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Ausstellung der Architektenkammer im Stilwerk: Wie aus einer anderen Zeit

Die Jahresausstellung der Architektenkammer zeigt vorbildliche Bauten von Berliner Büros. Die Vorzeigeprojekte scheinen aber wie aus einer anderen Zeit zu stammen. Denn auf die Frage, wie schnell und preisgünstig Wohnraum geschaffen werden kann, geben sie keine Antwort.

Berlin wächst alsbald auf vier Millionen Einwohner, Berlin zieht junge Arbeitnehmer an, junge Familien, Berlin beherbergt jetzt bereits 80.000 Flüchtlinge – mit einem Wort, Berlin benötigt Wohnraum. Nicht hier und da ein paar Einfamilienhäuser oder einen Lückenschluss, sondern richtig viele Wohnungen. Wohnungen, die „bezahlbar“ sein sollen, was immer das konkret heißen mag.

Jedenfalls könnte die Ausstellung „da! Architektur in und aus Berlin 2016“ nicht aktueller sein und notwendiger. Die Architektenkammer Berlin, Vertretung von rund 8300 Architekten, Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplanern, veranstaltet sie zum 13. Mal im Foyer des Stilwerks, begleitet von einem Katalog, der alle 67 ausgewählten Projekte auf jeweils einer Doppelseite vorstellt.

Alle Projekte mussten im Jahr 2015 fertiggestellt worden sein. Das war, so die Erinnerung nicht alles verklärt, das letzte Jahr einer kontinuierlichen, freilich auch schon deutlich nach oben zeigenden Entwicklung auf dem Immobilienmarkt, doch noch ohne die fatalen Ausschläge, die in den zurückliegenden Monaten immer schärfer hervortraten. Und noch ohne die Herausforderung, Abertausende von Flüchtlingen als Zuwanderer auf Dauer zu begreifen und entsprechend für ihre Unterkunft zu sorgen.

Unter diesen Auspizien einer – man darf wohl sagen, krisenhaften – Zuspitzung scheinen die Vorzeigeprojekte wie aus einer anderen, kaum jemals mehr zurückkehrenden Epoche zu stammen.

Wohnkultur des heutigen Mittelstands in der Blüte des Lebens

Da gibt es die Lückenschließungen in den angesagten Wohngebieten von Kreuzberg, Friedrichshain und Prenzlauer Berg. In Hinsicht dieser Bauaufgabe hat sich in Berlin ein bemerkenswerter Qualitätsstandard herausgebildet. Was Schenk Perfler Architekten in der Wrangelstraße, Welter + Welter Architekten in der Libauer Straße oder Zanderroth Architekten in der Christburger Straße entfalten, ist die Wohnkultur des heutigen Mittelstands in der Blüte des Lebens (und des Lebensplans), mit bodentiefen Fenstern oder großflächigen Terrassen, bodengleichen Duschen oder barrierefreiem Zugang, Gemeinschaftsgarage im Keller und eigenem Blockheizkraftwerk auf letztem Stand der Energieeinsparverordnung.

Ebenso mag man von den Umbauvorhaben schwärmen, etwa von Ingenbleek beim Taut-Haus am Engelbecken, jahrzehntelang Mauersperrgebiet und nun Auslauffläche für wahrlich großzügige Wohnideen. Dass das einstige „Kaiserliche Arbeitshaus“ in Rummelsburg mit seiner noblen Backsteinfassade vom Stadtbaurat Hermann Blankenstein anno 1879 von AFF Architekten teilweise in Maisonettes mit Dachterrassen umgeformt werden konnte, spricht Bände.

Wunderschön der Umbau der Alten Schönhauser 15, einem im Kern barocken Gebäude, durch nps Tchoban Voss in einer Geschichte nicht imitierenden, sondern in ihrem Gehalt aufschließenden Weise. Nur: Die Gentrifizierung dieses Teils von Mitte wird mit solchen Vorhaben aufs Schönste befördert. Über den Luxus einer dreigeschossigen Villa in Pankow des Büros Code of Practice braucht man erst recht kein Wort zu verlieren: Das ist Höchststandard für die happy few.

Im Forschungsministerium genießt die Energieeffizienz höchste Priorität

Auch bei Büroflächen stellt sich die Frage nach der Umnutzung vorhandener Substanz. Ein nüchtern-funktionales Beispiel liefern Klaus Schlosser Architekten mit dem Umbau von DDR-Industriebauten an der Greifswalder Straße. Wie die Sanierung eines Gebäudeinneren gelingen kann, zeigen Maedebach & Redeleit Architekten mit einem denkmalgeschützten Bau des Jahres 1903 – herrlich, wie etwa die befensterten Türen mit ihren Profilen aufgearbeitet wurden.

