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Immobilien: Ein Kraut mit vielen Namen

Der unverwüstliche Löwenzahn ist nicht nur beliebte Pusteblume der Kinder, sondern auch eine Heilpflanze

Mit seinen leuchtend gelben Blütenteppichen überzieht der Löwenzahn vom Frühjahr bis in den Herbst hinein oft ganze Wiesen und Weiden. Ein hübscher Anblick, der Umweltschützer freilich weniger entzückt. Denn solch zahlreiches Vorkommen der gelben Pracht deutet in der Regel auf eine kräftige Überdüngung des Bodens hin. Als typischer „Stickstoffsammler“ findet das Korbblütlergewächs seit jeher vor allem in der Nähe des Menschen gute Bedingungen. So können Vor- und Frühgeschichtler meist schon auf Grund größerer Mengen von Löwenzahnpollen in Bodenproben auf ehemalige menschliche Siedlungen schließen.

Ursprünglich auf der nördlichen Halbkugel beheimatet, ist die äußerst widerstandfähige Pflanze mit rund 70 zum Teil sehr formenreichen Arten heute in fast allen Zonen mit gemäßigtem Klima zu finden. Der bei uns am häufigsten vorkommende Gemeine Löwenzahn (Taraxacum officinalis) – ein wahrer Überlebenskünstler – sprießt und gedeiht fast überall. Selbst kleine Betonritzen verschmäht er nicht, und sogar auf Dächern, Mauern und Bäumen lässt er sich nieder. Das ermöglichen ihm die genialen Schirmchen, mit denen er seine Samenkörner vom Wind oft über weite Strecken forttragen lässt. In den goldgelben Blütenkörben, die von April bis Oktober ihre Farbakzente setzen, wachsen die gefiederten Samen heran. Sie verwandeln sich nach dem Verblühen in filigrane Federkugeln aus 200 bis 400 zarten Flugapparaten – die für Kinder geradezu unwiderstehlichen Pusteblumen.

Seine vielen guten Eigenschaften haben den Löwenzahn – benannt nach den scharf gezähnten Blättern – über Jahrhunderte hinweg zum treuen Begleiter des Menschen gemacht, sei es als Lieferant wertvoller Heilmittel, als Nahrung für Mensch und Vieh oder Bienenweide. Der so zahlreich vorkommende und in seiner Erscheinung so auffällige Löwenzahn war tief im Bewusstsein unserer Vorfahren verwurzelt. Das spiegeln seine vielen Namen wider: Er gilt als das Gewächs mit den meisten volkstümlichen Namen im deutschen Sprachraum. Auf über 500 hat sie der Botaniker und Volkskundler Heinrich Marzell (1885 - 1970) geschätzt. Zu den bekannteren gehören: Pusteblume, Kettenblume, Kuhblume, Sonnenwirbel oder auch Butterblume. Ihrer harntreibenden Wirkung wegen nannte der Volksmund die Pflanze auch unverblümt Bettseicher oder Pissblume (französisch: „pisse-en-lit“ = Bettnässer).

Der Löwenzahn gehört – obwohl von Gartenbesitzern mitunter als lästiges „Unkraut“ angesehen – seit langem zu den wichtigen Heilpflanzen. Arabische Ärzte sollen ihn bereits im 11. Jahrhundert verwendet haben. Bei uns erwies man ihm erst ab dem späten Mittelalter den gebührenden Respekt. Die Autoren der Kräuterbücher des 16. Jahrhunderts erwähnen ihn meist unter den Wegwarten als Röhrleinkraut, Pfaffenröhrlein, Lewenzahn oder auch Mönchskopf, weil der abgepustete nackte Fruchtboden an geschorene Köpfe von Klosterbrüdern erinnerte. Schon damals waren die Heilkundigen von den heilenden Eigenschaften der Pflanze überzeugt. Man verwendete Löwenzahn bei Gicht, rheumatischen Beschwerden, verschiedenen Hautleiden und als Schönheitsmittel. Blätter, Stängel, Blüten und die kräftige Pfahlwurzel lieferten der Volksmedizin ebenso wie den Apothekern wertvolle Arznei in Form von Destillaten, Saft, Tee, Salaten und sogar Wein.

