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Immobilien: Blasser Dunst

Was hat es auf sich, wenn Bauphysiker bei Neubauten von „Trockenwohnen“ sprechen?

WAS STEHT INS HAUS?

Wir verwalten Mietwohnungen und übernehmen regelmäßig neu errichtete und sanierte Mietwohnbauten in unseren Bestand. In einem Seminar sprach ein Referent über Baufeuchte in Neubauten und sanierten Gebäuden und, dass deswegen in den ersten Jahren die Wohnungen „trocken gewohnt“ werden müssten, damit Baufeuchtigkeit und ggf. Restfeuchtigkeit in der Baukonstruktion nach längerem Leerstand sanierter Gebäude ausdiffundieren kann. Da mir dieser Begriff bisher nicht bekannt war, frage ich an, was er zu bedeuten hat und ob dies auch tatsächlich zutrifft.

WAS STEHT IM GESETZ?

Der Begriff des „Trockenwohnens“ stammt aus der Gründerzeit Berlins, als in den Jahren zwischen circa 1880 und 1910 in kurzer Zeit Mietshäuser errichtet wurden. Durch die Verwendung nass zu verarbeitender Baustoffe werden Mengen an Wasser in das Gebäude eingebracht. Auch wenn ein Großteil des Wassers während des Abbindeprozesses der Baustoffe verdunstet, verbleibt ein Feuchteanteil auch nach Fertigstellung in den Baustoffen und kann nur langfristig ausdiffundieren. Um die traditionell errichteten Mauerwerksbauten zu entfeuchten, wurden sie als Rohbau in der Regel bis zum Winter errichtet, um sie dann während der kalten Jahreszeit „ausfrieren“ zu lassen. Das Anmachwasser des Mörtels verdunstete dadurch schneller. Wurden Decken und Wände verputzt und angestrichen, wurde dem Gebäude wieder viel Wasser zugesetzt. Es war damals schon bekannt, dass nur durch intensives Beheizen und Lüften der Räume die Baufeuchtigkeit abgeführt werden konnte. Deshalb wurden in den ersten zwei Jahren diese Wohnungen vorwiegend zu einem sehr geringen Mietpreis an Einkommensschwache vermietet, die so zum einen eine billige Bleibe erhielten, gleichfalls aber gezwungen waren, zu heizen, weil sie sonst auf Dauer krank wurden. Obwohl der Begriff des „Trockenwohnens“ heute nicht mehr in unserem Sprachgebrauch vorhanden ist, sich auch nicht in Normen oder Gesetzeswerken wiederfindet, ist dennoch die physikalische Wirkungsweise geblieben.

UND WIE STEHEN SIE DAZU?

Auch wenn seit der Gründerzeit Berlins etwa 130 Jahre vergangen sind, hat sich bei den meisten gegenwärtigen Bauweisen die Menge des eingebrachten Bauwassers nicht wesentlich verändert. Obwohl zwar bei bestimmten Außenwandsystemen Anmachwasser gegenüber traditionellem Mauerwerksbau erspart wird, entstehen massive Geschossdecken mit Estrichen aus nass verarbeiteten Baustoffen, gegenüber den zuvor traditionell eingesetzten Holzbalkendecken. Die übrigen Baugewerke benötigen etwa gleich viel Wasser wie in der Vergangenheit auch dadurch bedingt, dass sich Bauteilschichten und Bauarten veränderten. Das Problem der herstellungsbedingten Baufeuchte ist aber geblieben. Die neu errichtete Wohnung muss nach wie vor „trockengewohnt“ werden. Aus mietrechtlichen Gründen wird nur nicht mehr darüber gesprochen.

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