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Immobilien: Aus der Reihe tanzen

Im Norden Berlins hat eine Architektin ein Reihenhaus aus den 1930er Jahren nach allen Regeln der Kunst saniert – ein Altbau mit Neubaustandard

Berlin gilt nicht gerade als Hochburg des ökologischen Bauens. Solarsiedlungen gibt es hier nicht, und im Bürobau verweisen die Experten lediglich auf das GSW-Hochhaus mit seiner viel gepriesenen Doppelfassade oder sie führen den Reporter ins Regierungsviertel, weil die Technik dort aus Rapsöl Strom erzeugt. Dabei gerät der mögliche Beitrag von Hauseigentümern oft aus den Augen – obwohl 40 Prozent des Primärenergieverbrauchs hier zu Lande auf das Heizen von Gebäuden entfällt.

Immobilieneigentümer können Energie einsparen, indem sie veraltete Heizkessel auswechseln und die Wärmedämmung verbessern. Auch der Einbau dichterer Fenster und Türen wird oft empfohlen, immer noch eher selten ist die Gewinnung von Erdwärme, Sonnenwärme und Solarstrom (siehe Kästen). Dagegen ist das Plus-Energie-Haus, also das Haus mit positiver Energiebilanz, bereits Wirklichkeit, zumindest im sonnenverwöhnten Freiburg. Im manchmal diesigen Berlin ist Niedrigenergiestandard realisierbar. Im Neubau ohnehin. Aber auch bei der Sanierung älterer Häuser, wie jetzt zu sehen in Spandau.

Viele Möglichkeiten und Angebote hatte Familie S. aus Spandau geprüft, doch schließlich ließ sich die buchstäblich naheliegendste Lösung verwirklichen: Das Nachbarhaus stand zum Verkauf, statt 113 verfügte es über üppige 170 Quadratmeter, denn als Reihenendhaus der Wohnanlage aus dem Jahr 1937 ist es eine Fensterachse breiter als das angrenzende Mittelhaus.

Für einen Architekten ist es riskant, für Bauherren aus dem Freundeskreis tätig zu werden, will er die Freundschaft nicht aufs Spiel setzen. Die Berliner Architektin Anja Beecken ging das Risiko ein, lieferte der befreundeten Familie die Planung für die Sanierung, besorgte die Bauleitung – und ist noch immer gern gesehener Gast im Hause.

Und das obwohl fast das ganze Haus umgebaut wurde, um Räume anders zu organisieren, neue Bäder und winddichte Fenster einzufassen, Installation und Heizung zu erneuern und einen Wintergarten anzufügen. Der Keller sollte saniert und nutzbar gemacht werden. Im Erdgeschoss waren Wände und eine Toilette zu entfernen, um großzügigere Räume und eine offene Küche zu gewinnen. Im Obergeschoss waren Dielen abzuziehen, das Dachgeschoss sollte eine breite Gaube mit Gartenblick erhalten und als großes, später teilbares Kinderzimmer genutzt werden. Platzreserven gibt es in der nicht benutzten Garage, die zum Arbeitszimmer werden könnte, sowie über der Garage, die baurechtlich noch einen eingeschossigen Aufbau erlauben würde.

Die Kosten für diesen Aufwand liegen inzwischen auf dem Tisch: Rund 170000 Euro. Aber nur, weil neben den Umbauten das Haus auf den neusten technischen Stand gebracht wurde. Die ursprünglich geplante konventionelle Altbausanierung hätte 145000 Euro gekostet. Doch einen großen Teil dieser Differenz bezahlt der Staat durch Zuschüsse und zinsgünstige Kredite. So überzeugte Anja Beecken nach entsprechenden Planänderungen und erneuter Ausschreibung der Bauleistungen, nach Ermittlung von Fördermöglichkeiten und neuerlichen Kostenberechnungen ihren Auftraggeber, ein ehrgeiziges Ziel anzugehen: Die Errichtung eines Niedrigenergiehauses.

Die noch in gutem Zustand befindliche Putzfassade konnte beibehalten werden. Gespart wurde der sonst übliche, 12 Zentimeter starke Wärmedämmputz. Gespart wurden auch die Heizkörper, denn in alle Außenwände, Dachflächen und Teile der Innenwände sowie in Fußböden sind Kapillarrohrmatten eingebaut. In ihnen zirkuliert das Heizwasser, das nur eine geringe Vorlauftemperatur von 25 Grad Celsius benötigt. Diese moderate Temperierung hält einerseits die Wärmeverluste der Außenwände in Grenzen und sorgt im Inneren durch sanfte Strahlungswärme für ein sehr angenehmes, gleichmäßiges Raumklima. Natürlich ist das System im Ganzen thermostatgesteuert und hält die Wandtemperatur auf konstant 22 Grad Celsius, dennoch können die Hausbewohner auch raumweise individuell heizen, indem sie die Wärme von Innenwänden und Fußböden individuell regulieren.

