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Immobilien: Leere Läden voller Kunst

Die Krise am Immobilienmarkt hat auch gute Seiten: Nicht vermietete Gewerbeflächen sind billig und werden für Künstler und Modeschöpfer mit kleinem Budget attraktiv. Die Räume liegen oft in sozialen Brennpunkten

„Die Vorstellung, dass man Kunst in einem leer stehenden Laden oder einem Büroneubau machen kann, ist naiv!“ Bernhard Kotowski, Geschäftsführer des Kulturwerks des Berufsverbandes Bildender Künstler (bbk) in Berlin, grollt. Immer wieder muss sich der bbk gegen Versuche wehren, die Atelierförderung des Senats zu streichen und Künstler statt dessen auf die vielen leer stehenden Läden, Büros und Wohnungen zu verweisen. Doch für die Arbeit mit Farben und Lacken, mit Stein und Metall werden keine beliebigen Räume, sondern kleine Werkstätten gebraucht – mit viel Licht, Strom- und Wasseranschluss. So scheitert manches gut gemeinte Angebot schon an den Türbreiten: „Bringen Sie mal eine zwei mal drei Meter große Leinwand durch das Treppenhaus eines Plattenbaus!“

Was aber tun mit den vielen leer stehenden Läden und Büros in der Stadt? „Jeder Laden, der belebt ist, ist uns heilig!“, sagt Kristina Laduch, Leiterin des Stadtplanungsamtes Mitte. Deshalb liebäugeln Politiker, Kulturbeauftragte und Sozialarbeiter mit der Idee, nach New Yorker Vorbild einen Wanderzirkus in Bewegung zu setzen und Künstler in Lagen mit hohem Leerstand und sozialen Problemen anzusiedeln. Wenn alles gut geht, folgen Galerien und Cafés, dann Modefirmen und schließlich Anwaltspraxen, Architekturbüros sowie gut betuchte Bewohner. Dann blüht der Bezirk auf und die Künstlerkarawane zieht weiter, in den nächsten herunter gekommenen Stadtteil – wo Mieten noch niedrig sind.

Auch Kotowski verschließt sich der Idee, Künstler in leer stehende Läden zu bringen, nicht. Immerhin sind Tausende kleiner Läden unvermietet – wie viele es insgesamt sind, weiß niemand ganz genau. Und Läden kosten zwar in der belebten Müller- oder Karl-Marx-Straße bis zu 45 Euro netto pro Quadratmeter im Monat doch in den weniger zentralen Wohngebieten der Stadtteile Wedding oder Neukölln finden sie nicht einmal für 7,50 Euro Mieter. Preise, die für manche der 2500 Berufskünstler in Berlin auf Ateliersuche erschwinglich sein könnten.

Künstler bevorzugen Gewerbeflächen in Hinterhöfen von Altbauten. Doch in vielen Bezirken ist die Konkurrenz um diese Räume groß. In Prenzlauer Berg etwa, Anfang der 90er Jahre ein klassischer Kunstkiez, ist der Wanderzirkus längst vorbei: Hier sind Gewerberäume für Künstler heute nicht mehr zu bezahlen – und in den inzwischen sanierten Fabriketagen lebt Berliner Prominenz.

Das Durchschnittseinkommen Berliner Berufskünstler liegt nach Umfragen des bbk — inklusive Stipendien, Nebenjob oder Scheck von den Eltern — bei 760 Euro im Monat. Vielen Kreativen bleibt daher der billigen Mieten wegen nur der Umzug nach Neukölln, nach SO 36 oder in den Wedding, so Kotowski.

Dort sind die leeren Läden für manche Künstler als Ausstellungsräume interessant. Auch in Pankow. Bei der Künstler-Aktion „Leerstand kunstvoll“ im Sanierungsgebiet Wollankstraße gibt es seit 2001 Erfahrungen mit der Wiederbelebung leer stehender Läden. Die Idee ist simpel: „Die Werbung für die Künstler ist zugleich Werbung für das Gebiet“, sagt Susanne Jahn vom Büro für Stadterneuerung Jahn, Mack&Partner, Sanierungsbeauftragte im Gebiet. Dessen Kern, die Florastraße, ist eine dieser kleinen Geschäftsstraßen, in denen Bewohner einst Milch und Brötchen um die Ecke kauften oder ihre Schuhe besohlen ließen.