Mit dem milchigen Saft des auch „Augenblume“ genannten Löwenzahns behandelte man verschiedene Augenleiden. Auch der heute gebräuchliche botanische Name Taraxacum officinalis (abgeleitet vom griechischen taraxis = Augenentzündung und akeomai = ich heile) enthält einen Hinweis darauf. Das Wort officinalis weist das Kraut als Apothekenpflanze aus. Im Vertrauen auf ihre Heilkraft hängte man sich früher gerne ein Säckchen mit getrockneten Stücken der Löwenzahnwurzel als Amulett zum Schutz vor Augenleiden um den Hals. In Schwaben empfahl ein alter Aberglaube Wöchnerinnen, einen Absud vom Löwenzahn zu trinken, weil das die Milchsekretion fördere. Bei diesem Brauch aus der Sympathiemedizin spielte wohl eine Rolle, dass der Löwenzahn einen weißen Milchsaft besitzt Aus dem gleichen Grund verfütterten Bauern die Pflanze zur Steigerung der Milchproduktion an ihre Kühe, wenn sie glaubten, dass Hexen deren Milch geraubt hätten. Wer die drei ersten Löwenzahnknospen verschluckte, konnte nach alter Überlieferung sogar davon ausgehen, das ganze Jahr gesund zu bleiben.

Begeistert vom Löwenzahn waren schon immer die Jüngsten. Aus seinen schlauchartigen Stängeln haben ganze Kindergenerationen Ketten, Ringe, Brillen und Musikinstrumente gebastelt. Selbst Goethe war fasziniert: Mit Blick auf die „Spiraltendenz der Vegetation“ führt er aus: „Wenn man die Stiele des Löwenzahns an einem Ende aufschlitzt, die beiden Seiten des hohlen Röhrchens sachte voneinander trennt, so rollt sich jede in sich nach außen und hängt im Gefolg dessen als eine gewundene Locke spiralförmig zugespitzt herab; woran sich die Kinder ergötzen und wir dem tiefsten Naturgeheimnis näher treten.“ Bis heute unvermindert dürfte vor allem die kindliche Freude für den Löwenzahn als Pusteblume sein. Das lustige Wegblasen der kleinen Fallschirme ist ein alt überliefertes Orakelspiel in unzähligen Variationen. Je nachdem, wie viele der Samen nach dem Wegpusten stehen bleiben, so viele Jahre lebt man zum Beispiel noch, dauert es bis zur Hochzeit oder so viele Kinder wird der Puster oder die Pusterin bekommen. Auch Verliebte nutzten gerne dieses Orakel. In der christlichen Symbolik des Mittelalters hat man den Löwenzahn wegen seiner Heilkraft und der sonnenartig strahlenden Blüten Maria und Christus zugeordnet, aber auch als Sinnbild für die christliche Lehre und ihre Ausbreitung ist die Pflanze gedeutet worden.

Löwenzahn zählt auch heute noch zu den wichtigen Heilpflanzen. Aus seinen Blättern, Blüten und der Wurzel werden wertvolle Arzneimittel und Tees zur Behandlung von Leber-, Gallen und Milzbeschwerden, Nieren- und Blasenleiden, Appetitlosigkeit und Augenentzündungen gewonnen. Durch seine verdauungsfördernde und „blutreinigende“ Wirkung ist er außerdem ein bewährtes Hilfsmittel bei Rheuma und Arthritis. Dies ist vor allem den unterschiedlichen Bitterstoffen, so genannten Taraxinen und weiteren Inhaltsstoffen zuzuschreiben.

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