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Brachen: Wohnen zwischen Ost und West ist nicht grenzwertig

20 Jahre nach dem Fall der Mauer ist aus dem Todesstreifen oft Bauland geworden.

Manchmal, erzählt Hotelmanagerin Simone Gwosdz, sind die Gäste des Adina Apartment Hotels Checkpoint Charlie schon etwas irritiert, wenn sie vor der Herberge in der Krausenstraße aus dem Taxi steigen und dann feststellen, wo sie gelandet sind. Mitten in der Stadt, gewiss – doch gleichzeitig im Niemandsland. Links vom Hotel erstreckt sich eine Brache, nicht weit entfernt leuchten die Fenster des Springer-Verlags, auf der anderen Seite ragen die Wohnhochhäuser der Leipziger Straße in den Himmel: Willkommen im einstigen Grenzgebiet.

Zwanzig Jahre nach dem historischen 9. November hat sich der ehemalige Mauerstreifen sehr unterschiedlich entwickelt. An einigen Stellen ist eine fast idyllische Parklandschaft entstanden – zum Beispiel entlang dem Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal, wo ganz in der Nähe des Hauptbahnhofs eine angenehme Promenade angelegt wurde. Auch der neben der O2 World gelegene East Side Park in Friedrichshain lädt zum Aufenthalt ein – wobei das erhaltene Mauerstück der East Side Gallery selbst historisch wenig vorbelasteten Besuchern vor Augen führt, welche Geschichte mit dem Standort verbunden ist.

Eine zweite Kategorie bilden die Gedenkorte. Dazu zählt der Checkpoint Charlie an der Kreuzung Friedrichstraße/Zimmerstraße, wo nach dem Scheitern früherer Investitionspläne jetzt eine provisorische Ausstellung an die deutsch-deutsche Teilung erinnert, vor allem aber die Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße. Diese wird derzeit nach einem 2007 in einem Wettbewerb ausgewählten Entwurf erweitert. Auch der Neubau für die Topographie des Terrors in der Niederkirchnerstraße nimmt direkt neben der ehemaligen Mauer Gestalt an.

Vielerorts aber ist der einstige Mauerstreifen normales Bauland geworden. Die Voraussetzung dafür hatte die Bundesrepublik 1996 mit dem Mauergrundstücksgesetz geschaffen. Demnach wurden die Mauergrundstücke nicht an die ehemaligen Eigentümer zurückgegeben; diese erhielten aber die Möglichkeit, die Grundstücke zu einem Viertel des Verkehrswerts zu erwerben.

Das bedeutet freilich nicht, dass der gesamte Grenzstreifen bebaut worden wäre. Wenige Meter östlich vom Adina-Hotel in Mitte beispielsweise und damit in bester Innenstadtlage erstrecken sich noch immer riesige, mit Bäumen bestandene Brachflächen. Allerdings werden es allmählich weniger: Vor kurzem haben die Groth-Gruppe und die Reggeborgh-Gruppe mit den Bauarbeiten an ihrem Projekt „Wohnen am Spittelmarkt“ begonnen. Zwischen Seydel- und Neuer Grünstraße entstehen bis 2011 knapp hundert edle Eigentums- und Mietwohnungen. Trotz Kaufpreisen von 2400 bis 3400 Euro beziehungsweise Kaltmieten von 9,50 bis 13 Euro pro Quadratmeter haben nach Angaben des Bauherrn bereits 20 Prozent der Einheiten einen Käufer gefunden.

Nach einer Erhebung des Marktforschungsinstituts BulwienGesa sind im unmittelbaren Umfeld des Groth-Projekts vier weitere Bauvorhaben mit insgesamt 126 Wohnungen in Bau oder in Planung. So errichtet eine Baugruppe in der Neuen Grünstraße 15/16 ein Musikerhaus, und gleich um die Ecke, in der Seydelstraße 16/17, steht der Rohbau eines Apartmenthauses des Investors G + P Immobilien Consult aus Münster. Doch nicht alle Projektentwickler auf dem ehemaligen Mauerstreifen sind erfolgreich. Die Fellini-Residences des niederländischen Investors Harry van Caem sind noch immer nicht über den Verkaufspavillon an der Kommandantenstraße hinausgekommen, obwohl der Baubeginn für die 72 Wohnungen eigentlich für 2008 angekündigt war. Noch in einem frühen Stadium befindet sich ein weiteres Vorhaben: Der Architekt Tobias Nöfer hat im Auftrag des Bauherrn Bilfinger Berger Real Estate Management eine Projektstudie für eine Anlage mit 120 Wohnungen an der Beuthpromenade erarbeitet, wie aus einer soeben erschienenen Broschüre über Bauvorhaben am ehemaligen Mauerstreifen im Bezirk Mitte hervorgeht.

„Erstaunlich ist, dass einige Bereiche erst jetzt, zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer, mit einer konkreten planerischen Lösung bedacht werden“, schreibt Ephraim Gothe, Stadtrat für Stadtentwicklung des Bezirks Mitte, im Vorwort dieser vom Bezirk sowie vom Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin herausgegebenen Publikation. Manche Lösung gefällt dem Politiker indes nicht: Dass etwa im Zuge des Neubaus für den Bundesnachrichtendienst in der Liesenstraße, exakt an der Grenze zwischen Wedding und Alt-Mitte, ein Ersatzstandort für eine Tankstelle geschaffen wurde, bezeichnet Gothe als „schwache städtebauliche Leistung“, die hoffentlich dereinst in der Rubrik Zwischennutzung abgeheftet werden könne.

Dagegen boomt rund um den Luisenstädtischen Kanal zwischen Mitte und Kreuzberg der Wohnungsbau. Neben bereits seit längerer Zeit fertiggestellten Wohnhäusern sind hier mehrere Projekte verschiedener Investoren in Planung oder Bau. Sie wurden auf klangvolle Namen wie „Engelgärten“ oder „Luisengärten“ getauft – in letzteren bietet das Unternehmen GRR Global Reach Realty Wohnungen von bis zu 400 Quadratmeter Größe zu Preisen um 2500 Euro pro Quadratmeter an.

Und auch die Gäste des Adina-Apartmenthotels werden möglicherweise irgendwann einmal in etwas weniger unwirtlicher Umgebung übernachten. Anfang 2010 will nämlich der Liegenschaftsfonds Berlin die Brache des 11 000 Quadratmeter großen Krausenblocks an der Ecke Krausen-/Markgrafenstraße ausschreiben – in der Hoffnung, dafür einen Investor zu finden, der dort eine innerstädtische Mischnutzung mit hohem Wohnanteil realisiert.

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