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Immobilien: Alles verschmutzen – selten putzen

Oberflächen, die Wasser abweisend und damit pflegeleicht sind, gibt es in vielen Bereichen. Das Besondere des so genannten „Lotuseffekts“ liegt in den unterschiedlichen physikalischen und chemischen Eigenschaften des behandelten Materials

Es ist der Traum wohl eines jeden Menschen, gleich welchen Alters: alles verschmutzen und doch niemals putzen. Auf dem Weg zu diesem Ziel ist die moderne Materialwissenschaft schon ein gutes Stück vorangekommen. Sanitärkeramik, Fliesen, Fensterglas, Wandfarben für innen und außen, Dachziegel, alles gibt es inzwischen schon mit pflegeleichten Oberflächen. Wunderdinge darf man von diesen Werkstoffen nicht erwarten, deshalb verwenden wir hier den Begriff „selbstreinigend“ auch in Anführungszeichen. Die Produkte müssen immer noch gesäubert werden – freilich nicht mehr so mühsam und in wesentlich größeren Abständen als früher. Die physikalischen und chemischen Eigenschaften, die dabei eingesetzt werden, unterscheiden sich je nach Einsatzzweck erheblich.

Die seit einigen Jahren wohl bekannteste Wirkung, die man bei manchen Pflanzen beobachten kann, ist der so genannte „Lotuseffekt“. Die Blätter dieses Gewächses sehen immer proper aus, ganz ohne bewusste Pflege. Ein bisschen Regen reicht aus, jedweden Dreck herunter zu spülen. Und das geht, obwohl (wie wir sehen werden: gerade weil) die Blattoberfläche nicht superglatt ist. Wie Bonner Biologen herausfanden, tragen Lotusblätter nämlich mikroskopisch kleine Erhebungen. Partikel, die sich darauf absetzen, liegen also vereinfacht ausgedrückt stets „auf Kante“. Die Berührungspunkte zwischen ihnen und den Erhebungen sind immer klein. Damit wiederum ist die Adhäsion gering, es braucht daher nur wenig Kraft, diese Teilchen zu entfernen. Perlt Regenwasser darüber, bleiben diese Partikel leichter am Wasser hängen, werden mitgerissen und fortgespült.

Selbst das Wasser findet auf den „Noppen“ des Blattes kaum einen „Anhaltepunkt“. Eine nur leichte Schräglage reicht aus, schon rinnen die Tropfen, schließen sich zu größeren zusammen, sie perlen gleichsam zu Boden. Deshalb wird diese Oberfläche Wasser abweisend („hydrophob“) genannt. Die Kräfte, die den Tropfen zusammenhalten, sind größer als jene, die die Wassermoleküle ans Blatt binden.

Aber was hält einen Tropfen zusammen? Die Oberflächenspannung. Jedes einzelne Wassermolekül trägt nämlich Stellen unterschiedlicher elektrochemischer Ladung. Man stelle sich ein solches Molekül fast wie einen Hasenkopf mit seinen Ohren vor: Die Ohren sind in diesem Bild die beiden Wasserstoffatome, jedes ist leicht positiv geladen, weil es sein Elektron in die Verbindung mit dem Sauerstoff einbringt. Der Kopf selbst, das Sauerstoffatom, ist mit seinen eigenen acht und den beiden Elektronen, die der Wasserstoff zur Verbindung beiträgt, eher negativ geladen.

Das ist der Grund für mehrere interessante Eigenschaften des Wassers. So ordnen sich seine Moleküle nach der Ladung an, die „positiven“ Teile des einen Moleküls richten sich aus nach dem „negativen“ eines anderen. Schließlich hängen sie mit leichter, aber spürbarer Kraft aneinander: Die „Haut“, die eben genannte Oberflächenspannung des Wassers, ist entstanden. Die leicht unterschiedlich verteilte Ladung bildet zudem die Ursache dafür, dass sich viele Salze gern in Wasser lösen (sie „ionisieren“). Anorganischer Schmutz lässt sich mit Wasser daher leicht entfernen, Fette und Öle hingegen nicht.

Seine Oberflächenspannung verliert Wasser vor allem dann, wenn man Tenside verwendet. Sie setzen sich gleichsam als Puffer zwischen die Ladungen (das Wasser wird „entspannt“). Und dann bilden sie Kupplungen ganz besonderer Art: So docken sie mit ihrer Ladungsträgerseite am Wasser an, mit dem anderen Ärmchen greifen sie gleichsam nach organischem Ballast. Sie ziehen also Öle und Fette – etwa aus Textilien – ins Wasser und halten sie dort als Emulsion fest.

Nur belasten Reinigungsmittel halt das Abwasser – besser wär’s, man käme ohne sie aus oder mit geringeren Mengen. Und damit sind wir gedanklich wieder bei den modernen Werkstoffen – denn wer mag schon seine Hausfassade jeden Morgen mit der Zahnbürste putzen, um sie sauber zu halten (die Fassade)? Wandfarbe, die den Lotoseffekt nachahmt, wirkt hier in mehrfacher Hinsicht. Schmutzteilchen haften daran nicht so stark wie an herkömmlichen Anstrichen, ein Regen wäscht sie herunter.

