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Immobilien: Gotteshaus zu vermieten

Nach der Sanierung kam weltliche Geschäftigkeit unters geistliche DachVON GERHARD WISTUBA Kaum hat man die Amerika-Gedenkbibliothek hinter sich gelassen, leuchtet zwischen den Bäumen des Jerusalem-Friedhofes in den letzten Strahlen der Abendsonne die evangelische Kirche Zum Heiligen Kreuz hervor: roter Backstein, Blücher- Ecke Zossenerstraße.Auf dem Kirchenvorplatz fällt ein großes handgeschriebenes Plakat ins Auge: "Die Kirche ist offen".

Nach der Sanierung kam weltliche Geschäftigkeit unters geistliche DachVON GERHARD WISTUBA Kaum hat man die Amerika-Gedenkbibliothek hinter sich gelassen, leuchtet zwischen den Bäumen des Jerusalem-Friedhofes in den letzten Strahlen der Abendsonne die evangelische Kirche Zum Heiligen Kreuz hervor: roter Backstein, Blücher- Ecke Zossenerstraße.Auf dem Kirchenvorplatz fällt ein großes handgeschriebenes Plakat ins Auge: "Die Kirche ist offen".Selbstverständlich ist das nicht.Wer in Berlin ein Gotteshaus besichtigen will, steht oft vor verschlossenen Toren: Geöffnet wird oft nur zum Gottesdienst, sofern die Kirche nicht leer steht oder wegen Baufälligkeit geschlossen ist. Die ehrwürdigen Mauern der Heilig-Kreuz-Kirche verraten wenig von ihrem Inneren.Dort verbindet die Architektur die Eleganz der Moderne mit der neugotischen Kirchenbaukunst des 19.Jahrhunderts.Hier der kirchliche Raum, dort eine Konstruktion aus Stahl und Glas, zwei völlig verschiedene Stile, die sich einander aber durchaus ergänzen..Die Architektengruppe Wassertorplatz, die Sanierung und Umbau des Gotteshauses plante, setzte auf natürliches Licht.Dazu fügten die Gestalter zusätzliche Fenster im Erd- und Emporengeschoß sowie Luken und Oberlichtbänder am First ein.Sie verwendeten die Werkstoffe der Moderne, Stahl und Glas, um damit die Transparenz der neuen Konstruktion und zugleich den Kontrast zum vorherrschenden roten Ziegelwerk zu unterstreichen. Ziel des Umbaus war es, die Kirche besser zu nutzen, Raum für Seminare, kirchliche Treffen aber auch kulturelle Veranstaltungen zu gewinnen.Christine Bergmann, Senatorin für Arbeit und Frauen, sprach von einem Modell für einen Sozialbetrieb.Vor allem im Ostteil der Stadt seien viele Kirchen und öffentliche Gebäude nach dem Vorbild der Heilig-Kreuz-Kirche zu sanieren - das war 1992.Heute, fünf Jahre danach, ist immer noch nicht viel geschehen.Von den rund 300 evangelischen Kirchen in Berlin sind 50 baufällig und mindestens 100 sanierungsbedürftig, weiß Matthias Hoffmann-Tauschwitz vom Kirchlichen Bauamt der Evangelischen Kirche.Eine solche Übersicht über den Bauzustand der 120 katholischen Kirchen liegt beim Erzbischöflichen Bauamt zu Berlin nicht vor.Die Verantwortung für die katholischen Kirchen liegt allerdings bei den Gemeinden, die mindestens 20 Prozent der Sanierungs- und Umbaukosten zahlen müssen.Das Geld aber fehlt. Auch viele öffentliche Förderquellen sind versiegt.Betroffen sind sogar Projekte, die neben der Bauleistung zusätzlich soziale Ziele verfolgen.Das war vor einigen Jahren, im Fall der Heilig-Kreuz-Kirche, noch anders: Da kam die Gemeinde mit einer guten Idee zur rechten Zeit.Knapp 20 Mill.DM kostete der Umbau, 3,5 Mill.DM steuerten die Senatsverwaltungen für Arbeit und Frauen sowie für Bau- und Wohnungswesen bei, auch das Landesarbeitsamt und das Bezirksamt Kreuzberg bezuschußten das Projekt.Den Löwenanteil, 11 Mill.DM, schoß die evangelische Kirche vor, und den Rest bezahlte die Gemeinde.Dafür, daß die Kosten nicht aus dem Ruder liefen, sorgte nicht zuletzt der KirchBauhof.Er wurde 1991 eigens für dieses Projekt gegründet, eine gemeinnützige Beschäftigungs- und Qualifizierungs GmbH, die damals mehr als 300 Arbeitssuchenden eine handwerkliche Ausbildung bot.Nicht nur junge Erwachsene, sondern auch schwer vermittelbare ältere erwerbslose Personen wurden beschäftigt und ausgebildet.Heute beschäftigt der