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„Jugendheim Forsteck“. Ilse Fridrich steht vor ihrem ehemaligen Haus in Kühlungsborn (Mecklenburg-Vorpommern), das ihr vor 60 Jahren von den DDR-Behörden weggenommen wurde.

© Bernd Wüstneck/dpa

Enteignungswelle an der DDR-Ostseeküste: Heimweh der besonderen Art

60 Jahre „Aktion Rose“ – Wut und Trauer sind in Mecklenburg-Vorpommern noch immer nicht verflogen.

10. Februar 1953. Rund 400 Volkspolizisten stürmen an der Ostseeküste der DDR Hotels, Pensionen und Restaurants. Bewaffnet mit Pistolen und Taschenlampen. Sie sind befehligt, die Besitzer der Objekte zu vernehmen und gegebenenfalls festzunehmen. Es wird kolportiert, Walter Ulbricht habe sich bei einem Besuch auf Rügen 1952 darüber geärgert, dass es noch immer so viele Privathotels und Pensionen gebe. Die „Aktion Rose“ beginnt – ausgeführt von Polizeischülern, die extra gen Norden beordert worden waren, weil man den einheimischen Polizeikräften misstraute. Sechzig Jahre ist das jetzt her.

Gut einen Monat später zogen Volkspolizisten der „Einsatzleitung Rose“ in ihrem Abschlussbericht Bilanz und notierten unter dem 13. März: 440 Pensionen und Hotels entlang der Ostseeküste waren enteignet worden; dazu 161 sonstige Wirtschaftsbetriebe. 447 Hoteliers und Gewerbetreibende saßen in Haft, 219 waren geflohen.

Auch sechzig Jahre nach der „Aktion Rose“ ist die Erinnerung bei Ilse Fridrich nicht verblasst. „Am 10. Februar 53 begann die Aktion. Morgens um acht Uhr kamen drei Männer, ohne Durchsuchungsbeschluss“, erzählt die Frau aus Kühlungsborn, die in diesen Tagen 93 Jahre alt wird. Ihrer Mutter, die ein Kinderheim betrieb, wurde vorgeworfen, Kohlen und Zucker abgezweigt zu haben. „Das war eine einzige Lüge“, regt sich die rüstige Seniorin noch heute auf. Wegen Wirtschaftsverbrechen wurde die Mutter enteignet und Tage später zu 17 Monaten Zuchthaus verurteilt.

Die „Aktion Rose“ war eine brutale Enteignungswelle vor allem im Hotel- und Gastgewerbe entlang der DDR-Ostseeküste. Mit meist frei erfundenen Anklagen und Beschuldigungen wurden Besitzer von Hotels und Pensionen im Frühjahr 1953 angeklagt, ihr Besitz wurde beschlagnahmt. Historikern zufolge wurden mehr als 621 Immobilien enteignet; sie waren zuvor wochenlang ausgespäht worden. Die meisten Häuser wurden in Ferienheime des früheren DDR-Gewerkschaftsdienstes FDGB umgewandelt, der sich immer darüber geärgert hatte, dass Hotelbesitzer ihnen Verträge verweigerten, weil es lukrativer war, Privatgäste einzuquartieren.

Hunderte Personen wurden von Sondergerichten zu teils absurden Strafen verurteilt. Die Enteignungen gelten als eine der größten staatlich gelenkten Unrechtsaktionen in der europäischen Nachkriegsgeschichte. Viele Menschen flohen aus der DDR und hinterließen ihr gesamtes Hab und Gut, das der Staat dann an sich riss. Die meisten der Verhafteten wurden nach kurzer Gefängniszeit auf Bewährung entlassen – ihr Eigentum erhielten sie nie zurück. Das Trauma der 33-jährigen Ilse Fridrich war nicht zu Ende. Sie war Besitzerin einer kleinen Tischlerei im Ostseebad Kühlungsborn.

Wenige Tage nachdem ihre Mutter verhaftet worden war, kamen erneut drei Vertreter der Staatsmacht – dieses Mal war sie dran. Nun wollte die DDR auch das Gelände der Tischlerei. Nach langer Suche fanden die Männer zwei Quittungen – über einen in West-Berlin gekauften Mantel, für den sie 684 DDR-Mark gezahlt hatte, und ein paar Stiefel für 27 DM. „Ein Schrei der Freude war die Reaktion.“ Ihr Schicksal war besiegelt.

