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Alte Straßenzüge. 1907 kaufte die Eisenbahnverwaltung rund 400 Morgen Land, um Wohnraum für ihre Mitarbeiter zu beschaffen. Der Bau der Siedlung in Elstal wurde 1919/20 begonnen.

©  Promo/Creative Commons

Güterbahnhof Elstal: Neuer Zug in der Eisenbahnersiedlung

Denkmalgeschütztes Wohnensemble soll nach langer Agonie in den kommenden Jahren grundlegend saniert werden.

In der Idylle bröckelt es. Farbe blättert von Türen und Fenstern, verschmutzte Scheiben künden von Leerstand: Teile der historischen Eisenbahnersiedlung in Elstal (Gemeinde Wustermark) bieten einen traurigen Anblick. Seit Jahrzehnten ist in die zweigeschossigen Gebäude nicht mehr investiert worden.

Ab diesem Sommer soll sich daran etwas ändern: 127 Wohn- und 8 Gewerbeeinheiten des denkmalgeschützten Ensembles sollen mit einem Aufwand von rund 11 Millionen Euro saniert werden. Bis Ende 2015 will die Wohnungsgesellschaft Deutsche Wohnen das Projekt abschließen. Dächer und Fassaden werden erneuert, Hauseingänge und Treppenhäuser instandgesetzt, Bäder modernisiert, neue Heizungen eingebaut. Zudem erhalten Keller und Dächer zeitgemäße Dämmungen. Die Arbeiten werden mit dem Denkmalschutz abgestimmt.

Holger Schreiber, Bürgermeister der Gemeinde Wustermark, bezeichnet die bevorstehende Sanierung als Beseitigung einer „katastrophalen Situation“ im Ortskern von Elstal. Seit er 2010 in sein Amt gewählt wurde, lasten die verwahrlosenden Häuser entlang der Schulstraße und am Karl-Liebknecht-Platz auf der Seele des parteilosen Politikers. Zumal die eigenen Eltern wie auch die Großeltern einst in den Eisenbahnerwohnungen gelebt haben. „Als Gemeinde war es uns ein dringendes Anliegen, dass die Siedlung in ihrer gewachsenen Form und ihrem historischen Charakter erhalten bleibt.“

Schreibers Werben für den Standort Elstal stieß im Vorstand der Deutsche Wohnen auf offene Ohren. Die positive wirtschaftliche Entwicklung der Gemeinde, der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum, die gute (Bahn-)Anbindung nach Berlin und nicht zuletzt die schöne Lage der Siedlungshäuser mit ihren großen Gärten waren die entscheidenden Argumente, das Projekt in Angriff zu nehmen. „Wir erwarten nach der Sanierung eine hohe Nachfrage – sowohl von Mietern als auch Käufern“, meint Lars Dormeyer, Geschäftsführer der Deutsche Wohnen Management GmbH.

Die börsennotierte Gesellschaft hat Erfahrung, wenn es um die Sanierung denkmalgeschützter Wohnungen geht. Denn zum Bestand der Deutsche Wohnen zählen 19 000 Einheiten unter Denkmalschutz, darunter vier Siedlungen der Berliner Moderne aus den 1920er Jahren, die seit Juli 2008 auf der Liste des UNESCO-Welterbes stehen: die Hufeisensiedlung Britz, die Weiße Stadt, die Wohnsiedlung Carl Legien sowie die Ringsiedlung Siemensstadt. Insofern befindet sich die ab 1919 entstandene Eisenbahnersiedlung in Elstal innerhalb des Unternehmens in guter Gesellschaft.

Straßen und ihre Gebäude sind ein Abbild der sozialen Hierarchie

Was aus den Mietgeschoss- und Mietreihenhäusern werden kann, ist bereits am Rand der Siedlung zu besichtigen. Einige Blöcke entlang der Lindenstraße, zuvor aus dem Besitz der Deutsche Wohnen herausgelöst, wurden in der Regie eines örtlichen Bauentwicklers denkmalgerecht modernisiert. Die hübschen Häuser waren im Verkauf und in der Vermietung besonders bei jungen Familien begehrt. Sie belegen, welches Potenzial in der Siedlung steckt.

Zumal auch die Gemeinde kräftig investieren will. Zeitlich abgestimmt mit der Deutsche Wohnen soll noch 2013 die Schulstraße samt Gehwegen saniert werden, zwischen 2014 und 2016 sollen dann die Lindenstraße und der Karl-Liebknecht-Platz folgen. Gleichzeitig werden die Leitungen durch den Wasser- und Abwasserverband Havelland erneuert. Die Attraktivität des Ortsteils Elstal, da ist sich Bürgermeister Schreiber sicher, werde durch die umfangreichen Bautätigkeiten weiter steigen.

Auch Matthias Kunze, seit vielen Jahren im Vorstand des geschichtlichen Vereins „Historia Elstal“ aktiv, freut sich auf die Instandsetzung der Ortsmitte. Denn die Siedlung biete einen anschaulichen Eindruck davon, wie sehr der nahe Rangierbahnhof Arbeiten und Wohnen in Elstal über Jahrzehnte bestimmte. Bahnhistoriker sind sich nicht ganz einig darüber, ob er der viert- oder vielleicht sogar drittgrößte seiner Art im Deutschen Reich war. In jedem Fall gehorchte das Leben in der Siedlung ganz dem Rhythmus der abzufertigenden Waggons und Züge.

Die seit 1919 entstandenen Straßen und ihre Gebäude sind ein Abbild der sozialen Hierarchie auf dem Güterbahnhof. „Die größten Wohnungen waren für die Lokomotivführer vorgesehen, Heizer oder Rangierer erhielten entsprechend ihres Rangs weniger Wohnraum zugeteilt“, sagt Kunze. Jede Mietpartei bekam einen Nutzgarten von 400 Quadratmetern zur Selbstversorgung. So wie der Bahnhof bis in die 1930er Jahre wuchs, so wurde auch die Eisenbahnersiedlung bis zum Ausbruch des 2. Weltkriegs ausgebaut, ein Schule, eine Ladenzeile, schließlich auch eine Kirche kamen hinzu.

Mit der Deutschen Einheit verlor der Bahnhof schlagartig an Bedeutung und damit begann auch der schleichende Niedergang der Eisenbahnersiedlung. Immer mehr Mieter zogen wegen des veralteten Standards der Wohnungen aus. Mehrfach zerschlugen sich Verhandlungen über den Verkauf an mögliche Investoren, 2006 schließlich ging ein Großteil des Bestands an die Berliner GEHAG-Gruppe, die im Jahr darauf mit der Deutsche Wohnen fusionierte.

Klaus Grimberg

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