zum Hauptinhalt

Immobilien: Im Hausflur duzt man sich

Begegnungsraum im Dachgeschoss: Ein genossenschaftliches Wohnprojekt setzt auf Gemeinschaft und Ökologie

Eine normale Mietwohnung war nicht das, was dem ehemaligen Journalisten Rainer Gebauer und seiner Frau für den Ruhestand vorschwebte. Vielmehr suchten sie ein Wohnprojekt in der Innenstadt, in dem sich die Nachbarn gegenseitig kennen und schätzen und in dem jeder seine Fähigkeiten einbringen kann. Eigentlich war Gebauer damit ein Kandidat für eine der Baugruppen, die derzeit vielerorts in der Innenstadt Wohnhäuser errichten – doch er entschied sich anders und wurde Mitglied der Genossenschaft Wohnen im Leuchtturm.

Seit Oktober 2009 wohnt Gebauer jetzt in dem von der Genossenschaft errichteten siebengeschossigen Wohnhaus am nördlichen Ende der Pappelallee in Prenzlauer Berg. Äußerlich ist es ein modernes Wohnhaus wie andere auch. Doch das Spektrum der 13 Wohnungen ist viel breiter als bei den üblichen Investorenprojekten – es reicht von der Zwei-Zimmer-Einheit mit 55 Quadratmetern bis zur 233 Quadratmeter großen Wohngemeinschaft. Außerdem gibt es im Dachgeschoss einen Gemeinschaftsraum, in dem sich die Bewohner sonntags zum „Tatort“-Gucken und alle drei bis vier Wochen zu einer Besprechung versammeln. Zufällige Begegnungen im Treppenhaus zeigen zudem, dass sich die Bewohner duzen.

Diese Vertrautheit ist kein Zufall. „Wir kennen uns schon lange“, sagt Gebauer. Der Aufnahme neuer Mitglieder müssen die Genossen zustimmen. Und erwartet wird, dass jeder mitmacht – wobei es, wie Gebauer erzählt, auf den Plenumssitzungen durchaus zu Diskussionen darüber kommt, ob alle genügend aktiv sind.

Die Mitgliedschaft in einer Baugruppe dagegen, deren Haus nach Fertigstellung in normale Eigentumswohnungen umgewandelt wird, wäre für Gebauer aus einem ganz praktischen Grund nicht infrage gekommen: „Mit meinen 65 Jahren hätte ich doch keinen Kredit mehr bekommen“, sagt er. Eine gewisse Finanzkraft wurde allerdings auch für das Leuchtturm-Projekt vorausgesetzt: Als Genossenschaftsanteil musste jedes Mitglied durchschnittlich rund 30 000 Euro einbringen. Das Nutzungsentgelt (so heißt die Miete bei Genossenschaften) beträgt neun Euro pro Quadratmeter zuzüglich zwei Euro Nebenkosten.

Eine Umwandlung in Eigentum wird es auch künftig nicht geben. Eigentümerin des Grundstücks ist nämlich die gemeinnützige Stiftung Trias, die das Areal im Erbbaurecht für 99 Jahre an die Genossenschaft verpachtet. Das hat den Vorteil, dass die Genossenschaft weniger Eigenkapital einsetzen musste. Zudem bietet die Konstruktion Gewähr, dass selbst bei einer Insolvenz der Genossenschaft kein Finanzinvestor zum Zuge kommen könnte, da das Grundstück ja bei der gemeinnützigen Stiftung bliebe.

Wesentlich beteiligt am Projekt war die Berliner Architektin Irene Mohr vom Büro Mohr + Winterer. Sie machte die Genossenschaft auf das von einem Makler angebotene Grundstück aufmerksam und entwarf ein Gebäude, das den hohen ökologischen Ansprüchen der Genossenschaft genügt. Mit einer Erdwärmepumpe und Solarkollektoren auf dem Dach erzeugt es einen Großteil der benötigten Wärme durch erneuerbare Energien; lediglich etwa 25 bis 30 Prozent muss eine Gastherme liefern.

Besonders innovativ und energiesparend sind die Fenster: In einem Pilotprojekt wurden von einem dänischen Hersteller entwickelte Fenster eingebaut, welche die Luft im Zwischenraum vorwärmen und dann über hydraulisch gesteuerte Ventile automatisch in die Zimmer strömen lassen. So neu ist dieses System, dass es von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt finanziell gefördert und wissenschaftlich ausgewertet wird.

Der Primärenergiebedarf beträgt laut Architektin Mohr knapp 34 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr, womit das Haus die Anforderungen eines KfW-40-Hauses erfüllt. Dazu trägt auch die Fassadenkonstruktion bei, die der Fertighaushersteller Haacke-Haus realisierte. Es handelt sich um eine Hybridbauweise aus einem Stahlbetonskelett mit vorgefertigten Holztafelelementen und einer sechs Zentimeter dicken Innenwanddämmung aus Lehm und Kork. Trotz des Aufwands bewegten sich die Baukosten mit 1648 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche auf einem verhältnismäßig günstigen Niveau. Bald könnte das Haus übrigens einen Nachbarn bekommen: Auf dem direkt benachbarten Grundstück Pappelallee 44 bereitet Irene Mohr gemeinsam mit der Genossenschaft Innerstädtisch Wohnen ein vergleichbares Projekt vor.

27 Erwachsene zwischen 34 und 65 Jahren – darunter viele Freiberufler, aber auch Büroangestellte – sowie 17 Kinder wohnen mittlerweile bei der Genossenschaft Wohnen im Leuchtturm. Rainer Gebauer fühlt sich wohl unter diesen Nachbarn. „Es ist eine richtige Hausgemeinschaft“, berichtet er. „Natürlich kann man seine Tür schließen. Aber man lässt sie eigentlich ganz gern offen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false