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Immobilien: Auf zu neuen Ufern

Wo im 19. Jahrhundert Palmöl hergestellt wurde, entstehen nun Wohnlofts mit eigenem Schiffsanleger. Im Frühjahr ist Baustart

Von Christian Hunziker

Nicht erst im Zeitalter der Ich-AG sind Existenzgründungen eine heikle Sache. Schon im 19.Jahrhundert erfuhr die Firma Rengert&Co., dass vermeintlich blendende Geschäftsideen einstweilen scheitern. Auf der Halbinsel Stralau, einige Kilometer östlich der Berliner Innenstadt, hatte Rengert einen aus mehreren Gebäuden bestehenden Fabrikkomplex zur Gewinnung von Pflanzenölen aus Palmkernen und anderen ölhaltigen Samen sowie Früchten errichtet – und ging 1899 pleite. Neue Technologien hatten die Produktion unrentabel gemacht.

Heute steht von den damaligen Fabrikgebäuden nur noch der sechsgeschossige, fünfzig Meter lange Palmkernölspeicher direkt am Ufer des Rummelsburger Sees. Nachdem er in den Jahrzehnten nach dem unrühmlichen Ende der Firma Rengert & Co. eine wechselvolle Geschichte durchlebte – er diente als Lagerhalle für Getreide und als Tierfutterfabrik –, wartet nun eine neue Herausforderung auf ihn: Vom Frühjahr 2004 an können gut verdienende Berliner hier die Vorzüge des Loft-Lebens genießen.

Pläne für eine solche Umwandlung zu Loft-Wohnungen gibt es schon seit Jahren. Doch die frühere Besitzerin, die Viterra AG, nahm das Unterfangen nie in Angriff und verkaufte den Speicher im Oktober 2002 an die Projektentwicklungsgesellschaft Haus & Grund mbh. Das vergleichsweise kleine Unternehmen will jetzt Nägel mit Köpfen machen: „Im April/Mai beginnen die Bauarbeiten“, sagt Heiko Haese, Assistent der Geschäftsleitung. Ein Jahr später sollen die 24 Lofts mit einer Wohnfläche zwischen 82 und 177 Quadratmetern fertig gestellt und für durchschnittlich 2300 Euro pro Quadratmeter an kapitalkräftige Käufer veräußert sein.

Den relativ hohen Preis führt Haese weniger auf eine aufwändig geplante Innengestaltung zurück als vielmehr auf den komplizierten Umbau zum Wohngebäude. So verfügt das Lagergebäude über ein einziges Treppenhaus – zu wenig für eine vernünftige Erschließung. Die beiden Architekturbüros (APK Architektur- und Planungsbüro Kreußler und Planungsbüro Schumann, beide Ostseebad Kühlungsborn) wollen deshalb das alte Treppenhaus entfernen und drei neue mit Aufzug einbauen. Das alte Treppenhaus schlagen sie den Wohnungen zu, so dass sich Bewohner eines abgerundeten Badezimmers erfreuen dürfen.

Abendrot am See

Entstehen sollen zum größten Teil zweigeschossige Maisonette-Wohnungen. Wie es sich für ein echtes Loft gehört, ist die Raumaufteilung, abgesehen von Bad und Küche, frei wählbar. Der Grundrissvorschlag der Architekten sieht kombinierte Wohn-/Essräume von bis zu 77 Quadratmetern Größe vor. Weniger großzügig bemessen ist die Deckenhöhe. Während umgebaute Fabrikgebäude gerne mal mit über vier Metern aufwarten, sind die Decken hier 2,40 Meter hoch, abzüglich gußeiserner Deckenstützensogar nur knapp über zwei Metern.

Kaum zu übertreffen ist dafür die Lage des Gebäudes direkt am Rummelsburger See. Der Blick über das Wasser wird die Bewohner wohl besonders in den Abendstunden erfreuen, wenn die Sonne den See in rotes Licht taucht. Damit die Eigentümer dies ausgiebig genießen können, lässt der Bauträger pro Wohnung zwei Balkone auf der Wasserseite anbringen; dass es sich dabei um die Nordseite handelt, ist den natürlichen Gegebenheiten geschuldet. Noch mehr Licht erhalten die außen liegenden Wohnungen, indem die bislang zugemauerten Giebelseiten große Fenster erhalten. Beiden Maßnahmen stimmte der Denkmalschutz laut Heiko Haese zu. Nur im Dachgeschoss verweigerten die Denkmalschützer den Balkonen ihr Placet. Zum Ausgleich wollen die Planer hier hohe Fenster anbringen. Und weil das oberste Geschoss im Gegensatz zu den unteren Stockwerken ausgesprochen luftig ist, bleibt auch Platz für den Einbau einer zweiten Ebene.

Für den Kauf der ganzen obersten Etage interessiert sich ein Investor aus München. Der möchte darin Apartments unterbringen und diese dann an Führungskräfte vermieten. Insgesamt sind nach Angaben von Haese etwa die Hälfte der Lofts reserviert. Eigennutzer und Kapitalanleger halten sich dabei die Waage; beide profitieren von den mit dem Denkmalschutzcharakter des Objektes verbundenen Abschreibungsmöglichkeiten von jeweils zehn Prozent über zehn Jahre.

Künftige Eigentümer, die ihre Einkäufe in der Nähe erledigen wollen, werden enttäuscht. Nur ein Zeitungshändler und eine Bäckerei mit Café gibt es am Anfang der Straße Alt-Stralau. Eine für Läden und Gewerbebetriebe vorgesehene Erdgeschosszone im viertelkreisförmigen Neubau direkt vor dem Speicher steht fast völlig leer. Zum Einkaufen sind die Stralauer aufs Auto angewiesen – obwohl „die Parkplatzsituation auf der Halbinsel nicht optimal ist“, wie Haese einräumt. Im Erdgeschoss des Speichers schafft der Bauherr daher Raum für sechs Stellplätze und will darüberhinaus weiteren Parkraum in bestehenden Garagen der Umgebung anmieten.

Darüber hinaus gibt es Überlegungen, auf einem der noch nicht bebauten Grundstücke einen Parkplatz oder eine Garage für Anwohner zu errichten, so Heike Brandhorst, Pressesprecherin der als treuhänderische Entwicklungsträgerin für das Entwicklungsgebiet Rummelsburger Bucht tätigen Wasserstadt GmbH. Voraussetzung sei aber die Zustimmung des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg. Dabei wollten die Politiker die Halbinsel Stralau als Modellprojekt für autoarmes Wohnen positionieren – obwohl die Anbindung an den öffentlichen Verkehr mit zwei im Zwanzig-Minuten-Takt vorfahrenden Buslinien schlecht ist.

Da dürfte ein anderes Verkehrsmittel praktischer sein: Mit dem Boot können die Loftbewohner an ihrer persönlichen Landestelle vor der Haustür anlegen.

Weitere Infos: Haus und Grund, Telefon: 23624134oder im Internet: www.speicher-stralau-gmbh.de

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