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Immobilien: Die Hausgemeinschaft ersetzt die Familie

Immer mehr Frauen und Senioren wohnen allein. Viele suchen nach Alternativen. Neue Wohnprojekte bieten das: Die eigene Wohnung in einem Haus, das man mit Gleichgesinnten teilt

Noch klafft am Kreuzberger Erkelenzdamm eine hässliche Baulücke. Seit Jahren stehen Schausteller- und ausrangierte Bauwagen auf der Brachfläche – direkt neben herrschaftlichen Gründerzeitbauten wie den Elisabethhöfen. Als „Wagenburg“ wurde das Gelände bezeichnet und als „Schandfleck“ für den Bezirk. Doch seit wenigen Tagen befindet sich am Erkelenzdamm ein Bauschild: Die „Villa Myrica“ soll hier errichtet werden, ein Projekt, das in ganz Deutschland einmalig ist. Denn das geplante Stadthaus, dessen Bezeichnung auf den alten Flurnamen des Grundstücks zurückgeht, ist nur für Frauen konzipiert. Männer dürfen in dem Haus zwar wohnen, Kaufverträge für die 53 Eigentumswohnungen werden aber nur mit Frauen abgeschlossen. Auch wer eine Wohnung zwecks Kapitalanlage kauft, darf nur an eine Frau vermieten.

Mehr als die Hälfte aller Berliner wohnen allein in ihrer Wohnung. Viele wollen das, doch sie wünschen sich oft auch weniger Anonymität und mehr Gemeinschaft im Hause. Insbesondere Gemeinschaften von Frauen und Senioren sind deshalb nun auf Immobiliensuche. Bei einigen neuen Projekten steht die Grundsteinlegung kurz bevor.

„Wir wollen den Frauen mehr Freiheiten geben“, sagt Jutta Kämper vom Verein Beginenwerk, der das Projekt initiiert. Mit dem Kauf einer Eigentumswohnung könnten sich die Frauen finanziell absichern und für ihr Alter vorsorgen. Bisher seien 27 Wohnungen „vorverkauft“. Sieben weitere Verträge müssen noch abgeschlossen werden, damit der Bauträger Kondor Wessels aus Berlin mit dem Bau beginnt.

Während das Grundstück für die „Villa Myrica“ schon feststeht, ist Eva-Maria Hässler, Koordinatorin des „Freundeskreises Wohnen – Lebensqualität im Alter“ noch auf der Suche nach passenden Immobilien in Berlin und Potsdam. Jeweils zehn bis zwölf Mietparteien sollen in den Häusern wohnen. Dazu kommen Gemeinschaftsräume und eine Gästewohnung. Vermietet wird an Einzelpersonen, Paare oder Wohngemeinschaften. Nur eine Bedingung gibt es: Die Mieter müssen älter als 50 Jahre sein.

In den Hausgemeinschaften, so die Idee, werden sich Mieter mit ähnlichen Interessen oder Lebenseinstellungen begegnen. Auch die gegenseitige Hilfe ist ein Ziel. Bisher gehören etwa 50 Interessenten dem Freundeskreis an. Sobald der Vertrag für das erste Haus abgeschlossen sei, werde man sich zusammensetzen und sehen, wer gut zueinander passe, sagt Eva-Maria Hässler.

Gesucht werden Alt- oder Neubauten, die entweder gemietet oder gekauft werden sollen. Aber auch Mischformen wie Erbpacht- oder Genossenschaftsmodelle seien denkbar. Den Bewohnern soll auf jeden Fall ein Dauerwohnrecht zugesichert werden. „Nicht jeder kann sich Wohneigentum leisten. Und andere wollen vielleicht im Alter keinen Besitz mehr“, sagt Eva-Maria Hässler.

Allerdings müssen die Immobilien bestimmten Anforderungen genügen: Aufzüge sind ebenso notwendig wie barrierefreie Wohnungen. Außerdem müssen die Grundrisse so flexibel sein, dass bei Bedarf etwa eine Vier-Zimmer-Wohnung in zwei Zwei-Zimmer-Wohnungen geteilt werden kann. Die Miete müsse ortsüblich sein. Für Vermieter sei das Konzept durchaus interessant, wirbt die 65-Jährige: „Wir sind ruhig, solvent und an langfristigen Verträgen interessiert.“

Während in anderen Bundesländern Senioren-Hausgemeinschaften schon seit längerem existieren, gewinnen derartige Wohnprojekte auch in Berlin an Bedeutung. Schon heute ist rund ein Drittel aller Berliner älter als 50. Nur: „Das Immobilienangebot für Ältere ist wenig marktgerecht“, sagt Uwe Krink von der Ostdeutschen Landesbausparkasse. Die Kasse hat sich in einer Untersuchung mit dem Thema „Wohnen im Alter“ befasst. Fazit: Wohnformen, die älteren Menschen ein bequemes Leben in den eigenen vier Wänden ermöglichen, gehören angesichts der demografischen Entwicklung die Zukunft.

Blieb früher bei geistigen oder körperlichen Einschränkungen nur der Umzug ins Altenheim, gebe es heute Alternativen, hat auch das Maklerunternehmen Engel&Völkers festgestellt. Dies können altengerechte Wohnungen mit oder ohne Dienstleistungsangebot, Haus- und Wohngemeinschaften oder „Mehrgenerationenwohnen“ sein. Leisten können sich viele Senioren diese Angebote: Die Kaufkraft der über 50-Jährigen liegt 2000 Euro über dem Betrag, der Jüngeren zur Verfügung steht – Tendenz steigend.

Die Nachfrage nach gemeinschaftlichen Wohnprojekten wächst auch deshalb, weil die Zahl der Single-Haushalte in Berlin ständig zunimmt. Besonders häufig leben Frauen oder Ältere allein. Wenn aber die eigene Familie fehlt, werden Nachbarn zu einem wichtigen Faktor bei der Wahl der Wohnung. Auf Nachbarschaftshilfe im Generationenverbund setzen der Verein „Offensives Altern“ am Ortolanweg in Buckow sowie die Stadt und Land Wohnbauten-GmbH am Grauwackeweg in Neukölln. Am Ortolanweg wohnen 24 Frauen zwischen Mitte 20 und Mitte 70 in einem gemeinsamen Haus, am Grauwackeweg gruppieren sich 15 Wohnungen um einen Innenhof. Unten wohnen Familien, die erste Etage ist älteren Mietern vorbehalten.

Auch Jutta Kämper vom Beginenwerk sieht in dem Konzept der „Villa Myrica“ eine Antwort auf die zunehmende Vereinzelung. Die Idee geht auf das 12.Jahrhundert zurück. Schon damals legten Frauen, die weder verheiratet waren noch im Kloster lebten, ihre Höfe zusammen, um gemeinsam zu wirtschaften und sich gegenseitig zu unterstützen. Am Erkelenzdamm wird zudem auf die Altersmischung großen Wert gelegt. „Dadurch kommt nicht nur sehr viel an Wissen und Erfahrungen zusammen, die Älteren haben auch Zeit sich zu engagieren.“ Die jüngste Käuferin ist 32, die älteste 72 Jahre. Für ihre Wohnungen haben sie zwischen 2100 und 2300 Euro je Quadratmeter zu zahlen.

Jutta Burmeister

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