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Immobilien: Ein schicksalhafter Verwaltungsakt

Der Senat hat im Februar die Anschlussförderung für den sozialen Wohnungsbau gestrichen. Deshalb droht einigen Anlegern der Ruin. Ein Betroffener wirft landeseigenen Firmen vor, auf dieses Risiko nicht hingewiesen zu haben

Er sitzt gefasst da, durchsucht seine Unterlagen, zieht die Anlage zu einem Schreiben von Ende April hervor und sagt beiläufig: „Damit vernichten sie Existenzen.“ Das Schreiben stammt von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft WIR, ist an 74 Anleger des Immobilien-Fonds „Siegener Straße“ gerichtet und informiert diese, dass die Gesellschaft frisches Geld benötigen wird. Reinhard Müller (Name geändert) ist einer davon. Und da es nicht der einzige Fonds ist, an dem er sich in den vergangenen Jahrzehnten beteiligte, steht er heute vor dem persönlichen Ruin.

Reinhard Müller erleidet das Schicksal, das ein simpler Verwaltungsakt des Berliner Senats nach sich zu ziehen droht: Die Streichung der Anschlussförderung für den sozialen Wohnungsbau. Davon betroffen sind rund 25000 Wohnungen, errichtet zwischen 1987 und 1997. Die meisten davon hatten Bauträger, private sowie städtische Wohnungsbaugesellschaften für viel Geld errichtet. Ein Teil des damals erforderlichen Kapitals kam von Banken, ein Teil von Privatleuten wie Müller. Diese erhielten dafür nur wenig Zinsen, rund 1,25 Prozent, dafür aber manchen Steuervorteil.

Denn einen Teil des Kapitals, das die Anleger in die städtische Bauprojekte investierten, erstattete ihnen das Finanzamt aus dem zu versteuernden Einkommen. Daher geisterte durch die öffentliche Debatte um die Streichung der Anschlussförderung auch ein kurioses Vorurteil: Diese Maßnahme werde vorrangig wohlhabende Steuerjongleure treffen, die dadurch doch nur ihren Beitrag zur Entlastung des Not leidenden Berliner Haushaltes leisten würden.

Wie ein Mann, der sein Vermögen auf dem Rücken der Allgemeinheit vermehrt, sieht Reinhard Müller nicht gerade aus: Ein Anzug in gedeckten Farben, eine unaufdringliche Krawatte, ein Siegelring an den gepflegten Händen. Und Müller sagt: „Ich habe mein Geld städtischen Wohnungsbaugesellschaften gegeben, weil mich eine landeseigene Bank von der Sache überzeugte.“ Das erste Mal, 1967, als die DEGEWO und andere städtische Wohnungsbaugesellschaften die Hochhaussiedlung „Märkisches Viertel“ errichteten. „Eine gute Anlage“, sagt er heute noch. Das bewog ihn, auch in den folgenden Jahren immer wieder sein Erspartes den landeseigenen Gesellschaften anzuvertrauen.

Zu den Nutznießern zählt auch die Wohnungsbaugesellschaft WIR. Müller blättert in seinen Unterlagen und zitiert: Das Bauvorhaben in der Siegener Straße werde nach den „Grundsätzen für den sozialen Wohnungsbau“ dazu beitragen, „dauerhaft sozialverträgliche Mieten“ in Berlin sicher zu stellen. Sein Geld, davon war Müller überzeugt, setzten also landeseigene Gesellschaften, in denen Senatoren Aufsichtsratsmandate inne hatten, zur Verwirklichung öffentlicher Aufgaben ein – und „das ist doch mindestens kein Unrecht“, sagt er. In den Händen hält er den Prospekt, dessen Deckel in den vergangenen 15 Jahren etwas vergilbt ist. Als der Schutzlack noch glänzte, da hatte ihn das Dokument davon überzeugt, dass zumindest der Senat ihm keinen Strich durch die Anlegerrechnung machen würde. Denn auf Seite acht heißt es: „Nach Ablauf des ersten Förderungszeitraumes von 15 Jahren ist eine Anschlussförderung gesichert.“ Darauf, sagt Müller, habe er sich verlassen: „Hätte das nicht so deutlich da gestanden, dann wäre ich das Risiko nicht eingegangen.“

Die angeblich gesicherte Anschlussförderung kommt mit dem Senatsbeschluss vom 4.Februar 2003 mit einiger Sicherheit nicht. Die Folge: Nun droht etlichen Fonds in den kommenden Jahren die Insolvenz. Denn Sozialwohnungen rechnen sich heute ebenso wenig wie vor 15 Jahren. Um die Zinsen für die damals aufgenommenen Baugeld-Kredite bezahlen zu können, reichen die Mieteinnahmen nicht. Genau genommen benötigt die Fondsgesellschaft WIR1 für jeden Quadratmeter Wohnfläche Einnahmen in Höhe von knapp 19 Euro pro Quadratmeter. Kein Mieter zahlt so viel Geld: Gerade mal ein Viertel dieser Summe überweisen die Wohnungsnutzer monatlich auf die Verwalterkonten. Den Rest hatte das Land bisher beigesteuert.

