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Immobilien: Kunst für die Wand

Designer entdecken mehr und mehr die Tapete

Von Caro Maurer

Im Kaminzimmer ziehen sich schlanke Fältchen wie feine Adern über den himbeerroten Untergrund und verleihen ihm so eine anmutige Struktur. In einem anderen Raum tanzen weiße Bälle scheinbar schwerelos auf und ab und werfen ihre Schatten an eine große weiße Wand: Die neuen Tapeten bilden eine dezente, aber dennoch ausdrucksstarke Kulisse, ob für moderne Design-Möbel oder für eher klassisch gehaltene Einrichtungen. Es wird wieder Farbe bekannt und Muster gezeigt an der Wand – Zeit für einen Tapetenwechsel und Zeit für die neuen Designs, die der Tristesse der Raufaser-Ära ein Ende bereiten.

Von „Wandbekleidung“ spricht Bernhard Holzapfel, Chefstylist der Marburger Tapetenfabrik in Kirchhain (Hessen), daher auch viel lieber. Für die Raufaser hat er nur Verachtung übrig. Tapeten – das sind für Holzapfel aufwändige Designobjekte, die einer Wand Charakter und Authentizität verleihen und nicht Unebenheiten kaschieren müssen. Vor vier Jahren konnte Holzapfel den Textildesigner Ulf Moritz überreden, für Marburg Tapeten zu entwerfen. Gemeinsam sprengten sie die konventionellen Bahnen, experimentierten mit gecrushtem Seidenpapier, um fernöstlichen Purismus an die Wand zu malen, oder mit Granulaten, um gekörnte Kreise über das Papier zu ziehen – der eine technischer Freigeist, der andere kreativer Kopf: „Ich habe mir dabei lange weiße Gänge vorgestellt, große öffentliche Räume – wenn schon Wand, dann richtig“, sagt Moritz.

Vorbild TV-Kultur

Kunst und Tapete: Auch die Manufaktur Rasch in Bramsche (Niedersachsen) hat diese zwei Sujets formschön vereint. Seit 1928 fabriziert Rasch Klassiker wie die Bauhaus-Tapeten. 1992, zum 100-jährigen Bestehen, ließ das Unternehmen „Zeitwände“ kreieren – unter anderem von Designern wie Ettore Sottsass, Matteo Thun oder Borek Sipek, der beispielsweise blaue mundgeblasene Halbkugeln auf weißen Grund setzte. Das deutsche Designerduo Ginbande schuf dagegen eine Betontapete. „Ein Liebhaberprojekt“, erinnert sich Michael Hennecke, Designer bei Rasch. Doch nicht die Kunst, sagt Bernhard Holzapfel von Marburg, sondern profane TV-Kultur habe der Tapete schließlich zum Start einer zweiten Karriere verholfen. Lebten in den 80er Jahren noch die Ewings in Dallas und die Carringtons in Denver der deutschen Fernsehnation schwelgerischen Luxus selbst an der Wand vor, geht es inzwischen auch hier zu Lande in den Serien bunt zu: Von der „Lindenstraße“ bis zu „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ werden die Bildschirm-Kulissen farbenfroh tapeziert.

Die Erben von Hugo Erfurt, dem Erfinder der Raufaser, mussten sich angesichts der farbenfrohen Konkurrenz Neues einfallen lassen. Wie die anderen stellen auch Martin und Henrik Erfurt, Geschäftsführer des 175 Jahre alten Familienbetriebs, heute Vliestapeten her – diese werden direkt von der Rolle auf den vorgekleisterten Untergrund gepappt. Das neueste Modell von Erfurt verheißt zudem ein langes Leben: Eingearbeitete Kryptogramme sollen nach den Grundprinzipien von Feng Shui die Lebensenergie der Bewohner stärken. gms

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