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Ein Wohncontainerdorf für Flüchtlinge in Berlin-Köpenick.

© Kitty Kleist-Heinrich

Flüchtlingsunterkünfte: Glücksritter, schwarze Schafe und kühle Rechner

Unterkünfte für Asylbewerber zu bauen kann sich lohnen – eine Branche wächst und formiert sich neu. Geschäftsmodelle von 300 Plätzen bis hin zur Ferienwohnung

Lächelnde Kinder mit strahlend weißen Zähnen, ein dunkelhäutiger Junge, der mit einem Asiaten und einer Europäerin posiert: Auf den Internetseiten der Betreiber von Flüchtlingsunterkünften ist die Welt in Ordnung. Die Fernsehbilder zeigen dieser Tage eine andere Realität: Völlig erschöpfte Menschen schlafen inmitten des Trubels einer vollbesetzten Turnhalle, können sich offenbar zum ersten Mal seit langer Zeit richtig ausruhen.

800.000 Menschen werden in diesem Jahr nach Schätzungen des Bundesinnenministeriums in Deutschland Schutz suchen. Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) hatte vor Kurzem erklärt, Deutschland brauche angesichts der Zuwanderung jedes Jahr 350.000 neue Wohnungen.

Am Donnerstag bekräftigte sie in Leipzig die Ankündigung der Regierung, Vorschriften zum Bau neuer Flüchtlingsunterkünfte zu vereinfachen. Dies betreffe besonders die Erstaufnahme von Flüchtlingen. Als Beispiele nannte Hendricks den Lärmschutz und die Errichtung von vorübergehenden Unterkünften im sogenannten Außenbereich, also in Gebieten außerhalb eines Bebauungsplans.

In Zeiten steigender Flüchtlingszahlen haben sich die Betreuung von Asylbewerbern und der Betrieb von Unterkünften als Einnahmequelle etabliert. Die Firma European Homecare aus Essen etwa gilt als Marktführer im Betrieb von Flüchtlingsunterkünften. Nach eigenen Angaben versorgt der private Betreiber momentan rund 5000 Asylbewerber in 50 Einrichtungen.

Aus Ferienwohnungen werden Flüchtlingswohnungen

Nach Tagesspiegel-Recherchen entdecken auch Berliner Investoren die Unterbringung von Flüchtlingen als Geschäftsmodell. Dabei gibt es die verschiedensten Größenordnungen. „Profis schließen einen Zehnjahresvertrag mit dem Landesamt für Gesundheit und Soziales und bauen neu für 300 bis 400 Personen“, berichtet ein Insider. Oder sie nutzen ein Mehrfamilienhaus aus dem eigenen Bestand. Es gibt auch Konzepte zum Ankauf eines kompletten Bürogebäudes in einem Wohngebiet mit anschließender Umwidmung. Nach dem Umbau in Absprache mit den Behörden kann es dann an Flüchtlinge vermietet werden.

Ein Beispiel für ein kleineres Geschäftsmodell: Der Besitzer eines nicht ausgelasteten Hostels löst eine Etage aus seinem Bestand heraus und bietet sie den Behörden an. Auch jemand, der nur zwei bis drei Ferienwohnungen hat, war schon unter den Kunden, die er bei der Vermarktung beraten hat.

Folgender Gedankengang beschäftige die Investoren: „Wer jetzt eine Immobilie sanieren will, kann zur Bank gehen, eine Summe X investieren und die Wohnungen später für einen üblichen Preis vermieten. Oder er investiert eine geringere Summe, richtet die Wohnungen einfacher her und vermietet für zwei, drei Jahre an Flüchtlinge. Dann hat er eine höhere Rendite und später mehr Eigenkapital für die große Sanierung.“

Bei den meisten Investoren ist das Gewinnstreben ausschlaggebend

Denn die Vergütung, die das Land zahlt, lässt sich sehen. 25 Euro pro Tag und Flüchtling seien es, in Hotels auch bis zu 50 Euro. Pro Quadratmeter Wohnfläche lässt sich bei einer Vermietung an Flüchtlinge also viel mehr erlösen. Außerdem entfallen Bonitätsprüfungen: „Man hat ja einen Superschuldner, nämlich das Land Berlin“, so der Insider. Und: „Aufgrund der Nachfrage kann man viel schneller Vereinbarungen treffen, als es sonst der Fall ist.“ Der aktuellen Lage geschuldet schauten die Investoren eben, wie sie eine vorhandene Nachfrage befriedigen und ihre Chancen nutzen.

