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Immobilien: Die Verfassung des Gerichts

Lange stand das ehemalige Kammergericht in Charlottenburg leer. Jetzt entstehen hier luxuriöse Wohnungen – die erste Besichtigung machte der Tagesspiegel

An diesem Objekt haben sich zehn Jahre lang viele die Zähne ausgebissen; Architekten, Projektentwickler und Investoren. Dabei dachten wohl alle: Hier muss doch was gehen, im ehemaligen Kammergericht an der Witzlebenstraße 4-5. Irgendetwas Tolles, Repräsentatives. Denn das vor rund einhundert Jahren im Stil des Neobarock erbaute Ensemble beeindruckt mit jeder Menge Stuck, reich verzierten Holzsäulen, getäfelten Wänden, hohen Fenstern, romantischen Balkonen. Nicht zu vergessen die begehrte Wohnlage mit Blick auf den Lietzensee.

Aber was anfangen mit ellenlangen Gerichtsfluren, hohen Gewölbedecken und den riesigen Sälen, in denen einst Rechts- und Unrechts-Urteile gefällt wurden? (Siehe Kasten) Wie umgehen mit dem strengen Blick der Denkmalschützer im Nacken? Ein Luxushotel. So lautete Plan A. Aus dem wurde jedoch nichts. Zu viel Verkehr für die bürgerliche Wohnlage, befand man im Bezirksamt Charlottenburg. Die Interessenten sprangen ab. Auch eine Büronutzung scheiterte. So stand die bundeseigene Immobilie seit Auszug des Kammergerichtes im Jahr 1997 leer.

Die Idee, in dem Justizgebäude hochwertige Wohnungen zu bauen, stieß in der Branche auf Kopfschütteln. Doch einer traute sich an das Projekt heran: der Leipziger Architekt Gregor Fuchshuber. Hinter sich die niederländischen Investoren, die die Immobilie im Jahr 2005 von der Oberfinanzdirektion kauften und Thomas Groth, Geschäftsführer von allod Immobilien. Der wird die Immobilie nicht nur verwalten, sondern hat auch das Vermietungskonzept für das so genannte Atrion erarbeitet. Im kommenden November, nach eineinhalb Jahren Bauzeit, können nun die ersten Mieter in die rund 50 bis 200 Quadratmeter großen Wohnungen einziehen. „Fast ein Jahr lang haben wir immer wieder an den Grundrissen gefeilt, damit in den Wohnungen die Proportionen der Räume, ihre Funktion und Lage stimmen“, sagt Groth. Keine leichte Übung, besichtigt man Präsidial-, Kammersaal-, Kanzlei- und Parkflügel. Vom Charme der historischen Räume sollte so viel wie möglich erhalten bleiben. Und um eine effiziente Vermietung ging’s schließlich auch.

In der Musterwohnung kann man jetzt sehen, wie das gelungen ist: Eine Treppe führt dort von dem großen Wohnraum zur Galerie, die als Schlafraum dient. Das Bad schließt sich direkt an. Durch das breite Badfenster erhält man nicht nur Tageslicht, sondern hat auch im Blick, was unten im Wohn- und Essbereich so los ist. Ergänzt wird der Eindruck durch die Details – Parkett, Schieferfliesen, verzierte Holzsäulen und Flügeltüren.

„Wir wollten mehr, als große Räume in kleine zu teilen“, sagt Fuchshuber. Fünf komplette Entwürfe lagen schon im Papierkorb, als er das Projekt übernahm. Seine Idee: „Wir stellen die Nebenräume wie Möbel in die Säle. So sind die Einbauten klar erkennbar von der historischen Substanz abgegrenzt.“ In anderen Wohnungen hat der Architekt Flächen für Garderoben, Bäder und Küchen in die Gerichtsflure verfrachtet. Nur noch die Gewölbedecken machen den Trick sichtbar. Durch diesen Schachzug habe man das verspielte Haus „effektiv genutzt und viel Altes erhalten“, so der Architekt. Fenster und Türen gibt’s noch im Original. Sie wurden denkmalgerecht wieder aufgearbeitet. Auch die historischen Farbvorbilder finden sich nach dem Umbau wieder.

Die ungewöhnlichen Grundrisse und Ausstattungsdetails wie historische Kamine und Kronleuchter, alle funktionsfähig, haben ihren Preis – finden aber auch ihre Fans. Mehr als 50 Prozent der 107 Wohnungen, zehn davon etwas schlichter in einem angrenzenden Neubau, sind schon vermietet. Vorwiegend Geschäftsführer, Vorstände und Firmeninhaber haben sich entschieden, Preise von 7,50 bis 18 Euro netto kalt zu zahlen. Dafür könnensie dann durchs opulente Treppenhaus per gläsernem Fahrstuhl in ihr so genanntes Schlossloft oder in ihre Galeriewohnung gleiten. Klar, dass alle Wohnungen Terrassen oder Balkone haben, ebenso wie Tiefgaragenstellplätze.

25 Millionen Euro werden Kauf und Umbau die RVB Witzlebenstraße, hervorgegangen aus der Reggeborgh Group, insgesamt kosten. Dafür gilt das Atrion schon jetzt als Modell für ähnliche Projekte in anderen Bundesländern. Den Architekten freut’s, obwohl das Atrion nicht seine erste Aufgabe dieser Art ist. In Leipzig hat sein Team für die alte Schokoladenfabrik Loftwohnungen entworfen.

Letzter „Dienstherr“ des Hauses mit der wechselvollen Geschichte war übrigens Helge Schneider. Er drehte im vergangenen Jahr dort Szenen für die Hitlerparodie „Mein Führer“ von Regisseur Dani Levy: Hitler als armes Würstchen, das nur durch die Hilfe des Juden Grünbaum (dargestellt von Ulrich Mühe) nach oben kam. Für das Haus in der Witzlebenstraße vielleicht ein guter Abschluss des dunkelsten Kapitels seiner Geschichte.

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