Diese kleinen Läden starben mit dem Aufkommen der Discounter. Nun sind die neuen Mieter Künstler. Sie erstatten den Eigentümern die kalten Betriebskosten von zwei bis drei Euro pro Quadratmeter und Monat. Heizung, Strom und Telefon müssen die Künstler selbst bezahlen und auch ihre Werke selbst versichern. Vier bis sechs Wochen bleiben sie im Laden. „Viele machen Veranstaltungen wie Lesungen, Musik, Tanz und wechselnde Ausstellungen, andere hängen nur ihre Bilder auf.“ Zu Verkäufen kommt es eher selten, und wenn, dann sind es kleinere Stücke. Kontakte und Gespräche sind aber auch wichtig.

Die Hoffnung, dass sich alle Läden anschließend vermieten lassen, erfüllte sich bisher nicht. Das liegt nicht zuletzt an den Besitzern: „Die haben häufig überzogene Vorstellungen davon, was sie für die Läden bekommen können“, sagt Susanne Jahn. Statt sie billig abzugeben, ließen sie die Geschäfte lieber leer stehen.

Auch im Soldiner Kiez beteiligen sich 20 „Orte“ – kleine Galerien, ein Café und ein Theater – an der „Kolonie Wedding“. Das Quartiersmanagement vermittelt günstige Räume, in denen Künstler arbeiten und ausstellen können. Die Mietverträge sind hier nicht von vorneherein begrenzt: bei einer Kündigungsfrist von zwei Wochen verlängern sie sich immer wieder um ein halbes Jahr. Die Künstler zahlen aber nur die Betriebskosten.

Für dieses Projekt wurde die städtische Wohnungsbaugesellschaft DEGEWO gewonnen. Einmal im Monat ist „Kolonieabend“ – das soll ein Publikum in den Kiez locken, das sonst eher in Prenzlauer Berg oder in Friedrichshain flaniert. Auch Boelter hofft, dass einige der Künstler im „exotischen Wedding“ bleiben und andere Gewerbetreibende nachziehen. Schließlich sei der Wedding „das Hinterzimmer von Mitte.“

Doch dort werden Künstler einstweilen von den sozialen Problemen wieder eingeholt. Gerade wurde in zwölf der 20 Läden im Soldiner Kiez eingebrochen – Computer, Musikanlagen und ein Beamer sind gestohlen. Und Irene Stader, die zusammen mit ihrem Mann eine kleine Galerie und ein Atelier für Kunst und Textildesign in der Tegeler Straße im Wedding aufgemacht hat hätte auch nicht damit gerechnet, dass ihr größtes Problem eine Gruppe von Straßenkindern im Alter von sieben bis 13 Jahren sein würde. „Sie belagern die kleinen Läden in der Straße und provozieren die Erwachsenen." Für die Existenzgründerin ein echtes Problem, denn sie kann ihre schicken, selbst entworfenen Kleidungsstücke aus edlen Materialien nicht mehr auf der Straße präsentieren.

Christoph Meyer, Spezialist für Gewerbeimmobilien bei der Atis Real Müller Gruppe, sagt: „Das Konzept ist gut, doch es funktioniert nur in Gebieten mit kieziger Struktur, nicht in Schöneweide oder Hellersdorf.“ Auch in der City West werde es schwierig. Doch am Savignyplatz und im Scheunenviertel rund um die Oranienburger Straße und das Kunsthaus Tacheles in Mitte hat es schließlich auch geklappt. Dort sind jetzt sogar die Konzerne nachgezogen: adidas hat dort einen Trendstore eröffnet.

Rita Gudermann

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