Ein Neubau ganz im Stil des „Steinernen Berlin“ ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung nahe dem Hauptbahnhof von Heinle, Wischer und Partner, bei dem – dem Nutzer gemäß – die Energieeffizienz höchste Priorität genießt.

Seit jeher bedeutend sind in Berlin die Bereiche Bildung, Wissenschaft und Kultur. Chestnutt Niess, die 1988 mit der Bibliothek am Luisenbad (Gesundbrunnen) ihren Einstand gaben, haben ein ähnlich einladendes Ensemble um die alte Feuerwache in Niederschöneweide als „Mittelpunktbibliothek“ entworfen.

Ein zauberhaftes Kleinstprojekt ist die Umgestaltung der Kita "Tiger, Panther und Co."

Doch große Vorhaben wurden 2015 außerhalb verwirklicht: so die Sanierung plus Umbau des Stuttgarter Schauspielhauses durch Klaus Roth oder der weiträumige Anbau zum Westfälischen Landesmuseum in Münster durch Volker Staab. Auch den pfiffigen Umbau des Gasometers Pforzheim zur Präsentation von Panoramabildern durch Aescht & Berthold darf man hierzuzählen.

Ein zauberhaftes Kleinstprojekt: die Umgestaltung eines Zwischenraums der Kita „Tiger, Panther und Co.“ durch Motaleb Architekten: Bruttogrundfläche 22 Quadratmeter. Im aufstrebenden Moabit, na klar, da ist Kita-Namenspatron Kurt Tucholsky schließlich aufgewachsen – und zwar in genau diesem Haus Lübecker Straße 13.

Was den Erwachsenen der Carport, sei dem Nachwuchs das Buggy Bin

Beim Kapitel Verkehrsbauten gibt es nur zwei Würdigungen, ein riesiges Parkhaus am Hamburger Flughafen von Riegler Riewe Architekten – und eine Kinderwagengarage. Jawohl, richtig gelesen: ein wetterfester Unterstand für bis zu 13 Kinderwagen von Legeer Architekten mit dem hübschen Namen „Buggy Bin“. Wenn man weiß, was Eltern heutzutage für Vorzeigekinderwagen ausgeben, ist das nur konsequent. Was den Erwachsenen der Carport, sei dem Nachwuchs das Buggy Bin. Auch diese exotische Blüte ist Ausdruck unserer Wohlstandsgesellschaft; ebenso – um eine ganz andere Bauaufgabe hinzuzufügen – wie der Einbau einer zweigeschossigen Zahnarztpraxis in den stuck- und goldverzierten Ballsaal von Haus Cumberland.

Das begleitende Jahrbuch „Architektur Berlin“ liefert zusätzlich zu den Objektdarstellungen Einführungstexte zu den einzelnen Kapiteln. Die sind durchweg im Bewusstsein der aktuellen Fragen von Bauen und Gesellschaft verfasst. Cornelia Dörries, Redakteurin des „Deutschen Architektenblatts“, gibt ihrem Beitrag den programmatischen Titel „Wohnen XS“.

Wer wollte sich mit weniger zufriedengeben?

Die Zahl von 45 Quadratmetern Wohnfläche je Kopf der bundesdeutschen Bevölkerung sagt alles über den langjährigen Trend. Wer wollte sich mit weniger zufriedengeben – es sei denn, alle Annehmlichkeiten würden geboten, wie sie in den oben erwähnten Musterprojekten selbstverständlich sind?

Wir werden nicht darum herumkommen, nicht nur die Größen, sondern auch die Ausstattungsstandards zu senken, soll es gelingen, in kürzeren Fristen große Zahlen an neuen Wohnungen bereitzustellen. Dazu verlautet das Jahrbuch kaum etwas. Das Beispiel des ehemaligen Postscheckamtes am Halleschen Ufer, das der – stets den Puls der Zeit fühlende – Eike Becker zu Edelwohnungen für „mobile Berufstätige mit geringer Bodenhaftung“ umbaut, ist weniger hilfreich. Auf die Projekte, die Berlin in die Zeit nach dem Flüchtlings-Urknall von 2016 führen, die zudem die schiere Notwendigkeit mit dem Anspruch auf Baukultur versöhnen, müssen wir mindestens bis zur nächsten Ausgabe von „da!“ warten – und hoffen.

Stilwerk, Kantstraße. 17. bis 9. April, Montag bis Sonnabend, 8 bis 20 Uhr. Jahrbuch (Verlag Braun), ISBN 978-3-03768-206-7, 29,90 Euro.

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