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Der Stockholm Royal Seaport ist ein Riesenprojekt mit 6000 Wohnungen, 35.000 Büroarbeitsplätzen und einem Investitionsvolumen von 2,3 Milliarden Euro. Dunkle Gebäude sind geplante oder schon errichtete Neubauten. Das Hochhaus entsteht an der Stelle eines alten Gasometers, die verdichtete Bauweise war sehr umstritten. Das Gebäude ganz oben mit den abgerundeten Kanten ist ein Biomassekraftwerk. Es soll das letzte Kohlekraftwerk Stockholms (darunter, mit den weißen Schornsteinen) ersetzen.

© Susanne Ehlerding

Klimagerechtes Bauen in Schweden: Wo sich die Beete volllaufen lassen

Am Stockholmer Hafen entsteht ein neues Stadtquartier. Weit draußen in Järva werden Hochhausiedlungen auf den neuesten Stand gebracht.

Wie sich die Themen gleichen: Wohnungsmangel, steigende Preise, soziale Probleme und der Klimawandel beschäftigen Stadtplaner in aller Welt. In Berlin wie in Stockholm. Der Zuzug in die schwedische Hauptstadt hat die Preise explodieren lassen, die Stadtverwaltung musste handeln und legte am alten Hafen ein ambitioniertes Wohnungsbauprogramm auf.

100 Jahre lang wurde am Stockholm Royal Seaport aus Kohle Gas hergestellt – anfangs vor allem für die Beleuchtung in den Häusern. „Damals war das eine Revolution“, sagt Camilla Edvinsson von der Stockholmer Stadtverwaltung. Das Industriezeitalter feierte sich selbst mit prächtigen Gasometern, die heute noch auf dem Gelände stehen. Einer davon soll bald zu einer Showbühne umgebaut werden, der andere ein Musikhotel mit Proberäumen werden.

Die Hinterlassenschaft der Epoche war aber auch ein verseuchter Boden, der abgetragen und dekontaminiert werden musste. Immerhin 60 Prozent des Abraums konnte wiederverwertet werden, aber zwölf Prozent der Bausumme gingen dafür drauf.

Jetzt ist am Royal Seaport zu erahnen, wie das Stadtquartier einmal aussehen wird: Sechs bis neun Stockwerke ragen die ersten Wohnblöcke auf, noch etwas aseptisch, aber schon von 3000 Menschen bewohnt. Die Straßenbahn fährt, die Busse tanken Bioethanol und mit dem Fahrrad ist man in zehn Minuten in der Stadtmitte.

Die zweite Revolution auf dem Gelände besteht heute in der Energieeffizienz: 55 Kilowattstunden pro Quadratmeter im Jahr beträgt der Energieverbrauch in den Wohnungen – vergleichbar mit dem Neubaustandard in Deutschland. Ein unterirdisches Mülltrennungssystem sammelt den Abfall per Vakuumsauger ein – etwas Ähnliches ist für das neue Technologiegebiet am Flughafen Tegel geplant.

Anlegende Schiffe sollen einen eigenen Landstromabschluss bekommen

Die 40 Projektentwickler bekommen eine Software an die Hand, mit der sie den ökologischen Fußabdruck aller Baumaterialien über die ganze Lebenszeit errechnen können und ein eigenes Netzwerk soll den Energieverbrauch demnächst vollautomatisch mit den Energiepreisen koordinieren.

Abfallbehandlung im neuen Stadtviertel Stockholm Royal Seaport: Die Müllfraktionen werden getrennt mit einem Vakuumsaugsystem eingesammelt. Die Containerdächer sind begrünt.
Abfallbehandlung im neuen Stadtviertel Stockholm Royal Seaport: Die Müllfraktionen werden getrennt mit einem Vakuumsaugsystem eingesammelt. Die Containerdächer sind begrünt.

© Susanne Ehlerding

Schließlich der Hafen: Um die Emissionen zu reduzieren, werden die Schiffe einen eigenen Landstromabschluss bekommen. „Das ist nicht trivial, denn ein modernes Kreuzfahrtschiff verbraucht so viel Energie wie eine kleine Stadt mit 8000 Einwohnern“, sagt Camilla Edvinsson.

Trotzdem sollen im Hafen bis zum Jahr 2030 keine fossilen Brennstoffe mehr verbraucht werden. Für ganz Stockholm ist dieses Ziel im Jahr 2040 angepeilt – zehn Jahre vor Berlin, das sich mit seinem Klimaschutzprogramm ein ähnliches Ziel gesetzt hat.

