zum Hauptinhalt
Aufs Rad und los! Wer seine Kunden binnen kürzester Zeit mit Waren versorgt, hat einen Vorsprung vor der Konkurrenz.

©  Urban ML/FOUR PARX GmbH

Logistikimmobilien: Wie stadttaugliche Lagerhäuser aussehen können

Lagerflächen in den Innenstädten sind rar und eine Herausforderung für den Verkehr. Doch Logistikentwickler finden kreative Lösungen.

E-Commerce und Bringdienste haben Hochkonjunktur, kaum ein Immobiliensegment wächst derzeit so rasant wie Logistikimmobilien. Jedes Jahr entstehen in Deutschland rund vier Millionen Quadratmeter neue Lagerflächen. Superlative vermeldet auch Berlin: Auf dem Logistikmarkt der Hauptstadt wurde einer Analyse von BNP Paribas Real Estate zufolge im ersten Quartal 2017 mit einem Umsatz von 135 000 Quadratmetern die beste Bilanz der vergangenen zehn Jahre erzielt.

Doch gerade in den Innenstädten sind geeignete Areale rar. Um den Verkehrskollaps abzuwenden, müssen Städte Lagerflächen integrieren. Das erfordert Kreativität und Imagearbeit, wie beim „Big5 Dialogforum Logistik-Immobilien“ am Mittwoch in Berlin klar wurde.

Was früher der Promarkt im Ku’damm-Karree war, nutzt heute Amazon als Lager. Der Ladendienst ist dem Paketdienst gewichen, das Selbst-Abholen dem Gebracht-Bekommen. Warum der Internetgigant im Herzen Berlins sein Minidepot eröffnete? Nur durch lokale Nähe kann er seine Premiumkunden in ein bis zwei Stunden beliefern. Zugleich bestimmte Platzmangel seine Standortwahl: „Jahrelang wurde Gewerbe aus den Innenstädten verdrängt, heute gibt es so gut wie keine Lagerflächen mehr“, beschreibt Thomas Steinmüller, Vorsitzender für den Bereich Logistikimmobilien im Zentralen Immobilien Ausschuss (ZIA), den Status quo der Branche zum Auftakt des Dialogforums. „Deshalb wich Amazon auf einen nicht einmal 3000 Quadratmeter großen Laden aus – was untypisch klein für ein Depot ist.“

In der Schweiz soll ein unterirdisches Tunnelsystem den Verkehr entlasten

Amazons spektakuläre Anmietung ist die Vorhut des Trends, Lagernetzwerke in die Innenstadt hinein zu verfeinern. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Die Paketmassen wachsen – und mit ihnen der Anspruch, Zustellungen immer schneller zu Wunschzeiten an Wunschorten zu erhalten. Die Kehrseite des bequemen Onlineeinkaufs sind Lieferwagen, Zweite-Reihe-Parker und Staus. Mit ihnen wird die Fortbewegung zum täglichen Ärgernis, und Lärm- wie Abgaspegel steigen. Beides erzeugt politisch Handlungsdruck.

„Immer mehr Kommunen planen, Dieselfahrzeuge zu verbieten. Um diese Umstellung zu bewältigen, muss langfristig eine kleinteiligere Infrastruktur aufgebaut werden. Wo die fehlt, können Lieferversprechen nicht mehr eingehalten werden“, prognostiziert Frank Weber, Leiter Industrie und Logistik Deutschland beim Immobilienberater JLL.

Wobei „Infrastrukturaufbau“ ein weiter Begriff ist, wie Weber ausführt: In Hamburg experimentiert UPS mit mobilen Wechselbrücken: Die Container werden täglich voll in die Stadt gekarrt und die Waren mit eBikes ausgetragen. Paris verlagert Teile des Pakettransports auf Flüsse und Züge. In der Schweiz soll ein unterirdisches Tunnelsystem den Verkehr entlasten. Und eine andere Möglichkeit ist „Multiuse“: Unterschiedliche Nutzer bespielen zeitversetzt die gleichen Flächen. Denkbar ist zum Beispiel es, Parkhäuser oder Büros nach Feierabend zum Um- und Verladen zu nutzen.

Stadtlogistik ist die Kunst, vorhandene Strukturen kreativ zu nutzen – aber auch, Immobilien eines neuen Typus zu schaffen. Wie stadttaugliche Lagerhäuser aussehen können, stellten eingesessene Logistikentwickler wie Four Parx oder Segro vor: Schon bald sehen wir Depots in den Himmel wachsen. Höher zu bauen gleicht den Nachteil aus, dass urbane Grundstücke rar und teuer sind.

Hochhauslager bleiben handverlesene Ausnahmen

Während Segro einen Zweistöcker in München errichtet, sichert sich Four Parx Top-Zentrallagen in Berlin, Frankfurt und München, um je ein sechsgeschossiges Lager hochzuziehen – Urban Multilevel genannt. Äußerlich unterscheiden sich die Gebäude kaum von Büros. Im Innern halten fünf Geschosse je 2000 Quadratmeter Lager vor. Das unterste, sechste dient dem Be- und Entladen. Den Zugang zu den Stockwerken sichern Lastenaufzüge, die bis zu 16 Paletten bewegen können – was einer Lkw-Ladung entspricht.

