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Zukunftsmusik. Auf dem ehemaligen Behala-Gelände, auf dem sich der historische Viktoriaspeicher befindet, könnten rund 600 Wohnungen in schöner Spreelage entstehen.

© imago

Behala-Gelände: Störfall in Kreuzberg

Seveso-Richtlinie der EU torpediert Baupläne. Galvanisierbetrieb pokert um Entschädigung für den Umzug an einen neuen Standort.

Wohnungsbau ist für den Berliner Senat das Gebot der Stunde. Stadtbrachen haben keine Zukunft mehr. Dabei mutieren früher trostlose Uferstreifen zusehends zu begehrten Lagen für Wohnen, Gewerbe und Kultur, wie etwa an der Köpenicker Straße auf der Kreuzberger Spreeseite. Der Bauelan wird dort auf dem ehemaligen Behala-Gelände im Moment allerdings gebremst, weil die notwendige Umsiedlung eines Galvanisierbetriebes in unmittelbarer Nachbarschaft stockt.

Hintergrund ist die sogenannte Seveso-II-Richtlinie der EU. Sie besagt, dass erst in „angemessenem Abstand“ zu einem „Störfallbetrieb“ Bauvorhaben genehmigt werden können. Durch das Unternehmen Oberflächentechnik Kläke GmbH (Otek), das an der Köpenicker Straße genau gegenüber vom ehemaligen Hafengelände einen Produktionsstandort hat, ist damit eines der größten innerstädtischen Wohnungsbauprojekte im Moment blockiert.

Bis vor etwas mehr als zwei Jahren war das Gelände, auf dem sich der historische Viktoriaspeicher befindet, im Besitz der städtischen Berliner Hafengesellschaft Behala. Dann erwarb der Investor, die Schimmang Spreepark GmbH aus Stuttgart, das Terrain für den auch vom Land Berlin gewünschten Wohnungsbau. Doch dem stehen nun die Seveso-Richtlinie und der Störfallbetrieb Otek vom Kreuzberger Hinterhof auf der anderen Straßenseite entgegen.

Seit Jahren schon, so berichten Insider, werde die Angelegenheit zwischen den zuständigen Behörden, der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg „wie eine heiße Kartoffel“ hin- und hergeschoben. Eine Lösung des Konflikts wäre die Verlagerung des Galvanisierbetriebes. Die ist so gut wie beschlossene Sache, vor allem aber eine Frage des Geldes.

Der Investor verhandelt mit dem Senat

Mit dem Thema hat sich zuletzt am 20. März 2013 die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg befasst. Dort wurde vermerkt, dass der Investor sich an den Kosten der Umsiedlung von Otek beteiligen will. Die BVV stellte allerdings auch fest, dass Otek für einen Umzug „nicht nur finanzielle Unterstützung für die Umsiedlung an einen besser geeigneten Standort, sondern auch einen hohen Anteil an der Wertsteigerung des Hafengeländes durch besseres Baurecht“ verlange. Dies sei nicht hinnehmbar. „Günstige Wohnungen am Spreeufer – Überzogene Umsiedlungsrendite stoppen!“, so lautete denn auch die Überschrift des entsprechenden BVV-Beschlusses vom 20. März 2013.

Nach jahrelangen Verhandlungen ist für den Kreuzberger Galvanik-Betrieb ein Ausweichstandort am Stadtrand im Gespräch. Doch dazu müssen erst alle Voraussetzungen geschaffen werden. Otek-Geschäftsführer Roman Kläke sitzt im Moment noch nicht auf gepackten Koffern. Zur aktuellen Situation eines möglichen Umzugs sagte er dem Tagesspiegel: „Mit dem Investor sind wir uns einig. Jetzt verhandelt der Investor mit dem Senat.“ Was dort miteinander vereinbart werde, interessiere ihn nicht, erklärte der Juniorchef. Bedenken wegen einer möglichen Bodenverunreinigung auf dem Grundstück des Familienunternehmens möchte Roman Kläke gar nicht erst aufkommen lassen: „Unser Grundstück ist altlastenbefreit.“

Und Investor Schimmang teilt im Vorfeld der nächsten Ausschussitzung im Bezirksamt via Tagesspiegel schon einmal mit: „Wir werden alle Wünsche der Bezirksverordnetenversammlung erfüllen.“ „Die Vorstellungen des Investors liegen im Rahmen dessen, was der Bezirk möchte“, sagt der zuständige Baustadtrat Hans Panhoff auf Anfrage dieser Zeitung. Damit dürften zunächst aufgekommene Überlegungen für ein über zwanzigstöckiges Hochhaus vom Tisch sein.

Am 22. Januar werden in Kreuzberg die Baupläne vorgestellt

Nach einem früheren Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung sollen in allen Bebauungsplanverfahren zur Schaffung von Wohnraum in Friedrichshain-Kreuzberg 20 bis 30 Prozent der Wohnungen „für Menschen mit mittlerem, geringem und keinem Einkommen“ bereitstehen. Dies könne durch den Abschluss eines städtebaulichen Vertrages gesichert werden, eine Vorgehensweise, die auch auf dem einstigen Behala-Gelände möglich wäre.

Die Hängepartie in Sachen Otek aber macht die ganze Angelegenheit verzwickt. Das Bezirksparlament möchte, dass die Senatsverwaltung – wie früher bereits zugesagt – die Umsiedlung fördert. Auch Stadtrat Panhoff sieht die Senatsbehörde für Stadtentwicklung am Zuge. Von dortiger Seite war aber trotz mehrmaliger Anfrage keine Stellungnahme zur Zukunft des Behala-Geländes zu erhalten. Das mag auch an der Vergangenheit des Vorgangs liegen: Als die Behala das Gelände verkaufte, fühlte sich der Bezirk hintergangen – bzw. schlecht informiert, wie es offiziell hieß. Der frühere Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) prophezeite „noch spannende Diskussionen um diese Fläche“. Die Behala sei zwar nicht verpflichtet, dies vorher dem Bezirksamt bekannt zu machen, er hätte sich aber gewünscht, „dass es vor dem Hintergrund der bisherigen stadtentwicklungspolitischen Debatte (...) zu einer breiteren Einbindung der Akteure gekommen wäre“.

Dazu besteht nun bald Gelegenheit. Stadtrat Panhoff bestätigte, dass Schimmang seine Baupläne am 22. Januar in Kreuzberg vorstellen will. Auf den insgesamt 4,2 Hektar Uferland ist nach dem derzeit noch gültigen Bebauungsplan eine „urbane Mischung“ mit Wohnungsbau, kleinem Gewerbe und einem großzügigen öffentlichen Uferweg angedacht. Nach der zulässigen Baudichte könnten rund 600 Wohnungen in schöner Spreelage entstehen. Im Moment stellt sich das Areal keineswegs wie ein künftiges Wohnbaugebiet dar. Ein Papierrecycling-Unternehmen presst Altmaterial zu großen Ballen, eine Sicherheitsfirma berät über Spezialschlösser, und ein linksalternatives Getränkekollektiv verkauft Glühapfelwein, Naturkostsäfte und Partisan Vodka.

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