Wärme aus dem Erdreich

Vor allem die Räume mit Steinfußböden, dazu zählen Küche und Wintergarten sowie die Bäder, gewinnen durch die Fußbodenheizung an Wohnkomfort: Hier kann man sogar im Winter barfuß laufen. Energiesparend ist das Röhrenwerk dank der 20 Quadratmeter Sonnenwärmekollektoren auf dem Dach, deren Ertrag über eine Wärmepumpe in das System eingebracht wird. Tages- und jahreszeitliche Ertragsschwankungen gleicht ein Erdspeicher aus, den die Architektin unter Terrasse und Wintergarten eingebaut hat. Dort liegen vier Lagen Kunststoffröhren in einer dichten, an den Seiten sowie oben wärmegedämmten Sandpackung und heizen das Erdreich bei Sonnenschein auf bis zu 22 Grad auf.

Diese Wärme speichert der Tank über längere Zeit und gibt sie im Bedarfsfall wieder ab. Bei der Wärmerückgewinnung ist die niedrige Vorlauftemperatur der Heizungsanlage wiederum ein großer Vorteil, denn die Wärmepumpe arbeitet bei geringen Temperaturdifferenzen am effektivsten. In dem mit einem beeindruckenden Gewirr von Röhren und Aggregaten bestückten Heizungskeller ist zur Sicherheit auch ein Heizkessel aufgestellt. Die Solartechnikfirma geht jedoch davon aus, dass der Kessel nicht benötigt wird.

Was liegt näher, als dem schlauen System für den Sommer auch noch das Kühlen beizubringen? Die Wärmepumpe schaufelt Erdkälte ins Haus; und die Bewohner können ein Kühlaggregat zuschalten. Auf diese Weise kühlt dieselbe Technik, die sonst heizt, im Sommer den Wintergarten sowie das ebenfalls wärmebelastete Dachgeschoss und das Schlafzimmer.

Einige Nachteile haben die Kapillarrohrwände allerdings. So können die Hausbewohner nicht einfach einen Nagel in die Wand schlagen, um ein Bild aufzuhängen, sondern können dies nur an dafür vorgesehenen Stellen tun. Auch ist es nur mit erhöhtem Aufwand möglich, nachträglich Steckdosen oder andere Installationen in die Wände einzubauen. Sollte es Schäden geben, halten die sich auf Grund des geringen Wasserdrucks in Grenzen und lassen sich ohne großen Aufwand beheben.

Da keine Heizkörper unter den Fenstern gebraucht werden, konnte die Architektin die Fensteröffnungen an der Gartenseite bis zum Boden führen. Durch die großen Fenster und die großzügige Terrasse orientiert sich das Haus nun viel stärker Richtung Garten und Ufer des Wassergrundstücks. Besonders einladend wirkt zu jeder Jahreszeit der Wintergarten, eine solide Stahlkonstruktion mit Sonnenschutzverglasung und Schattenrollos; auch er mit der sanft strahlenden Kapillarheizung an der Rückwand.

Zur Straße hin hatte der Denkmalschutz ein Wort mitzureden. Dennoch wurden sprossenlose Fenster eingebaut und das Haus unhistorisch karminrot gestrichen, wodurch es unter seinen unschlüssig blassweißen oder eierschalfarbenen Nachbarn gänzlich aus der Reihe fiele, wenn es nicht ohnehin den Endpunkt der Zeile bilden würde.

Vielleicht hätte sich durch eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung oder durch zusätzliche Solarstromkollektoren eine noch bessere Energiebilanz erzielen lassen. Doch Luftkanäle sind im Altbau nur schwer zu verlegen und auf dem nach Südosten geneigten Dach war für Photovoltaik auch kein Platz mehr. Weitere Hilfskonstruktionen für Solarpaneele gehen aber mächtig ins Geld und zehren an der Wirtschaftlichkeit.

Kürzlich ist Familie S. von einer Haustür zur anderen drei Meter weiter umgezogen. Die letzten Handwerker ziehen durchs Haus und verrichten Nachbesserungsarbeiten. Um den Garten werden sich die Bewohner im Frühjahr kümmern. Unterdessen üben sie sich in der Bedienung und Programmierung der Heizungsanlage, die, soll sie ihre Qualitäten entfalten, (noch) nicht sich selbst überlassen bleiben kann. Im Übrigen warten die Nutzer nun in den neuen, nach eigenem Geschmack gestalteten Räumen geduldig, dass sich die installationsbedingten Mehrkosten des Hauses in Höhe von – Förderungen berücksichtigt – 7000 Euro im Lauf der Jahre amortisieren. Zehn Jahre soll es nach derzeitigen Berechungen dauern, doch jede Ölpreiserhöhung bringt sie ein paar Wochen oder gar Monate schneller zum Ziel.

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