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Immobilien: Im Himmel über Berlin

Eberhard Neumann liegt die Stadt zu Füßen.Wie in der Landschaft einer Modelleisenban fahren tief unter ihm winzig kleine rote S-Bahnen und weiße ICE-Waggons vom Bahnhof Alexanderplatz zur Jannowitzbrücke.

Eberhard Neumann liegt die Stadt zu Füßen.Wie in der Landschaft einer Modelleisenban fahren tief unter ihm winzig kleine rote S-Bahnen und weiße ICE-Waggons vom Bahnhof Alexanderplatz zur Jannowitzbrücke.Die Kugel des Funkturms liegt fast auf Augenhöhe.Neumann wohnt in der Holzmarktstraße 73, ganz oben, 18.Etage.Nichts steht seiner Aussicht über Berlin im Weg, außer den beiden benachbarten Wohntürmen.Die sind genauso hoch und vom gleichen Typ: WHH 71, Plattenbau.

Neumann wohnt hier zur Miete, für 9,40 DM warm pro Monat und Quadratmeter.Die Wohnung gehört einem Berliner, der jetzt in München arbeitet.Kündigen darf er Neumann nicht: Im Kaufvertrag ist das lebenslange Wohnrecht des Mieters fixiert.Neumann kann den Blick über Berlin also beruhigt genießen."Für einen Plattenbau ist die Wohnung gar nicht schlecht.Das Schönste ist natürlich die Aussicht." Die schwindelerregende Höhe hat aber auch Nachteile.Ab Mittag riecht es in der Wohnung nach Braten, Kohl und Suppe, auch wenn Neumann gar nicht gekocht hat.Die Lüftungsanlage schiebt unerbittlich Tag für Tag den Küchenmief der unteren Stockwerke in Neumanns Wohnung.Offenbar ist sie für das Hochhaus zu schwach ausgelegt.

Zehn Stockwerke tiefer ist die Raumluft dagegen noch einwandfrei.Dort erwarb Mario Geissler eine Wohnung."Ich wollte gern höher hinaus, aber da war nichts mehr zu haben", erzählt der Rechtsanwalt.Pro Quadratmeter hat er 2800 DM bezahlt.Den Kauf bereut er nicht."Ich bin am Alex aufgewachsen, in der Mollstraße, das ist meine Gegend." Falls er es sich einmal anders überlegen sollte, hofft er auf einen guten Wiederverkaufswert, wegen der zentralen Lage und wegen der Qualitäten seiner Wohnung."Sie hat einen tollen Schnitt." Daß die Bewohner der insgesamt 136 Wohnungen in dem Gebäude wie Unbekannte mehr oder minder aneinander vorbeileben, stört ihn nicht.Die Anonymität habe allerdings ihre Schattenseiten: "Anfang des Jahres hat jemand in den Fluren Feuerlöscher und Bewegungsmelder gestohlen, und keiner hat etwas bemerkt."

Die Eigentümergemeinschaft überlegt deshalb gerade, ob sie sich einen Concierge leisten soll.Geisslers Anteil an dessen Lohn würde pro Monat voraussichtlich 100 DM betragen.Bislang zahlt er für seine 75 Quadratmeter Wohnfläche 450 DM monatlich an Betriebskosten und Instandhaltungsrücklage.Als spezieller Hochhaustribut sind darin die Aufwendungen für den Unterhalt der Fahrstühle enthalten.Für Geissler macht das 25 DM monatlich.Allerdings tickt eine Kostenbombe: die Lüftungsanlage.Weil es in den oberen Etagen regelmäßig stinkt, muß der Verwalter sie sanieren.Doch deshalb muß sich Geissler keine grauen Haare wachsen lassen.Der Verkäufer der Wohnungen, das "Immobilien Bau Contor" (IBC), übernimmt die Rechnung.

"Kundenorientierung" nennt IBC-Sprecher Olliver Vollbrecht diese teure Kulanz: Sie wird das Unternehmen vermutlich mehr als 100 000 DM kosten.Das IBC erwarb die drei Plattenbauten 1995 von der Wohnungsbaugesellschaft Mitte.18 Mill.DM investierte sie in die Sanierung.Schallschutzfenster halten seither den Lärm der Straße ab.Neue Wohnungstüren sollen Einbrechern das Leben erschweren.Die Eingangsbereiche der Häuser empfangen den Bewohner jetzt nicht mehr mit Waschbeton, sondern mit viel Glas und satten Farben.Neue Wärmeschutzfassaden sollen zudem die Heizkosten der Wohnungsnutzer senken.Das trägt ebenso wie der neue Anstrich - schneeweiß in der Fläche, abgesetzt mit roten, blauen und gelben Farben - dazu bei, daß arglose Passanten vergessen, daß Plattenbauten vor ihnen stehen.

Doch trotz dieser offenbar gelungenen Privatisierung tun sich immer noch viele Wohnungsunternehmen schwer damit, Teileigentum in solchen Häusern zu verkaufen."Die Wohnungen sind gut.Ihr Verkauf leidet aber unter dem schlechten Image der Platte", sagt Erika Kröber.Sie ist Sprecherin der Wohnungsbaugesellschaft Marzahn (WBG), dem größten Plattenbauinhaber Deutschlands.Wie alle Wohnungsunternehmen im Osten des Landes muß die WGB Marzahn mindestens 15 Prozent ihres Bestandes veräußern.Dazu verpflichtet sie das 1993 in Kraft getretene "Altschuldenhilfegesetz".Dennoch hat die Gesellschaft erst zwölf Prozent ihrer Wohnungen an die Frau oder den Mann bringen können.Die benachbarte Wohnungsbaugesellschaft Hohenschönhausen (HoWoGe) war mit 14 Prozent kaum erfolgreicher.

In Hochhäusern gelegene Wohnungen bietet die WBG erst gar nicht an."Der vielen Bewohner wegen gelten solche Gebäude als anonym.Kleinere, überschaubare Einheiten sind eher gefragt", sagt Kröber.Ihm widerspricht IBC-Sprecher Vollbrecht: "Entscheidend sind die Lage sowie Preis- und Mietniveau".Weder die Bauweise noch die Höhe der Gebäude behinderten den Wohnungsverkauf.Die Zahlen sprechen für seine Sicht der Dinge.Seit 1995 konnte das IBC die Hälfte der 406 Wohnungen in den Häusern Holzmarktstraße 69, 73 und 75 veräußern.Und das, obwohl alle Mieter lebenslangen Kündigungsschutz genießen.Die noch nicht verkauften Wohnungen der drei Wohntürme will das IBC im eigenen Bestand behalten und weiterhin vermieten.

Wer dort in den eigenen vier Wänden leben will, muß also darauf warten, daß jemand auszieht.Zum Beispiel Eberhard Neumann.Aber das kann dauern.Der Mittfünziger Neumann jedenfalls will mindestens bis zur Rente mit dem Alex zu Füßen wohnen.

CHRISTOF HARDEBUSCH

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