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Immobilien: Erreichen kann man alles

Wo Menschen mit Behinderung leben, geht es um Integration – im besten Fall leistet schon die Immobilie einen Beitrag dazu

Ein moderner dunkler Holztresen, flippige Designerleuchten, moderne Bistro- stühle und gerahmte Originalzeichnungen an den Wänden: In diesem Café treffen sich Pankower Nachbarn gern – schon weil Nicol und Julius den Service gut im Griff haben und der Kuchen lecker ist. Hinter der Milchglastür gleich nebenan spielt eine Mutter-Baby-Gruppe. Zwei Etagen darüber probieren die Bewohner neue Kochrezepte aus. Vor 100 Jahren hieß dieses Haus noch Irrenanstalt.

Nicht nur die Ideologie im Umgang mit Menschen mit Behinderung hat sich seither geändert, sondern auch die Architektur. Das denkmalgeschützte Stadthaus an der Schönhauser Straße 41 und das benachbarte Wohnheim „Maria Frieden“ an der Ahornallee 1 zeigen, wie es aussieht, wenn es gut läuft, Architekt und Nutzer gemeinsam an den besten Lösungen tüfteln. Gut drei Jahre nach Sanierung und Umbau von Tagesstätte und Reha-Wohnheim ziehen die Betreiber vom Sozialdienst katholischer Frauen (SKF) Bilanz. „Es hat sich gelohnt, so viel Geld in die Hand zu nehmen. Wir haben jetzt zwei Häuser, die variabel nutzbar und barrierefrei sind“, sagt Geschäftsführerin Monika Durst über die Zwei-Millionen-Euro-Investition. Besonders das Erdgeschoss der Villa findet sie gelungen.

Das Café, in dem Behinderte arbeiten, das Mutter-Kind-Zimmer und eine kleine Andachtshalle sind nur durch Milchglasschiebetüren getrennt und lassen sich mit wenigen Handgriffen zu einem großen Raum umbauen. Ideal für Sommerfeste oder Feiern, wenn auch Nachbarn dazukommen oder für eine Party die Räume mieten. Das ist ein wesentlicher Baustein des Konzepts: „Unsere Bewohner sollen sich ja in die Gesellschaft integrieren. Abschottung von Behinderten – das war gestern“, so SKF-Sprecherin Stephanie Irrgang. In die modern und edel gestaltete Villa kommen die Pankower tatsächlich; zur Familienberatung, zu Mutter-Kind-Kursen oder einfach zum Kaffeetrinken und Plaudern.

Ein Grund dafür ist sicher, dass die Einrichtung auf dem geräumigen Gartengrundstück nichts gemein hat mit dem Ambiente einer altbackenen Reha-Klinik. Derart stimmige Lösungen fordern Experten wie Ingeborg Stude von der „Koordinierungsstelle Barrierefreies Bauen“ in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung längst. „Wir brauchen ästhetische, charmante Architektur, die nicht ‚behindert’ aussieht und trotzdem Ordnung, Gliederung und schnelle Orientierung bietet.“

Und da gibt’s noch viel zu tun. Denn barrierefrei heißt sowohl umgangssprachlich wie für viele Planer noch schlicht: rollstuhlgerecht, so wie es Paragraph 51 der Berliner Bauordnung vorsieht. Aber Barrieren gibt es auch für Kleinwüchsige, Seh-, Hör- oder eben geistig Behinderte. Etwa, wenn schon vor einem Verwaltungsgebäude unklar ist, wie man hineinkommt. Wie mache ich mich bemerkbar? Finde und erreiche ich die Klingel? Verhaspele ich mich in der Drehtür? Ist der Empfangstresen zu hoch? Hindert mich gar noch eine Glasscheibe, den Pförtner gut zu verstehen? Wie finde ich meinen Sachbearbeiter?

Ingeborg Stude plädiert für Häuser, die sich selbst erklären, „gut strukturierte Gebäude, die intuitive Führung geben – so wie das iPhone von Apple“. Unübersichtliches Gängewirrwarr nervt schließlich auch Menschen ohne Behinderung. Farbleitsysteme, deutliche Piktogramme, einfache Sprache – und schon findet sich jeder besser zurecht, sagt Gerd Grenner aus dem Büro des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung.

Für Ingeborg Stude steht fest: Ohne Detailwissen über Behinderungen oder Erkrankungen können Projektentwickler und Planer in diesem Segment keine gute Arbeit abliefern. Und weil es selbst vielen vermeintlichen Experten daran fehlt, hat der Senat eine Broschüre herausgegeben, mit der man sich rundum schlau machen kann (siehe Kasten).

Martin Bausch vom Architekturbüro KSB und sein Team haben das Pankower Projekt geplant und kennen inzwischen die kniffligen Einzelfragen und Fallstricke: „Wir haben zum Beispiel breite Elektroglastüren geplant, die sich automatisch öffnen und schließen. Das darf aber nicht zu schnell gehen, sonst schubsen sie jemanden, der nicht so flink ist, um.“ Für Menschen mit geistiger Behinderung braucht man Häuser, in denen Zimmer und Flure gleiche Merkmale und Wege haben. Sehbehinderten Menschen hilft es, wenn sie Fußboden und Wände durch starke Farbkontraste unterscheiden können. Das gilt auch für Treppenpodeste und die Vorderkanten der Stufen. „Flächen, die spiegeln, stören wiederum die Wahrnehmung“, so Bausch. Zimmerwände sollen die gleiche Schallqualität haben – gut für alle, die sich nach Gehör orientieren müssen. „Trotzdem wollen wir die Bewohner nicht mit zu vielen Sonderlösungen ‚betutteln’. Sonst sind sie außerhalb des Hauses aufgeschmissen“, sagt Bausch, ein goldener Käfig nütze niemandem.

Das ist auch das Credo von Architekt Arthur Numrich. Das Büro „Numrich Albrecht Klumpp“ hat inzwischen mehrere (auch preisgekrönte) Projekte für Behinderte geplant, darunter die Helene-Häusler-Schule in Prenzlauer Berg. Was Arthur Numrich richtig fuchsig macht, sind plumpe Lösungen: Hässliche Rampen irgendwo am Seiteneingang. Oder „auffällig angebrachte Handläufe“. Er wünscht sich eine elegante und serviceorientierte Architektur für alle Menschen – „ohne ausgegliederte Sonderlösungen“.

In der Schönhauser Straße scheint das gelungen zu sein. Julius und Nicol sind nicht nur fit im Service, sie können inzwischen allein die Kasse bedienen. Gut fürs Selbstvertrauen. Und Nicol beginnt im Februar ihr Praktikum auf der Van Loon, dem Restaurantschiff in Kreuzberg.

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