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Das Gebäude Oranienplatz wurde nach Entwürfen von Max Taut und Franz Hoffmann als Warenhaus der Konsumgenossenschaft erbaut.

© imago/imagebroker

Kampf um Max-Taut-Atelier: Wo bleibt in Kreuzberg die kreative Vielfalt?

Jahrzehntelang konnten Kiezkünstler im Max-Taut-Haus Arbeiten. Nun sehen sich von einer Werbeagentur verdrängt.

Elf Jahre lang hat die Grafikerin Katja Clos im Max-Taut-Haus am Kreuzberger Oranienplatz in der sechsten Etage als Untermieterin ein kleines Atelier betrieben. Das Kottbusser Tor war stets in ihrer Sichtweite. Dann kamen ein Vermieterwechsel und die Kündigung. Ein typischer Fall von Gentrifizierung in Kreuzberg?

Katja Clos und einige weitere Künstler aus der fünften und sechsten Etage im Haus wollten sich mit dem Verlust ihrer günstigen Arbeitsräume nicht abfinden. Elf Einzelateliers mit Größen von 30 bis 150 Quadratmetern seien bedroht, erklärten sie und gründeten Anfang Juni 2017 die Initiative „Max Taut Arts Labs“. Clos wurde Sprecherin der Initiative und verkündete: „Wir wollen die kleinteilige Mischung in unserer Gewerbe-WG erhalten.“

Der neue Hauptmieter für die umstrittenen Räume ist die „Heimat Werbeagentur GmbH“ am angrenzenden Segitzdamm. Sie hat nach und nach fünf Etagen im Haus angemietet: Das Unternehmen gehört zu den großen der Branche. Dependancen leistet man sich in Hamburg, Wien und Zürich. Die Agentur wurde 1999 in Berlin gegründet. Heimat-Geschäftsführer Strategie Andreas Mengele erinnert sich: „Wir haben damals die zwei Penthouse-Etagen gemietet und uns kontinuierlich weiterentwickelt.“ Mittlerweile sind am Berliner Stammsitz rund 250 Mitarbeiter beschäftigt. Zu den Großkunden gehören die Baumarkt-Kette Hornbach, Audi und Burger King.

"Warum sollen nur die Großen alles bekommen?"

Andreas Mengele bestreitet den Vorwurf, die Agentur würde Künstler verdrängen und der Gentrifizierung Vorschub leisten: „Wir haben Anfang des Jahres einen großen Auftrag bekommen und inzwischen 40 neue Mitarbeiter eingestellt. Für sie brauchen wir die sechste Etage. Wir sind keine Spekulanten und haben Anfang Mai 2017 den ansässigen Künstlern in der fünften Etage ein Untervermietungsangebot gemacht.“ Dort seien auch noch zwei Atelierräume frei.

Das Gebäude Oranienplatz wurde nach Entwürfen von Max Taut und Franz Hoffmann als Warenhaus der Konsumgenossenschaft erbaut.
Das Gebäude Oranienplatz wurde nach Entwürfen von Max Taut und Franz Hoffmann als Warenhaus der Konsumgenossenschaft erbaut.

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Mengele fragt sich, warum die Nutzer aus der sechsten Etage sich nicht früher um einen Hauptmietvertrag bemüht hätten. Der Berliner Firmensitz der Heimat-Werbeagentur in dem hellen Bauhaus-Ensemble, das sich markant von der Gründerzeitumgebung abhebt, ist eine illustre Adresse. 1929 bis 1932 als Warenhaus der Konsumgenossenschaft errichtet, hatte das Gebäude prominente Bewohner. So nutzte der Regisseur Wim Wenders rund um die Wendezeit zehn Jahre lang das Penthouse im 7. und 8. Obergeschoss zum Arbeiten und zum Leben. Die Dachterrasse auf der 7. Etage nannte er „Flugzeugträger“. Von dort aus hat man einen fantastischen Rundblick über Berlin. Wenders „Himmel über Berlin“ aus dem Jahre 1987 dürfte diesem Ort manche Inspiration verdanken.