„Es geht nicht mehr ums Geld“

Der Marktplatz in Wismar. Hier wurde das Hotel Reuterhaus enteignet. Wismar war eines der Zentren der „Aktion Rose“, der Enteignungswelle an der Ostsee Anfang 1953.
Der Marktplatz in Wismar. Hier wurde das Hotel Reuterhaus enteignet. Wismar war eines der Zentren der „Aktion Rose“, der Enteignungswelle an der Ostsee Anfang 1953.

©  NDR/Picture Alliance/obs

Neun Monate Haft lautete Wochen später das Urteil, das nur dazu diente, an ihr Vermögen heranzukommen. Im Urteil ist zu lesen: „Es geht nicht an, dass sie ihr Geld im Gebiet unserer Republik verdient, um es nach Westberlin zu bringen, wo es nur zur Vorbereitung eines Dritten Weltkrieges Verwendung findet.“ Unter erbärmlichen Bedingungen musste sie die Haft absitzen. Der Zufall wollte es, dass sich Mutter und Tochter bald wiedersahen – in derselben Zelle. „Danach standen meine Mutter und ich vor dem Nichts“.

Nachdem sie die Hoteliers vertrieben hatten, begann zwischen dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB), der Volkspolizei, dem MfS und der SED-Bezirksleitung ein heftiger Kampf um die Beute. Es ging letztlich um die Versorgung der eigenen Funktionäre mit Ferienunterkünften.

Neben der Enteignung war für die Opfer nach Worten von Anne Drescher, stellvertretende Leiterin der Stasi-Unterlagenbehörden in Mecklenburg-Vorpommern, die öffentliche Bloßstellung mit den meist haltlosen Anschuldigungen schlimm – eine Stigmatisierung, unter der viele auch heute noch leiden. Alle Opfer der „Aktion Rose“ warteten nach der Wiedervereinigung vergebens auf Rehabilitation. Der materielle Ausgleich sei in den zwei SED-Unrechtsbereinigungsgesetzen 1992 und 1994 zwar recht gut geregelt worden, sagt Drescher. Schon lange gibt es die Forderung nach einer moralischen Wiedergutmachung. „Es geht nicht mehr ums Geld“, betont sie.

Für zerstörte Familientraditionen, die teils Jahrhunderte zurückreichten, könne es keine Entschädigung geben. Das Leid der Menschen hätte in die Mitte der Gesellschaft gerückt werden müssen – als kleiner Beitrag zum Frieden mit der Geschichte. Wenn sich die Landtage im Osten oder auch der Bundestag mit dem Problem beschäftigten und sich für die Wiedergutmachung aussprächen, wäre das hilfreich, sagt Drescher.

Die mit der „Aktion Rose“ einhergehende „Verhaftungswelle“ hatte zur Folge, dass die Zahl der Häftlinge in der DDR zwischen Juli 1952 und Mai 1953 von etwa 37 000 auf knapp 67 000 wuchs.

Ilse Fridrich erhielt 1954 ihr Kinderkulturheim zurück – die SED hatte ihre Repressionspolitik auf Geheiß Moskaus abgemildert. Doch Fridrich durfte ihr Haus nur als angestellte Wirtschafterin betreiben. Für sie war es ein gewisses Glück im Unglück, dass ihr Eigentum noch im Grundbuch eingetragen war. Anfang der 70er Jahre dann sollte sie so hohe bauliche Auflagen erfüllen, dass die Überschuldung drohte. Entnervt verkaufte sie Ende der 1970er Jahre das Grundstück an einen Berliner verkauft. Sie erhielt 28 000 Ost-Mark und ging ein Jahr später in Rente. Nach der Wende versuchte Ilse Fridrich, den Besitz zurückzubekommen. Schließlich konnte sie das Geld für die Prozesskosten nicht mehr aufbringen.

Die Kühlungsbornerin ist eine der wenigen Überlebenden, die als junge Erwachsene die brutale Aktion miterlebt haben und diese bitteren Erfahrungen nun mit den folgenden Generationen teilen können. „Verzeihen kann ich alles, vergessen tu ich nichts.“ (mit dpa und NDR)

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