Wenn diese Landesförderung wegfällt, werden deshalb die 74 Anleger des WIR-Fonds1 mächtig zur Kasse gebeten. Die genaue Summe hat die städtische Gesellschaft schon mal für jeden ausgerechnet. Einer der Anleger hatte vor 15 Jahren 766937,83 Euro investiert. Von ihm werden jährlich 120973,35 Euro verlangt, wenn die Anschlussförderung nicht kommt. Bleiben die Mieteinnahmen so niedrig, dann muss der Betroffene insgesamt 15 Jahre lang alles in allem rund drei Millionen Euro draufzahlen. Müller hat keinen so großen Betrag investiert. Dafür aber im Laufe der Jahre kleine Summen in mehrere Fonds gesteckt. Nun sagt er: „Ich kann mir die Karten legen.“

Der Sprecher der Geschäftsführung der Wohnungsbaugesellschaft WIR, Heinz-Jürgen Dräger, bestätigt, dass das Unternehmen Briefe an 700 Anleger von insgesamt elf Fonds verschickt hat. „Es war unsere Pflicht, die Anleger frühzeitig und sachgerecht über die Lage zu informieren“, sagt er. Dräger glaubt nicht, dass das letzte Wort in der Frage der Anschlussförderung gesprochen ist. Akuten Handlungsbedarf habe die WIR nicht, weil die Grundförderung in diesem Jahr bei keinem ihrer Fonds auslaufe. Daher könne man den Ausgang der Klagen, die private Fondsgesellschaften gegen den Senat angestrengt haben, abwarten.

Doch die privaten Unternehmen mussten bereits eine erste Schlappe hinnehmen: Das Berliner Verwaltungsgericht wies Eilanträge von zwei Bauträgern zurück. Damit wollten die Firmen den Senat dazu zwingen, ihnen die Förderbeträge so lange weiterzuzahlen, bis das Gericht den Fall entschieden haben wird. Der Antrag wurde zurückgewiesen.

„Die Begründung war deutlich“, sagt Wolfgang Schirp, „das sind keine gute Vorzeichen für die noch anstehenden Gerichtsverfahren“. Der Rechtsanwalt hat mit seiner Kanzlei einen Arbeitskreis unabhängiger Fondssanierer gegründet und betreut knapp 40 Not leidende Gesellschaften in dieser Sache. Schirp: „Die Förderungsbescheide waren befristet. Es gab eine Praxis in der Verwaltung, diese um 15 Jahre zu verlängern. Das hat der Senat geändert. Und das ist auch zulässig.“ Zu den betroffenen Anlegern zählten meist Privatpersonen: Ärzte und andere Freiberufler sowie mittlere Unternehmer. „Das sind keine Leute, die mit Millionen um sich schmeißen“, sagt Schirp. Doch nun würden die Anleger einiger Gesellschaften (siehe Kasten) kräftig zur Kasse gebeten.

Unter bestimmten Umständen bestehe durchaus die Chance, aus einem Not leidenden Fonds auszusteigen, so Schirp. Der Bundesgerichtshof habe in den vergangenen zwei Jahren vier anlegerfreundliche Entscheidungen getroffen. Demnach ist der Beitritt zu einer Fondsgesellschaft nicht wirksam, wenn der Anleger jemanden mit der Unterzeichnung von Verträgen bevollmächtigt hatte, der laut Rechtsberatungsgesetz dazu nicht ermächtigt ist. Ermächtigt sind fast ausschließlich Rechtsanwälte. „Das haben Fondsgesellschaften in schöner Regelmäßigkeit in den vergangenen 30 Jahren übersehen“, sagt Schirp. Dies biete in manchen Fällen einen Hebel, um aus den Fonds auszusteigen. Gelinge dies, müsse der Anleger jedoch die einst erstatteten Steuern wieder nachzahlen. Daher empfiehlt Schirp im Falle ungültiger Verträge stattdessen mit den Banken der Fonds Sanierungsstrategien auszuhandeln.

Eine weitere Chance für düpierte Anleger, liege in der so genannten Prospekthaftung. Diese besage, dass der Fondsverkäufer zutreffende Angaben insbesondere über die Risiken des Geschäftes machen müsse. Das Problem in diesem Fall: Die meisten Initiatoren von Fonds gebe es nicht mehr oder sie seien insolvent. Auch bei einer erfolgreich verlaufenden Klage gehe ein Anleger leer aus.

Das könne im Fall von Reinhard Müller anders sein: „Eine so eindeutige Aussage, dass eine Anschlussförderung nach 15 Jahren sicher ist, gibt es nur ganz selten“, sagt Rechtsanwalt Schirp.

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