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Immobilien: Hausbesuch – als in Leipzig das Urteil fiel

Noch dröhnen die Flieger im Minutentakt über das Haus, das den Schwärskys in Pankow gehört. Doch jetzt lässt sich das gelassener aushalten: Der Flughafen Tegel wird 2011 geschlossen Noch donnern die Maschinen nur ab und an über das Eigenheim der Philipps in Blankenfelde. Aber mit der Ruhe wird es auf Dauer vorbei sein: Der Flughafen Schönefeld wird bis 2011 ausgebaut

Von Kerstin Heidecke

Der dritte Flieger in zehn Minuten. Es dröhnt vom Himmel. Wieder und wieder. Das also ist die unschöne Lage der Schwärskys in der Parkstarße, dem schönen Teil Pankows zwischen Schloss- und Bürgerpark, dort, wo kleine Häuser und Stadtvillen mit Vorgärten das Bild bestimmen. Die Familie hat sich um den Esstisch von Hilde Schwärsky versammelt. Schwiegertochter Solveig fummelt noch einmal am kleinen Radio, blickt auf den Wecker. 11 Uhr an diesem Donnerstagmorgen. Die Nachrichten, aber nein, noch kein Urteil aus Leipzig. Lange Minuten, die Sohn Martin, Jahrgang 1979, mit seinem Optimismus verkürzen will. „Mama“, sagt er, „wenn Tegel geschlossen wird, dann mache ich einen Sekt auf.“ Wenn!Abwarten. Und dann, endlich, die Nachrichten mit der Nachricht schlechthin: „Das Oberverwaltungsgericht Leipzig hat dem Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld zugesti….“ Der Rest geht im lauten „Jaaaa!“ der Söhne Martin und Helmut unter, die aufgesprungen sind. Hilde Schwärsky kann nur mit Mühe Tränen unterdrücken. Martin nimmt erst seine Mutter, dann Lebensgefährtin Teresa in den Arm.

Nur langsam fällt die nervliche Anspannung der letzten Tage von den Schwärskys ab. Martin holt die Gläser: „Mutti, nun musst Du noch 30 Jahre leben! Das lohnt sich jetzt.“ Hilde Schwärsky wirkt noch benommen: „Ich kann es noch gar nicht fassen.“

Für die Schwärskys ist ihr Haus mit den fünf Wohnungen Lebenswerk und Lebenskonzept in einem. Besonders für die 67jährige Hilde. Zwei ihrer fünf Söhne sind hier geboren. Sechs Enkel toben inzwischen durch das Treppenhaus, in dem zig Kinderzeichnungen hängen. Der siebte Enkel kommt in den nächsten Tagen. Drei Generationen unter einem Dach mit 2000 Quadratmetern Garten drumherum. Erst vor drei Jahren hat sich die Familie zum Kauf des Hauses entschlossen. „Es gehört was dazu, sich auf 30 Jahre zu verschulden“, sagt Sohn Helmut (29) – und natürlich habe man „beim Kauf darauf gebaut, dass der Flughafen Tegel geschlossen wird.“

Vor rund 35 Jahren hat die Kommunale Wohnungsverwaltung (KWV) Berlin-Pankow Hilde Schwärsky und ihrem inzwischen verstorbenen Mann einen Teil des sanierungsbedürftigen Hauses aus dem Jahr 1850 als Mietwohnung zugewiesen. Hilde: „Damals war es hier noch ruhig – und dann fing der Flugverkehr in Tegel an. Seither kämpfe ich dagegen.“

Anfang der Siebziger Jahre modernisierte die DDR-Wohnungsverwaltung dann auch notdürftig, nicht, ohne Stuck und andere schöne Details zu beseitigen. Seit die Schwärskys Eigentümer des Hauses sind, renovieren und sanieren sie selbst. Sie haben Heizung und Elektrik erneuert. Eine Wohnung ist schon komplett renoviert. Kleine Zimmer haben sie zusammengelegt, Dielenböden verlegt, die Wände in warmen Rot- oder Grüntönen gestrichen. Martin zeigt auf die Ecke, in der heute ein Bücherregal steht. „Da stand das Bett, in dem ich geboren bin.“

Im Treppenhaus legen sie gerade Leitungen unter Putz. Eine kleine Leiter führt auf eine provisorische Dachterrasse mit Minikühlschrank und Gartenstuhl. Da nimmt Hilde Schwärsky jetzt erstmal Platz und blickt an den Himmel. „Heute fliegen sie nicht so niedrig. Der Winter ist immer besser. Aber im Sommer kommen die Flieger jede Minute. Wenn das Geräusch des einen verklungen ist, kündigt sich der nächste schon an. Gartenarbeit mache ich immer an den guten Tagen, wenn der Wind für uns günstig steht“, erzählt sie.

In einigen Jahren wird es den Schwärskkys egal sein, wie der Wind steht. Das macht sie glücklich, nicht schadenfroh. Im Gegenteil: Die Betroffenen in Schönefeld tun ihnen leid. Denn „wer will schon mit Ohropax im Garten sitzen?“

Es ist gut gelaufen bei Enrico Philipp, seit der Wende. Er klopft dreimal mit dem Fingerknöchel auf den Esstisch seiner Wohnküche. Glänzende Granitoberfläche. Solide auch die Bodenfliesen, hochwertig. An den Wänden warme, gedämpfte Farben. Abstrakte Malerei hängt über dem Sofa. Selbstgemacht, ein Hobby „zur Entspannung“. 10 Jahre lang haben sie das Haus ausgebaut, bis es perfekt war.

