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Immobilien: Ein Plattenbau mit Satteldach

In Marzahn werden mehrere tausend Wohnungen in Plattenbauten aus DDR-Produktion abgerissen. Eine Gruppe von Wissenschaftlern und einige Architekten wollen aus den Betontafeln Eigenheime errichten

Das nächste Projekt des Architekturbüros Conclus steht schon fest: ein Zweifamilienhaus in Schildow. Wenig spektakulär auf den ersten Blick. Doch bei näherem Hinsehen wird das Besondere dieses Bauvorhabens deutlich. Die beiden, miteinander über Stege verbundenen Eigenheime werden mit Stahlbetonplatten aus DDR-Produktion gefertigt, aus der legendären Baureihe „WBS 70“. Denn viele dieser „Plattenbauten“ stehen heute leer und werden deshalb abgerissen. In Marzahn zum Beispiel, im Norden Berlins.

Schon das erste Eigenheim aus Fertigbauteilen ist zu einem riesigen Erfolg geworden. Es wurde in der Langen Nacht der Wissenschaften präsentiert, weil eine Expertengruppe aus der Technischen Universität an dem „Recycling-Projekt“ mitgewirkt hatte. Und es gab Berichte. Dabei ist das Gebäude noch gar nicht fertig. Es steht erst ein Rohbau. Und die Wohnungsbaugesellschaft Degewo, deren Tochtergesellschaft die Bauteile lieferte, hatte ähnliche „Konversionsprojekte“ schon einmal durchgerechnet mit dem Ergebnis: Neu bauen kommt billiger. Doch der große Beachtung, die das erste Eigenheime aus gebrauchten Betontafeln findet, hat nun auch die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft nachdenklich gestimmt – man schließt die Beteiligung an ähnlichen Bauvorhaben in der Zukunft nicht mehr aus.

„Unsere Projekte sind auch ökonomisch für die Bauherren interessant“, sagt Hervé Biele. Der Architekt kenne zwar die wenig ermutigende Rechnung der Degewo nicht. Die von ihm aus den Stahlbeton-Platten montierten Eigenheime sollen jedoch „schlüsselfertig“ und mit normalen Standard schon für rund 900 Euro je Quadratmeter fertiggestellt werden. Der Endpreis der neuen Häuser in Schildow werde zwar deutlich höher sein. Doch das liege an den Wünschen des Bauherrn. Ein besserer Standard habe eben seinen Preis.

So werden die recycelten Plattenbauten in Schildow mit den neuesten ökologischen Techniken ausgerüstet, damit das Haus den Gütesiegel „KfW-40-Energiesparhaus“ bekommt. Das Kürzel steht für Kreditanstalt für Wiederaufbau. Die bundeseigene Förderbank gibt billiges Baugeld für Bauten, deren Betrieb besonders wenig Energie verbraucht und die mit innovativen Solar- und Heiztechniken ausgestattet werden. Der vom Architekten angestrebte Standard werde durch mehrere Maßnahmen erreicht: Eine starke Dämmung, Isolierverglasung, Fotovoltaikzellen zur Stromerzeugung auf dem Dach sowie Wärmepumpen zur Nutzung der Erdwärme. Und nach der Fertigstellung dürfte es als „Patte“ nicht mehr wiederzuerkennen sein – denn es bekommt ein Satteldach, des deutschen Bauherrn liebstes Gestaltungsmerkmal

Die gebrauchten Stahlbetonplatten kommen als Kostentreiber dabei nicht in Betracht: Es gibt sie umsonst. Denn eigentlich handelt sich dabei um Bauabfall. In dem sonst üblichen Abfallkreislauf würden sie unter Asphalt verschwinden. Im Straßenbau werden sie, zerschlagen und gemahlen, gerne eingesetzt. Dabei könnten aus den 350 000 Wohnungen, die bundesweit abgerissen werden sollen, 90 000 neue kleine Häuser gebaut werden. Das hat Claus Asam, Projektleiter bei der Technischen Universität, errechnet. Das erste Haus soll schlüsselfertig 180000 Euro kosten. Die Kosten für den Rohbau sollen 20 Prozent unter denen eines vergleichbaren Hauses liegen.

Die kostenlose Beschaffung der Bauteile heißt aber nicht, dass deren Verwendung nichts kostet. Im Gegenteil: Der Transport der tonnenschweren Platten zur Baustelle kostet ebenso wie deren Aufarbeitung. Auf dem Beton kleben oft noch Reste von Tapeten, sie müssen gereinigt und zerteilt werden, damit sie zu den gewünschten Grundrissen des Bauherrn wieder montiert werden können. Allein das Zuschneiden der Platten kostet zwischen 60 und 80 Euro pro Quadratmeter. Die Höhe der Transportkosten hängen von der Entfernung zur Abrissstelle ab. Eine Entfernung von maximal 80 Kilometern sei wirtschaftlich darstellbar, so der Architekt. Das erste Eigenheim aus Plattenbauten lag wenige Kilometer von Marzahn entfernt – die beiden neuen Häuser liegen dagegen schon gut 30 Kilometer weit weg.

Dass die Umwandlung von Plattenbauten in Eigenheime Schule machen könnte, glaubt man bei der Degewo, Lieferant der demontierten Platten, nicht. „Wir haben das durchgerechnet bei Planungen für die Bebauung eines Grundstückes in Marzahn“, sagt Sprecherin Erika Kröber. Die Errichtung neuer Häuser wäre billiger gewesen. „Die Baupreise sind derzeit sehr niedrig“, sagt Kröber. Auch Pläne für einen Export der Platten in osteuropäische Länder wurden wieder fallengelassen. An Beton „und ein bisschen Stahl“ herrsche dort kein Mangel, so dass solche Vorhaben an den hohen Transportkosten zu scheitern drohen.

„Wir sind aber an neuen Projekten interessiert und wären dann auch gerne stärker eingebunden“, sagt die Degewo-Sprecherin. Als Plattenlieferant ist die Degewo die erste Adresse in Berlin. Sie muss ihre Siedlungen aus Plattenbauten in Marzahn zurückbauen, weil es nicht genügend Mieter mehr gibt für die Hochhäuser und Zeilenbauten aus DDR-Produktion. Deshalb hatte die Degewo in der Siedlung „Ahrensfelder Terrassen“ von ursprünglich 1770 Wohnungen nur 409 Mietobjekte sowie 38 Eigentumswohnungen stehen lassen. Der Abriss verschlang 50 Millionen Euro, 40 Millionen davon kamen von Bund und Land.

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