Die Kreuzberger Mischung hat frei schwebenden Designern und Architekten im Max-Taut-Haus jahrzehntelang eigenständiges Arbeiten erlaubt. Nun weht ein anderer Wind. Katja Clos fragt: „Google, Zalando, Heimat – warum sollen nur die Großen alles bekommen und die Kleinen gehen? Ist das noch Kreuzberg? Wo bleibt die kreative Vielfalt?“

Was bleibt übrig vom alten Kreuzberg?

Andreas Mengele schüttelt den Kopf, wenn er das hört: „Es ist nie unsere Absicht gewesen, jemanden zu verdrängen. Wir sind auch keine Spekulanten, haben uns stattdessen verträglich mit anderen arrangiert. Wir gehören zum kreativen Kosmos hier im Kiez und sind kein Fremdkörper.“ Der Agentur-Stratege redet sich in Rage: „Wir sind keine Schickimicki-Typen, nicht wie Heuschrecken eingefallen und leben auch nicht auf einem anderen Stern, sondern bodenständig in Kreuzberg.“

Doch die Agentur zählt, bei allem Verständnis für die Kiezkünstler vor Ort, zu den Großen. Sind das die neuen Treiber für den Wandel in Kreuzberg? Sara Walther vom „Bündnis Zwangsräumung verhindern“ beantwortet die Frage mit Ja. Sie sieht den Kiez in Gefahr: „Wir haben eine Umfrage unter Gewerbetreibenden in der Oranienstraße gemacht. Dabei kam heraus, dass sich 60 Prozent von ihnen in der Existenz bedroht sehen.“ Mietpreissprünge würden in vielen Fällen alteingesessene Projekte ins Wanken bringen.

Noch gibt es die Alt-Berliner Gastwirtschaft „Max und Moritz“ – sie wird gerade renoviert – wie auch das Traditionslokal „Stiege“ zwischen Oranien- und Moritzplatz. Anwälte, Physiotherapeuten, Minipizza und Shiatsu-Zentrum säumen die Straße. Ein buntes Stimmengewirr ist zu hören, der Sound von Start-ups, Rucksacktouristen und New Economy. Da liegt der Vergleich mit dem Hackeschen Markt nicht so fern. Was bleibt übrig vom alten Kreuzberg im Schatten der Mauer?

Der Appell an die Politik hilft im aktuellen Konflikt nicht mehr

Ältere Kiezaktivisten fürchten um die Idylle. Mancher hat bereits das Quartier verlassen. „In zehn Jahren“, so prophezeit einer von ihnen, „ist nur noch die Hälfte der hier arbeitenden freien Künstler am Ort.“ Entweder man werde an den Rand der Stadt gedrängt oder male künftig in der Wohnung. Der Kiez sei schon lange nicht mehr der Rückzugsort für die Kreativen.

Stadtrat Florian Schmidt, vor einem Jahr selbst noch Berliner Atelierbeauftragter, kann auch nicht viel machen. Er konstatiert: „Am Beispiel der Max-Taut-Ateliers zeigt sich einmal mehr das Grundproblem der Innenstadtkieze. Selbstständige Kulturschaffende und Familienunternehmen werden durch finanzstarke Unternehmen der Kreativindustrie verdrängt.“ Schmidt sieht sogar den sozialen Frieden in Gefahr und wünscht sich Veränderungen im bundesdeutschen Gewerbemietrecht. Der Appell an die Politik hilft im aktuellen Konflikt nicht mehr.

In der gekündigten sechsten Etage am Oranienplatz 4 stapeln sich die Umzugskisten. Die Agentur Heimat steht vor der Tür. Ja, Gentrifizierung ist ein böses Wort. Mieter kommen und gehen. Aber der Himmel über Berlin bleibt mit all seinen Fragen. Wie schrieb Wim Wenders kürzlich über seine Jahre am Segitzdamm: „Häuser überleben uns. Sie überdauern ihre Architekten sowie die Menschen, die sie bewohnen. Nur ob und wie sie sich an uns erinnern, das frage ich mich manchmal.“

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