Wer Mietwohnungen schafft, kann den Grund und Boden pachten

Bei allem Fortschritt ist das Wohnen im Royal Seaport nicht billig und auch nicht subventioniert. „Das Sozialprogramm besteht darin, dass es hier Mietwohnungen gibt“, sagt Camilla Edvinsson. Ansonsten ist Schweden ein Land mit viel Immobilienbesitz. „Aber die traditionelle Karriere, bei der jungen Familien zuerst eine kleine Wohnung kaufen, diese verkaufen, um eine größere zu kaufen, funktioniert wegen der hohen Preise nicht mehr“, berichtet Michael Skoglund vom Schwedischen Institut und selbst junger Familienvater.

Auf den Klimawandel vorbereitet: Bei Starkregen können die Becken um die Bäume im Royal Seaport volllaufen. An den Stämmen der alten Eichen sieht man, dass das gesamte Wohngebiet höher gelegt wurde – drei Meter über dem ursprünglichen Niveau sind ein Puffer für den Anstieg des Meeresspiegels.
Auf den Klimawandel vorbereitet: Bei Starkregen können die Becken um die Bäume im Royal Seaport volllaufen. An den Stämmen der alten Eichen sieht man, dass das gesamte Wohngebiet höher gelegt wurde – drei Meter über dem ursprünglichen Niveau sind ein Puffer für den Anstieg des Meeresspiegels.

© Susanne Ehlerding

Projektentwickler, die Mietwohnungen schaffen, können am Royal Seaport Grund und Boden pachten, das senkt die Preise. Trotzdem kostet eine 83-Quadratmeter-Wohnung rund 1600 Euro Miete, beim Kauf sind 8600 Euro pro Quadratmeter einzuplanen. Hier liegen also Welten zwischen Berlin und Stockholm, trotz der immer größeren Erhitzung auf dem Wohnungsmarkt in der deutschen Hauptstadt.

Trotz der sozialen Probleme wollte niemand aus Järva wegziehen

Mohammed Hagi Farah aus Somalia ist in Järva heimisch geworden.
Mohammed Hagi Farah aus Somalia ist in Järva heimisch geworden.

© Susanne Ehlerding

Das Geld, das die Wohnungsgesellschaft Svenska Bostäder am Royal Seaport einnimmt, fließt allerdings doch in ein soziales Projekt. Weit draußen am Stadtrand, viele, viele Fahrradminuten von der Innenstadt entfernt, liegt Järva. Die Ansammlung von Hochhäusern im sozialen Wohnungsbau wurde in den 60-er und 70-er Jahren errichtet. Auch Järva soll nachhaltig werden.

Wie, ist ein Lehrstück über eine sozial verträgliche energetische Modernisierung. Eigentlich sollten viele der Wohnblöcke abgerissen werden, man hatte den Bewohnern sogar Umsetzwohnungen in der Innenstadt angeboten. Aber sie wollten nicht.

Die Bewohner entscheiden mit über die Maßnahmen

So schwer zu verstehen es auch war für die Planer aus dem Mittelstand: Ihr Zuhause in den Wohnblöcken bedeutete den Menschen etwas. „Sie wollten nicht entfernt von ihrer Familie und den Freunden leben“, sagt Camilla Edvinsson. Und das trotz aller sozialen Probleme: 80 Prozent der Bewohner haben keine schwedischen Vorfahren, die Hälfte ist arbeitslos.

Als Zeichen des Wandels sind auch die Fassaden einiger Hochhäuser in Järva mit Solarpaneelen belegt.
Als Zeichen des Wandels sind auch die Fassaden einiger Hochhäuser in Järva mit Solarpaneelen belegt.

© Susanne Ehlerding

Nach der energetischen Sanierung ist der Energieverbrauch von 180 Kilowattstunden pro Quadratmeter im Jahr auf 100 gesunken. Gemeinsam entscheiden die Bewohner in Kommittees, welche Maßnahmen in den Wohnungen gemacht werden. Manche sind allerdings obligatorisch wie eine Dämmung, neue Fenster, eine neue Küche und ein neues Bad sowie der Einbau einer Wärmerückgewinnung, die gleichzeitig für Frischluftzufuhr sorgt. Nicht mehr als 110 Euro steigt die Miete durch diese Komponenten.

Zum Programm gehört auch der Einsatz von Dialogerleichterern, so die wörtliche Übersetzung für die Tätigkeit von Mohamed Hagi Farah. Seine acht Kinder sind in Schweden aufgewachsen – er selbst sieht sich noch halb als Somalier und halb als Schwede. „Ich sorge dafür, dass bei Problemen alle einen Gang runterschalten“, sagt Hagi Farah – das Konzept der Dialogerleichterer wäre vielleicht auch ein gutes Vorbild für Berlin.

Die Autorin war auf Einladung des Schwedischen Instituts in Stockholm.

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