Mit 15 Euro pro Quadratmeter sollen die Mieten für die kostengetriebene Versendebranche ungewohnt hoch liegen. Doch wo zentrale Lagen einen Vorsprung vor der Konkurrenz versprechen, sind Unternehmen bereit, tiefer in die Tasche zu greifen. „Innerstädtisch lagern Premiumwaren oder solche, die schnell lieferbar sein müssen. Dazu zählen Medizin, Frischegüter, Elektrogeräte oder auch Ersatzteile“, spezifiziert Francisco J. Bähr, geschäftsführender Gesellschafter bei Four Parx, seine Mieterklientel. Er betont aber auch, dass die designschönen Hochhauslager handverlesene Ausnahmen bleiben werden. Denn so zentral, wie die Grundstücke liegen müssen, kommen eigentlich nur solche mit abrissreifen Objekten infrage – und die sind selten. Noch seltener hält allerdings der Grund und Boden den üppigen Ansprüchen der Logistiker stand: Schwerste Traglasten muss er aushalten und schnelle Glasfaseranschlüsse gewähren.

Wird man endlich fündig, bleibt immer noch die Frage, ob die jeweilige Kommune just an dieser Stelle einem Verteilhub zustimmt. „Logistik innerstädtisch genehmigt zu bekommen, ist schwer. Was die Übereinkunft mit Kommunen erleichtert, sind multifunktionale Konzepte“, stellt André Wolters, Head of Logistic bei Segro, eine weitere Möglichkeit vor, das Verladegewerk in die City zu integrieren. In Frankreich gäbe es bereits Parkgaragen in Wohnhäusern, die man zu City-Hubs ummünzen würde. In Düsseldorf durchmischte Segro Lagerkapazitäten mit Kleingewerbe und Dienstleistern. Den bahnhofsnahen City Park teilt sich eine mechanische Zustellbasis von DHL (Mech ZB) mit der THK Ingenieursforschung und dem Elektrogroßhandel Sonepar. In der ehemaligen Papierfabrik – heute der Segro Businesspark Süd – produziert Lush Seife Tür an Tür mit der Mech ZB, der Tierpraxis Benrath und dem eMobilisten Tesla.

Keiner möchte ein Lager in der unmittelbarer Nähe haben

„Nutzungskonzepte sollte immer das ergänzen, was im Quartier fehlt“, sagt Wolters. Mit anderen Worten: Lösungen von der Stange gibt es nicht. Was auch für die Flächenaufteilung gilt. Nachgefragt werden 400-Quadratmeter-Einheiten ebenso wie 4000 Quadratmeter große. „Der Platz muss mit dem Bedarf der Mieter wachsen können“, unterstreicht Wolters und hat dabei beispielsweise die in Mode gekommenen Bringdienste im Sinn. Im Jahrestakt kann sich deren Flächenbedarf verdoppeln; ständige Standortwechsel wären unzumutbar. Darum setzt Segro auf eine bauliche Aufteilung, die sich leicht den aktuellen Platzanforderungen anpassen lässt. Und auf einen gewissen Prozentsatz kurzfristiger Mietverträge. Weil immer einige auslaufen, lässt sich Mehrbedarf zeitnah bedienen.

Mit der Urbanisierung werden Logistikimmobilien also ansehnlicher, handlicher und anpassungsfähiger. Was jedoch bleibt, ist das Imageproblemen der Branchen: Obwohl jeder die Vorteile von Logistik nutzen will, möchte keiner das Gewerk in unmittelbarer Nähe haben. „Bürgermeister brüsten sich gern mit der Schaffung von Wohnraum und Arbeitsplätzen. Aber mir ist noch keiner untergekommen, der sich mit der reibungslosen Warenversorgung profiliert“, bemängelt Malte-Maria Münchow, Deka-Immobilien und Sprecher der Initiative Logistikimmobilien (Logix), das kommunalpolitische Schattendasein der Logistik.

Logix will das durch Aufklärungsarbeit ändern. „Logistik haftet das Stigma des Flächenfressers an, der wenig Gewerbesteuer und Arbeitsplätze einbringt“, beschreibt Münchow. Was vielen Ämtern weiterhin entgeht: Eine gute Infrastruktur sichert Städten die Wettbewerbsfähigkeit. Die Notwendigkeit steigt mit der Einwohnerzahl. Da die in Metropolen stetig wächst, sollten Stadtplaner ihre Prioritäten überdenken.

"Das logistische Massengeschäft findet weiterhin auf der grünen Wiese statt"

Hinzu kommt: Mit fortschreitender Automatisierung und eMobilität verbessert sich auch das Image der Logistikbranche. Zu dieser Erkenntnis gelangt die druckfrische Studie „Zukunft der Logistikimmobilien und Standorte – Mythen. Moden. Trends“, die Christian Kille, Professor an der FHWS Würzburg, und Alexander Nehm, Geschäftsführer Logivest Concept, in Berlin vorstellten. „Innerstädtische Flächen sind knapp. Aber mit Fantasie und intelligenten Konzepten lassen sich Potenziale heben“, ermutigt Nehm Projektentwickler wie auch Kurier-, Express- und Paketdienstleister, sich des Themas anzunehmen.

Doch obwohl Citylogistik nachweislich im Auftrieb ist, schließt Nehms Vortrag mit der Warnung vor einer Überbewertung. „Medien titelten gern: ,Logistik zieht in die Stadt!‘. Das Bild suggeriert, sie zögen woanders weg, was faktisch nicht stimmt. Das logistische Massengeschäft findet auch weiterhin in Zentrallagern auf der grünen Wiese statt.“

Rahel Willhardt

Zur Startseite