Enrico Philipp, 39, vergräbt seine Hände in den Taschen der Anzughose. Nadelstreifen, gute Ware. „Glück gehabt", sagt er und schaut doch sehr nachdenklich. Die flinken Augen senken sich, die Nase wird kraus. Gerade ist die Nachricht vom Gerichtsurteil zum Flughafen auf N-TV gelaufen. Große Emotionen dürfe man von ihm nicht erwarten, hatte Philipp vorab gewarnt. Das passe nicht zu seinem Beruf. Er ist Generalvertreter einer großen Versicherung.

Als er vor dem Fernseher sitzt, verengt sich sein Gesicht. Er schweigt, konzentriert sich, dann kommen die ersten Worte. „Jetzt sind die Feinheiten wichtig: Nachtflugverbot, Lärmschutz, Entschädigungszahlungen.“ Er steht auf, geht zum Esstisch, trinkt einen Schluck Kaffee. „Mir ist flau im Magen.“ Natürlich habe er mit diesem Urteil gerechnet. „Rational war mir klar, dass sie das nicht mehr kippen würden.“ Kurze Pause. „Aber man wollte es nicht wahrhaben.“

Blankenfelde ist ein Paradies für Eigenheimer. Viel Platz, wenig Autos, S-Bahnverbindung nach Berlin. Der Ort südlich von Berlin ist erheblich gewachsen seit der Wende und wächst weiter. „In allen Straßen wird gebaut“, erzählt Philipp und gerät ins Staunen. „Das ist für mich völlig unverständlich. Offenbar wissen die Leute nicht, was auf sie zukommt.“ Der Bürgermeister von Blankenfelde weiß es schon. Er hatte sich in einem pathetischen Appell an die Richter gewandt: „Schützen Sie unsere Kinder. Deren Zukunft liegt in Ihren Händen. Möge Gott Ihnen bei Ihrer schweren Aufgabe beistehen.“

Enrico Philipp wohnt hier zusammen mit seiner Frau seit 1989. Vor zehn Jahren kam Tochter Antonia hinzu. Das Haus haben sie von ihren Eltern übernommen und in Etappen runderneuert. „Anfang der 90er Jahre hat man die Diskussion um den Flughafen gar nicht wahrgenommen.“ Erst mit der Entscheidung für den Standort Schönefeld begann das Aufhorchen. Philipp wurde Mitglied im Bürgerverein Berlin-Brandenburg, der gegen den Flughafen kämpft. Er fragte nach, wie laut ein Flugzeug ist (85 Dezibel), wie tief es über seinem Haus fliegt (600 Meter) und wie oft die Flieger kommen werden (alle 2 Minuten). Trotzdem kann er sich nicht vorstellen, was diese Kennziffern konkret für seine Familie bedeuten werden. „Fünf Jahre haben wir jetzt noch Zeit zu überlegen.“ Ein Gedanke ist, das Haus zu vermieten und vielleicht in Potsdam ein neues zu bauen. Verkaufen geht ja nicht mehr, meint Philipp. Wegen des Wertverlustes. Um welche Summe es geht, hat er noch nicht überschlagen. Bezifferbar ist nur, was sie bisher ins Haus gesteckt haben: „Eine sechsstellige Summe.“

Philipp betreut einen Kunden, der in der Nähe des Flughafens Tegel wohnt, zur Miete, Viergeschosser. „Da sehen sie sogar den Piloten, wenn er aufs Wohnzimmer anfliegt.“ Durch das Schlafzimmer, auf der anderen Hausseite, lässt sich dann das Ausfahren der Räder beobachten. In gewisser Weise, sagt Philipp und lacht, sei das „faszinierend“. Er mag Technik, schwärmt für Formel Eins – „ja, absolut, Ferrari!“ – fährt sogar zu einzelnen Rennen. Auch die Internationale Luftfahrtausstellung in Schönefeld hat er schon besucht. Findet er gut. Flugzeuge generell. Bloß eben nicht vor seiner Haustür. Er weiß, dass das egoistisch klingt, aber würden sich die Befürworter, die nicht persönlich betroffen sind, in seiner Lage anders verhalten? Bei Feiern mit Freunden oder Kollegen meidet er das Thema. Auch im Kundengespräch ist der Flughafen tabu.

Damit man ihm keine Doppelmoral unterstellen kann, fliegt er mit seiner Familie nur ab Tegel in den Sommerurlaub, auch wenn das ein paar Euro mehr kostet. So boykottiert er auch den Billigflieger Easyjet, der einen Großteil der Flugbewegungen in Schönefeld zu verantworten hat. Nachts wacht Enrico Philipp bei jedem Flieger auf. Das Fenster steht offen wegen der Frischluft. Es mache ihm nicht viel aus, sagt er, „ich bin ja noch jung.“

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