Genau damit freilich ist die Achillesferse dieser Technik beschrieben: Gewaschen wird nur bei Regen. Wände, die oft im Lee liegen, bekommen insofern auch nur wenig ab, da muss man gegebenenfalls mit dem Gartenschlauch nachhelfen. Fachleute sehen den Vorteil solcher „Lotus“-Anstriche daher vor allem in der hydrophoben Wirkung: Fällt Wasser drauf, perlt es leicht herunter, die Wand ist schnell trocken. Damit bildet sie jedenfalls kaum mehr einen Nährboden für Pilze, Moose und Algen.

Bleibt noch die Frage der Langlebigkeit: Ein Lotosblatt ist ein Teil einer Pflanze, wird also bei Beschädigungen vom Organismus repariert und nach einem bestimmten Zeitintervall durch ein neues Blatt ersetzt. Hausfassaden hingegen sollten ein Jahrzehnt und länger ohne große Pflege durchhalten. Die Erfahrungen der vergangenen sechs Jahre, in denen es diese Stoffe gibt, lassen zwar hoffen, Genaues, vor allem über das Verhalten unter besonderen Einsatzbedingungen, weiß man freilich immer erst später.

An einer Hauswand kommt es nicht auf Hochglanz an – bei anderen Anwendungen jedoch durchaus. Und das führt zu einem Problem mit den „Lotus-Noppen“: Eine damit ausgestattete Oberfläche wird nie richtig glänzen. Fliesen im Bad, Handwaschbecken und andere Einbauten ohne Glanz – das ist nicht jedermanns Geschmack. Wie auch immer, ob matt oder Hochglanz: Die Oberfläche sollte so glatt wie möglich sein, und das nicht nur für Wasser, sondern für alles, was möglichst rückstandsfrei vom Waschbecken in den Abfluss gespült werden muss – Seifen, Öle und fetthaltige Emulsionen inklusive.

Es geht, aber wie? Genau das mögen zum Beispiel die Fachleute des Edel-Badausstatters Villeroy & Boch nicht sagen. Ihr Firmengeheimnis hüten sie seit 1999, als sie als erster Hersteller „selbstreinigender“ Keramik auf den Markt traten. Der klassische Lotuseffekt sei es nicht mehr, aber eben doch eine hydrophobe Oberflächenstruktur, aufgebaut in Nanogröße (millionstel Millimeter), die eine vergleichbar geringe Haftkraft auf die flüssigen Frachten ausübe, weil sie hochgradig glatt sei.

Was auch immer eingesetzt wird, in einem muss sich der stolze Besitzer vorsehen: Wenn er denn doch einmal putzteufelswild durchs Bad fegen will, darf er keine scharfen Scheuermittel verwenden. Denn die können die ausgeklügelten Oberflächen schnell zerstören. Immerhin gibt es bei Villeroy & Boch eine Beispielliste der Mittel, die angewandt werden dürfen. Meist reiche aber das Abwischen mit einem feuchten Tuch.

Ähnliche Rücksicht beim Putzen gilt auch „selbstreinigendem“ Fensterglas. Diese Scheiben sind mit einer hauchdünnen Schicht Titanoxid versehen. Die Substanz dient eigentlich als Pigment, strahlend weiße Reflexionen zu erzeugen. Weil sie völlig ungiftig ist, wird sie sogar in Zahnpasta eingesetzt sowie in Sonnenschutzcreme, wo sie die Aufgabe übernimmt, die Sonneneinstrahlung zu reflektieren. Baut man die kleinen Kristalle aber in einer ganz bestimmten Form auf (nach ihrem mineralischen Vorkommen „Anatas“ genannt), wirken sie elektrochemisch als Photokatalysator.

Unter dem Einfluss des UV-Lichts der Sonne zerlegen sie die Wassermoleküle der Luftfeuchtigkeit (in freie „Radikale“). Und die so freigesetzten Sauerstoffatome oxidieren viele Substanzen in ihrer direkten Nähe: von organischen Stäuben (Rußpartikel) bis hin zu Schimmelpilzen und Bakterien, heißt es.

Titandioxid bildet allerdings eine „Wasser liebende“ (hydrophile) Oberfläche. Darauf verteilt sich das Wasser besonders gut, es wird zu einem dünnen Film. Es soll ja den Schmutz gleichsam unterwandern und fortspülen. Und damit eignet es sich auch für „selbstreinigende“ Dachziegel. Der funktionelle Unterschied zur Badkeramik wird klar: Dort gilt es, belastete Flüssigkeiten direkt und konzentriert ablaufen zu lassen, ohne dass größere Flächen benetzt und vielleicht verunreinigt werden. Auf Dach und Fenstern hingegen lagern sich eher trockene Stoffe ab, die weitgehend zersetzt und deren Reste anschließend möglichst großflächig abgewaschen werden sollen.

Und die Entwicklungen gehen weiter: Inzwischen werden Imprägnierungen angeboten, die Glasflächen eben jenen „selbstreinigenden“ Effekt verleihen sollen, als Haltbarkeit der Beschichtung werden ein bis drei Jahre angegeben.

Auch in Wohnräumen sind Fortschritte zu erwarten. So experimentieren etwa Chemiker der Universität Erlangen mit dem Titandioxid, um seine photokatalytische Wirkung auch bei Kunstlicht zu aktivieren, also dort, wo es so gut wie keine UV-Strahlung gibt. Sie setzen dazu gezielt Kohlenstoffatome in die Kristalle der Verbindung. Nun wird untersucht, wie die vielen Frachten der Innenraumluft auf eine solche Wandfarbe reagieren.

Gideon Heimann

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