zum Hauptinhalt
Trotz Krise. Die Zahl der Zwangsversteigerungstermine ist rückläufig. Überdurchschnittliche Rückgänge verzeichnen Berlin und Brandenburg.

© Fotomontage: Jens Schierenbeck/dpa/gms

Gebote im Stakkatotakt: Auktionstermin beim Amtsgericht

Immobilienschnäppchen bei der Zwangsvollstreckung – die Verkehrswerte erleichtern die Orientierung.

Steigende Preise, Inflationsgefahr, Bankencrash? Spätestens seit der Finanzkrise um Zypern machen sich auch die letzten deutschen Kapitalanleger und Sparer Sorgen um ihre Bankguthaben. Sachwerte sind angesagt. Der Run auf deutsche Immobilien in den Großstädten treibt mitunter seltsame Blüten.

So gilt es mehr denn je: Rein in die Sachwerte, rein in Immobilien. Immobilienmakler sind überlastet und verdienen sich derzeit die sprichwörtlichen „Goldene Nasen“. Ein Schlaraffenland? Was heute nicht gekauft wird, kostet morgen schon wieder mehr. Dies gilt nicht nur für München und Hamburg, sondern in zunehmendem Maße für Berlin.

Ein Objekt ist schnell gefunden. Dann kommt es aber. Zum Kaufpreis kommen Maklergebühren, Grunderwerbsteuer, Notar- und Grundbuchkosten, die sich im Extremfalle auf bis zu 13,5 Prozent des Immobilienkaufpreises addieren.

Ganz Schlaue wollen sich diese Kosten sparen. Was liegt näher als die Wunschimmobilie übers Amtsgericht via Zwangsversteigerung zu kaufen? Neben dem Adrenalinkick beim Bieten können Makler- und Notargebühren gespart werden. Das rechnet sich wenn es klappt. Wenn es klappt!

Fritz Häberle wollte das am Beispiel Berlin einmal genau wissen. Ein bisschen im Internet über „Zwangsversteigerungen“ googeln und schon ist man Experte. Da gibt es die 70-Prozent-Regel und die 50-Prozent- Regel. Erstere bedeutet: Mindestens 70 Prozent des Verkehrswertes bieten beim ersten Termin und die Wohnung oder das Haus ist meins – oder seins. Eigentlich einfach. Jetzt gilt es noch herauszufinden, wo und wann versteigert wird! Kein Problem. Auch hier hilft das WWW. Die Landesjustizverwaltungen betreiben ein Internetportal unter www.zvg-Portal.de/

Hier wurde Häberle auch schnell fündig. Täglich finden in verschiedenen Bezirken der Stadt im Portal veröffentlichte Zwangsversteigerungen statt. Schnell sind die Termine notiert. Informationen ? Auf dem Portal gibt es Gutachten, Bilder, Lagepläne, alles um die erste Neugier zu befriedigen. Wozu also das Objekt noch besichtigen? Häberle machte sich auf zum ersten Termin in ehrwürdigen Gemäuern. 10 Uhr Charlottenburg, Amtsgerichtsplatz 1, Saal 120. Die Idee hatten auch noch ein paar weitere Zeitgenossen. Jeder beäugt jeden. Wer würde bieten, sind Nachbarn des Schuldners da? Besucher unter 30? Fehlanzeige. Ein Aufgalopp der „Best Ager“! Eine Lautsprecherstimme fordert die rund dreißig Besucher um Schlag 10 Uhr auf, näherzutreten.

Die Gebote liegen oft über den von Gutachtern ermittelten Werten

Die Besucherplätze sind gut gefüllt. Auch der Rechtspfleger und seine Mitarbeiter haben auf der Richterbank Platz genommen. Nun also geht es los. Der Rechtspfleger referiert über das Objekt, Grundbuchsituation, Versteigerungsbedingungen und stellt Prozessbeteiligte vor, wie den Vertreter des Gläubigers, in diesem Falle ist das eine Bank.

Dann eröffnet der Rechtspfleger die „Bieterstunde“, die jedoch nur 30 Minuten dauern wird und erwartet das erste Gebot. Mit Dollarzeichen in den Augen begeben sich Bieter zum Richtertisch, weisen sich aus, belegen die durch den Gläubiger geforderten Sicherheiten durch Bundesbank-Schecks oder weil sie bereits vorab – in der Regel zehn Prozent ihres Maximalgebotes – durch Vorabüberweisung an die Gerichtskasse entrichtet haben. „Cash on Table“ geht heute nicht mehr. Zu häufig wurden derartige Veranstaltungen überfallen: Bargeld bleibt also in der Tasche.

Erste Gebote sind zu hören. Für die Immobilien-Junkies im Auditorium gut hörbar wiederholt der Rechtspfleger die Gebote und prüft die Sicherheitsleistung.

Eifrig wird mitgeschrieben, Smartphones und Taschenrechner sind im Dauerbetrieb. Nebenkosten und Mieteinnahmen werden saldiert, Mietrenditen ermittelt, Gebote hin- und hergerechnet. Nach ein paar Minuten kehrt Ruhe ein. Die Bietzeit ist noch nicht um. Erst als diese abläuft, wird es wieder spannend. Teilweise im Sekundentakt erhöhen sich nun die Gebote. Ist das finanzielle Pulver verschossen? Es bleiben noch zwei Bieter. Entnervt gibt einer beiden auf. Der Hammer fällt für das letzte Gebot – zum Dritten und zum Letzten.

Das Gebot liegt deutlich über dem gutachterlich festgestellten Verkehrswert. Der Höchstbieter freut sich. die Fans beneiden ihn. Hat er doch die Rechnung ohne den Gläubigervertreter gemacht. Der nämlich zieht seinen Antrag zurück, weil er durch das Höchstgebot nicht befriedigt wurde. Rien ne va plus. Die Veranstaltung ist zu Ende. Und Häberle ging leer aus, weil sein Gebot zu niedrig gewesen war. Alles umsonst? Sicher nicht für die Gläubigerbank. Die wird es in einigen Wochen wieder probieren und bald schon den gewünschten Preis bekommen. Und dann liegt dieser beim fast Doppelten des Verkehrswertes.

Häberle hat in den dann folgenden zwei Monaten eine Reihe von Versteigerungen besucht. Auch dort kein Erfolg. Überall Ähnliches: Die Zuschläge liegen meist weit über den Verkehrswerten.

Der Vogel abgeschossen wurde kürzlich bei einer Zwangsversteigerung in Lichterfelde: 150 Leute wollten in den Saal, der mit ca. 40 Personen schon total überfüllt war. Der Rest der Bietergemeinde stand in der geöffneten Tür oder im Flur vor dem Saal. Bietgebote bekam man draußen anfänglich gar nicht mit. Kein Lautsprecher! Aber Handzeichen aus dem Saal, SMS, und gehende Besucher ermöglichten eine abgespeckte Kommunikation. Verkehrswert 75 000 Euro für eine 3-Zimmer-Wohnung. Zuschlag bei 226 000. Wieder nix für Häberle. Der Bieter mit dem höchsten Gebot bekam stattdessen Beifall aus der Menge. Schnäppchen ? Die sehen auch für Häberle anders aus.

Peter Sissovics

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false