Allerdings kann nicht jeder so einfach in das Geschäft einsteigen: „Zuerst wird geprüft, ob die Wohnungen vorher schon gewerblich genutzt wurden. Zweitens schauen die Behörden sich die Reputation des Anbieters an.“ Schließlich muss er auch ein gutes Management der Einrichtung garantieren, „sonst kann aus ihr Ruckzuck ein sozialer Brennpunkt werden“, so der Experte.

Der moralische Aspekt, zu helfen, sei sicher auch bei dem einen oder anderen seiner Geschäftspartner vorhanden. Bei den meisten wären aber wohl eher wirtschaftliche Aspekte die Leitlinie.

"Die junge Flüchtlingsindustrie lockt mit traumhaften Renditen"

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei ihrem Besuch im Duisburger Stadtteil Marxloh.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei ihrem Besuch im Duisburger Stadtteil Marxloh.

© Roland Weihrauch/dpa

Natürlich sind auch schwarze Schafe im neuen Business unterwegs. In Duisburg beispielsweise kaufen Geschäftsbetreiber baufällige Schrott-Immobilien und vermieten sie zu horrenden Preisen an Flüchtlinge weiter. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kündigte bei ihrem Besuch im Duisburger Problemviertel Marxloh an, gegen zwielichtige Unternehmer vorzugehen und Gesetzeslücken zu prüfen. „Menschen werden praktisch wie Ware behandelt und ausgebeutet“, sagte sie.

„Die junge Flüchtlingsindustrie lockt mit traumhaften Renditen von bis zu 20 Prozent pro Jahr“ – das ziehe Glücksritter an, schildert der mittelfränkische Immobilienentwickler Markus Gildner die Schattenseite des Geschäfts. Von der Sanierung von Altlasten über das Dickicht der Verwaltungsparagrafen: Die Unterbringung von Flüchtlingen sei kein Geschäft für Anfänger, berichtet der Investor nach eigener Erfahrung.

Kopfpauschalen von 30 Euro pro Tag seien für potenzielle Betreiber zwar verlockend. Doch könne sich die Flüchtlingsbetreuung auch als finanzielles Desaster herausstellen. Nach Abzug von Nebenkosten, Energieverbrauch, Reparaturen und Steuern bleibe nicht viel übrig. Außer man sei als Betreiber spezialisiert – wie nur wenige. Gildner startete 2014 die Initiative „The Peoples Project“. Seine Idee: Für Flüchtlinge günstige Reihenhäuser bauen, statt sie in baufälligen Gebäuden unterzubringen. Sie sollen sich so besser integrieren, und die Gebäude können später weitergenutzt werden.

Privatfirmen sind schneller, bergen aber auch ein Risiko

Die Hilfsorganisation Pro Asyl sieht das Geschäftsgebaren privater Betreiber kritisch. „Es muss das Ziel der Politik sein, zu verhindern, dass sich einige an den Notlagen von Menschen eine goldene Nase verdienen“, sagt Vize-Geschäftsführer Bernd Mesowic.

Im Vergleich mit dem staatlichen Wohnungsbau und seinen langen Verfahren hätten Privatfirmen zwar auch Vorteile: Sie könnten Häuser relativ schnell errichten und Wohnungen anbieten, wenn Kommunen sie am Nötigsten brauchen, meint Mesowic. Allerdings bleibe ein Risiko, wenn windige Geschäftsleute rasch Kasse machen wollten.

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