man sich wegen Verdauungsproblemen länger als üblich auf der Toilette aufhält.

Abgesehen von der Frage, ob überhaupt jemand bereit ist, derart tiefe Einblicke in sein Privatleben zuzulassen, stehen die AAL-Experten noch vor einem anderen Problem: der Finanzierung. Eine Umfrage, die auf dem Kongress vorgestellt wurde, ergab, dass zwei Drittel der Befragten höchstens 20 Euro im Monat für technikgestützte Assistenzsysteme ausgeben würden. Das aber reicht hinten und vorne nicht: Laut Axel Viehweger, dessen Genossenschaftsverband in Sachsen bisher zwölf AAL-Wohnungen eingerichtet hat, beträgt die monatliche Mehrbelastung allein für die Nebenkosten (Strom, Wartung der Sensoren, Notrufzentrale) über 30 Euro – die Kosten für bauliche Maßnahmen und den nötigen Tablet-PC noch gar nicht inbegriffen.

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