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Immobilien: Alte Werte, neuer Service

Lange galten sie als rückständig, nun haben sie wieder mehr Zulauf: Wie sich Wohnungsgenossenschaften modernisieren

Sie sind nicht immer die billigsten, aber sie bieten Sicherheit und Service. Sie galten einst als „hausbacken“, doch jetzt liegen sie wieder im Trend: Wohnungsgenossenschaften, vor über hundert Jahren als Arbeiter- oder Beamtenwohnungsvereine gegründet, erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Zwar gibt es keine Wartelisten mehr wie früher, als der so genannte „Genossenschaftsadel“ über Generationen hinweg in derselben Siedlung wohnte und neue Bewerber kaum eine Chance hatten. Aber auch die danach folgende Zeit des Leerstands scheint vorbei zu sein.

Bei der „Berolina“ zum Beispiel seien von 3200 Wohnungen derzeit nur fünf unbewohnt, sagt Vorstand Frank Schrecker. Auch andere Genossenschaften konnten die Leerstandsquoten von über fünf auf ein oder zwei Prozent senken. Eine Umfrage vom Jahresbeginn bestätigt den Trend: Drei von vier Berlinern kennen genossenschaftliches Wohnen, mehr als die Hälfte davon sieht hierin eine „echte Alternative zu Eigentum und Miete“, hat Forsa ermittelt, das ist eine erhebliche Steigerung gegenüber dem Jahr 2000.

Die Gründe sind vielfältig. „Vor fünf Jahren war es den meisten egal, bei wem sie wohnten. Hauptsache, die Wohnung gefiel“, sagt Schrecker, der auch Sprecher einer Imagekampagne ist, an der sich 24 Berliner Genossenschaften beteiligen. Doch durch die Wohnungsverkäufe kommunaler Gesellschaften seien die Mieter sensibilisiert, die Sicherheit des Wohnens stehe zunehmend im Vordergrund. „Genossenschaften profitieren von der Verkaufsdiskussion“, bestätigt Hans-Jürgen Hermann, Vorstandsmitglied der Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892. Bei vielen wächst die Furcht vor einer Umwandlung in Eigentumswohnungen, steigenden Mieten oder Eigenbedarfkündigungen. Bei Genossenschaften dagegen werden die Bewohner Mitglieder und damit „Miteigentümer des Unternehmens“. Dauernutzungsverträge sichern ihnen ein lebenslanges Wohnrecht und ein Nutzungsentgelt, das sich mit 3 bis 6 Euro (Nettokaltmiete) je Quadratmeter im mittleren Niveau des Berliner Mietspiegels bewegt.

Hinzu kommt, das viele der über 90 Berliner Genossenschaften mit insgesamt rund 190000 Wohnungen – das ist immerhin jede zehnte Wohnung in Berlin – in den vergangenen Jahren große Anstrengungen unternommen haben, ihren Bestand zu modernisieren sowie zusätzlichen Service anzubieten. Die „1892“ etwa bietet ihren Mitgliedern einen kostenlosen Concierge-Dienst sowie Altersvorsorgemöglichkeiten in Form der Riester-Rente und Ansparplänen. Die „Berolina“ wirbt mit dem – kostenpflichtigen – „Wohnplus-Programm“. Dazu gehören die Begleitung zu Ämtern, Hilfe in der Wohnung und ein Einkaufsservice. Andere Genossenschaften haben Cafés, Kunstkurse und Bibliotheken eingerichtet oder betreiben, wie der „Beamten-Wohnungs-Verein zu Köpenick“, Tennis-, Basketball- und Fußballplätze und sogar ein eigenes Schwimmbad. Zum Service gehören oft auch Mitgliederzeitschriften und Gästewohnungen. Für Ältere gibt es Senioren-Wohngemeinschaften oder innovative Wohnformen wie das Projekt „Offensives Altern“, in dem mehrere Generationen unter einem Dach leben. Wer in eine andere Stadt zieht, kann zudem über einen Genossenschaftsring eine neue Wohnung finden. Dieser „Zusatznutzen“ werde für viele Bewohner immer wichtiger, sind sich Schrecker und Hermann einig.

Neben Service ist die Sanierung der in die Jahre gekommenen und oftmals unter Denkmalschutz stehenden Siedlungen ein wesentlicher Faktor. Jede Wohnung werde vor einer Neuvermietung grundlegend modernisiert, sagt Schrecker. Dazu gehören der Austausch von Heizungen, Fenstern, Fußböden und Bädern sowie die Installation von Kabel- und Multimediaanschlüssen. Weil viele der als Arbeiterquartiere errichteten Wohnungen nicht mehr heutigen Anforderungen entsprechen, werden Grundrisse verändert und Wohnungen zusammengelegt. „Diese größeren Wohnungen werden uns förmlich aus den Händen gerissen“, sagt Hermann. Schrecker stellt besonders eine Nachfrage nach „mittleren“ Wohnungen mit 60 bis 70 Quadratmeter fest.

Wer bei einer Genossenschaft wohnt, hat nicht nur ein lebenslanges Wohnrecht. Die Mitglieder wählen zudem aus ihren eigenen Reihen Vertreter und können in Ausschüssen aktiv werden. „Man hat Einfluss auf die Gestaltung seines direkten Wohnumfelds“, sagt Renate Amann, Geschäftsführerin des Vereins Genossenschaftsforum. Außerdem gebe es eine Transparenz, was die Ausgaben angehe. Allerdings müssen Geschäftsanteile erworben werden – je nach Genossenschaft und Wohnungsgröße 500 bis 2500 Euro. Geht es der Genossenschaft finanziell gut, kann den Mitgliedern eine Dividende gezahlt werden.

Entstanden ist die Idee vor über hundert Jahren: Zuerst wurden eigentumsorientierte Genossenschaften gegründet, bei denen Wohnungen in Privatbesitz übergingen. Die Beamtenwohnungsvereine zeichneten sich durch eine gute Wohnqualität aus, waren aber für Staatsdiener reserviert. Es folgten Selbsthilfeprojekte für Arbeiter in der Stadt und für Siedler außerhalb. Diese unterschiedliche Klientel hat die Architektur geprägt. Funktioniert eine Genossenschaft gut, könne sie heute ebenso wie früher als „soziales Netz“ dienen, meint Renate Amann – gerade auch in Abstiegsquartieren: So hat die Charlottenburger Baugenossenschaft Ideen entwickelt, um Konflikte in Siedlungen mit schwieriger Sozialstruktur zu entschärfen.

Vereinzelt entstehen sogar wieder neue Genossenschaften – etwa in Prenzlauer Berg, wo Eigentümer einer Wohnanlage die „Bremer Höhe“ gründeten.

Jutta Burmeister

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