KirchBauhof noch rund 200 Auszubildende in verschiedenen Bauvorhaben. "Guten Tag, Herr Tagesspiegel", begrüßt der Mann mit schwarzer Seemannsmütze und weißem Seemannsbart den Reporter.Es ist Pfarrer Ritzkowsky, der sich in christlicher Bescheidenheit nicht fotografieren lassen mag.Gerne fordert er aber Besucher auf, sich die Kirche von den Emporen aus anzusehen.Von dort oben wird deutlich, wie viele Gestaltungsmöglichkeiten der Raum durch die Stahleinbauten gewonnen hat.Auffällig ist vor allem das graue, zeltartige Schallschlucksegel inmitten der Kuppel.Im aufgefalteten Zustand verbessert es die Akustik im Kirchen-Großraum - gute Voraussetzungen für Konzerte und Theateraufführungen.Für diese Zwecke kann der Altarraum außerdem zur Bühne umgebaut werden. Ob nun Jurek Beckers "Jakob der Lügner" vom Jungen Theater aufgeführt wird oder der Schauspieler Erich Schwarz den "Leviathan" von Joseph Roth liest, die Veranstaltungen sindabwechslungsreich und oft gut besucht.Wer sein eigenes Programm zur Aufführung bringen will, kann das Gotteshaus kurzerhand mieten: 1000 DM am Abend kostet das für den großen Kirchenraum, die kleineren Räume sind für 150 DM bis 250 DM zu haben; stundenweise geht es auch für 25 DM bis 50 DM.Das erlaubt die Realisierung recht preiswerter Kurse und Seminare.So zum Beispiel der Qi-Gong-Kurs, der jeden Dienstag zwischen 19 und 20 Uhr 30 stattfindet und eine Lehre weitergibt, die Meditation und Kampfkunst vereint. "Mit Popkonzerten sind wir vorsichtig", sagt Pfarrer Ritzkowsky.Die müßten mit der Evangelischen Kirche abgesprochen werden.Dagegen durfte die "20th Century Fox" sehr wohl hinein: Der Filmverleih feierte die Premiere von Baz Luhrmanns "Shakespeares Romeo & Juliet" bei den Filmfestspielen 1997 bis weit über Mitternacht hinaus.Die geistlichen Vermieter nahmen nicht einmal Anstoß, als die Kuppel im Neonlicht erstrahlte und das Kreuz rosarot leuchtete."Werbung brauchen wir nicht", bilanziert Pfarrer Ritzkowsky.Bis zu 1000 Leute gingen täglich durch diese Kirche, bei Veranstaltungen deutlich mehr. Inzwischen ist die Heilig-Kreuz-Kirche eine kulturelle Institution.Besucher und Publikum kommen aus ganz Berlin.Das sind nicht immer nur Damen und Herren aus der besseren Gesellschaft: Im Programm 1996 stand auch das Fest der Obdachlosen."500 halbe Hähnchen und Suppe gibt es da", lacht Ritzkowsky, "die gehen weg wie nichts." Die soziale Arbeit für Asylanten und Obdachlose ist beispielhaft und ergänzt die kulturellen Aktivitäten sowie die sonntäglichen Gottesdienste.Auch das Gemeindezentrum zog nach der Sanierung in die Seitenschiffe, in denen Büros und Seminarräume eingerichtet wurden.Wo einst nur Tauben ein Refugium fanden, kommt der Besucher heute in den Genuß einer Aussicht über die Dächer der Stadt hinweg.Noch höher, 21 Meter über den Köpfen, wurde das Dach ausgebaut.Dort arbeiten die Superintentur Kreuzberg / Friedrichshain, eine Abteilung des Verwaltungsamtes Berlin und das Amt für Gemeindeberatung - die Kirche als Großraumbüro. Das hatte bauliche Folgen: Der stählerne Turm, der an das Hauptgebäude der Kirche grenzt, dient im Notfall als Fluchtweg - runter vom Dach.Das ist eine Vorschrift des Brandschutzes.Die existierte 1888 noch nicht, als die Kirche in Anwesenheit von Kaiser Wilhelm II.feierlich eingeweiht wurde.Doch bereits damals war das Gotteshaus für die Gemeinde von über 100 000 Einwohnern schon wieder zu klein.Das umgekehrte Problem hatte man mit ihr in den siebziger Jahren.Immer mehr Menschen traten aus der Kirche aus, und immer mehr Andersgläubige zog es nach Berlin.Das ließ die Zahl der Gemeindemitglieder auf unter 10 000 sinken.Das Gotteshaus war nun zu groß.Heute gibt es circa 3500 "Schäfchen" in der Gemeinde, doch durch die neuen sozialen Aufgaben und die Nutzung als Büro und Konzertsaal ist die Kirche gut ausgelastet - das Umbaukonzept hat Früchte getragen.

GERHARD WISTUBA

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