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Fast schon wieder Kult sind die Lüster aus Murano-Glas im Atrium des Europa-Centers. Doch Zeitgeist interessiert die Eigentümerfamilie Pepper nicht. Sie betreiben ihr altes Schätzchen auf ureigene Weise – und fahren bestens damit.

© Kai-Uwe Heinrich

Europa-Center: Es läuft und läuft und läuft

50 Jahre ist Berlins Europa-Center nun alt. Weil die Lage stimmt, bleibt das Konzept unverändert.

An der Familie Pepper beißen sich gestandene Handelsimmobilienentwickler die Zähne aus. Kaum einer von Rang und Namen polierte nicht schon ihre Klinke, weil er das Europa-Center kaufen wollte. Denn eine attraktivere Einkaufslage als die neben der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche direkt am Tauentzien ist in Berlin kaum zu finden.

Aber egal wie verlockend das Angebot war, es stieß auf taube Ohren. Denn die Peppers, erst Vater Karl-Heinz, nun Sohn Christian, sitzen auf einer Goldader. Monatlich wirft sie ein stattliches Sümmchen Miete ab. Und statt auf Biegen und Brechen das Meiste aus dem Ort rauszuholen, betreibt das Familienunternehmen sein altes Schätzchen lieber auf ureigene Weise. Hier schätzt der Chef noch inhabergeführte Mietkunden, weil der Kontakt persönlicher ist.

Erst kürzlich strich der letzte Händler der ersten Stunde altersbedingt die Segel. Als halber Jahrhundertmieter ist jetzt nur noch das Kabarett „Die Stachelschweine“ übrig. Jeder große Mallbetreiber hätte sie vermutlich längst durch zahlungskräftigere Formate ausgetauscht – nicht so die Peppers! Ähnliches gilt für die Lüster aus Murano-Glas. Seit Jahren krönen sie das Atrium, weil ihre Besitzer daran hängen. Heute ist der Nachkriegsprunk fast wieder Kult, doch Zeitgeist interessiert die Eigentümer nicht. Im Gegenteil: Über drei Etagen kann man im Europa-Center bestaunen, wie die Zeit fließt, aber das Ambiente selbst scheint in den 70ern stehengeblieben.

Saturn statt Kino

Dabei fing alles so modern, gar avantgardistisch an. Als Karl-Heinz Pepper 1965 das neue „Wahrzeichen des Lebenswillens der geteilten Stadt“ eröffnete, staunten seine Zeitgenossen. Die Idee, dem kriegsgeschundenen Berlin ein weltstädtisches Büro- und Einkaufszentrum zu spendieren, hatte der Klavierfabrikantensohn von einer USA-Reise mitgebracht. So modern wie die Architektur war auch sein Inhalt: Neben Büros und Läden gab es eine Schlittschuhbahn, Theater, Spielcasino und den i-Punkt – Berlins erste Bar mit Blick über die Stadt.

Von HPP-Architekten entworfen und unter künstlerischer Leitung des Weltarchitekten Egon Eiermann, entstand ein Stück zeitgenössische Baugeschichte. Längst steht die Fassade des schlanken kastenförmigen Glas-Stahl-Hochhauses mit seinem zweigeschossigen Sockelbau unter Denkmalschutz. Aber Achtung – damals war die Fassade blanker Beton. Erst mit der Sanierung 20 Jahre später wurden die Aluminiumpaneele vorgehängt. „Wir meinen zu wissen, wie das Center früher aussah. Aber so sieht es heute nicht mehr aus“, reflektiert Christian Pepper den Zeitenwandel. Die einst offene Mall wurde überdacht, dunkelrote Böden durch helle ersetzt und Ladenfronten samt Leuchtschrift erneuert.

Da sich Kundenvorlieben ändern, ist die Eislaufbahn mittlerweile Café Tiffanys, das Kino verschwand zugunsten eines Saturn-Elektronikfachmarktes und schrabbelige Imbisse auf dem Weg zum Parkhaus wurden zum Foodcourt. „Eigentlich hatten wir niemals baufreie Zeiten, aktuell überarbeiten wir Fassade und Parkhaus“, sinniert der Eigentümer.

Die Einkaufslage könnte kaum besser sein

Modernisieren heißt nicht automatisch moderner werden – und so verdrängte der Retrogeist allmählich die Aufbruchstimmung. Nach heutigen Mallstandards sind die drei Meter hohen Decken zu niedrig, das Licht ist zu düster und die Sicht zwischen den Etagen zu schlecht. Folgt man der Faustregel von Shoppingcenterprofis, gehören Malls alle sieben bis zehn Jahre revitalisiert. Acrest-Geschäftsführer Stefan Zimmermann erklärt, warum dies im Falle des goldenen Jubilars nicht greift.

Da der Retailentwickler mit 2200 Quadratmetern größter Mieter im Bürokomplex ist, erlebt er das Treiben vor Ort täglich. „Das Europa-Center ist eine Institution und kein Einkaufszentrum“, schickt er vorweg und hat dabei Heerscharen von Touristen im Sinn, die sich hier täglich vor Brunnen, Wasseruhr oder dem Stück Berliner Mauer fotografieren. „Ob ein Konzept überholt ist, entscheidet der Leerstand, und hier ist alles nachvermietet.“ Für Christ kam Fossil, für Esprit Nike und für Mövenpick Vapiano.

Kommerziell funktioniert der touristische Hotspot, weil die Einkaufslage kaum besser sein könnte. Und weil viele Läden Außenzugänge haben, spielt das Interieur eine untergeordnete Rolle. „Eine Modernisierung könnte sicherlich den Mietertrag, kaum aber die ohnehin schon enorme Frequenz steigern“, zeigt der Entwickler Verständnis für Peppers Investitionszurückhaltung. Seine Prognose: Das Europa-Center ist als Marke fest in den Köpfen der Konsumenten etabliert. Auch die rund 150 000 neuen Ladenquadratmeter, die derzeit mit den Projekten Wertheim-Areal, Ku’damm-Karree, Gloria Galerie, „Beate-Uhse-Komplex“ und dem Upper West entstehen, werden daran nicht rütteln.

"Wir sind die erste Generation"

Aber was könnte man nicht alles aus dem Europa-Center machen! Auch Zimmermann hätte Ideen, wenn man ihn ließe. Das düstere Parkhaus abgerissen, Stellplätze unter die Erde verlegt und stattdessen ein modernes Wohnhaus mit integrierter Ladenzeile gebaut. Damit wäre der Rundlauf rüber zu Uniqlo an der Nürnberger Straße sicher.

Das jetzige Einkaufszentrum müsste man allerdings kernsanieren, um es auf den Stand der Zeit zu bringen. Aber verjüngen könnte man es, etwa durch konsequent helle Materialien, eine geschicktere Flächenaufteilung und mehr Sichtbeziehungen. Europa-Center-Manager Uwe Timm sieht dafür jedoch vorerst keinen Bedarf: „Die Mall of Berlin ist die achte, wir sind die erste Generation Einkaufszentrum. Trotzdem toppen wir den Vermietungsstand und die Umsatzleistung vieler neuer Malls und können gut damit leben, als Oldtimer nicht die Architektur eines modernen Shoppingcenters zu bieten!“

Rahel Willhardt

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