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Mitte oder Zehlendorf: Was heißt schon "in"?

Manchmal scheint es auf dem Immobilienmarkt, als drehe sich alles nur noch um Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain. Sind Steglitz und Zehlendorf aus der Mode geraten? Dazu haben wir Stimmen und Stimmungen eingesammelt

Als West-Berlin noch eingemauerte Stadt war, schien alles klar. Wer alternatives Leben wollte, zog nach Kreuzberg und Schöneberg, wer es ruhiger liebte, in den Südwesten. Aber 20 Jahre nach dem Fall der Mauer haben Altberliner und Zugereiste die Bezirke neu definiert.

„Stargarder Ecke Dunckerstraße? Das ist ja schrecklich!“ Entsetzt kommentierte meine Mutter vor Jahren den Umzug einer Freundin in den Prenzlauer Berg. Schließlich stand der noch vor 30 Jahren für Außenklo, Ofenheizung und fiese Eckkneipen. Heute zählt das frühere Proletarierquartier zu Berlins Spitzenlagen. Mit Spitzenpreisen. Rasant hat sich in knapp zwei Jahrzehnten das Ostberliner Zentrum gewandelt vom Arbeiterbezirk zum Kiez der kritischen DDR-Alternative – und in der Nachwendezeit vom Kreativviertel bis zum Besserverdiener-Domizil und Kinderparadies.

Aber was ist aus den einst guten Lagen des alten West-Berlin geworden? Geht der Bau- und Sanierungsboom zwischen Mitte und Friedrichshain zu Lasten der bürgerlichen Viertel in Wilmersdorf, Steglitz oder Zehlendorf? Geht es mit dem Südwesten bergab – wegen Überalterung und Desinteresse?

Tatsächlich, fährt man etwa über die Albrechtstraße und den Steglitzer Damm, scheint die Zeit stehen geblieben. Keine frisch sanierte Fassade, kein eingerüstetes Haus, das neuen Glanz verspricht, kaum liebevoll eingerichtete Läden, die Außergewöhnliches anbieten. Stattdessen Matratzen-Discounter, Schlecker, ein fähnchenverzierter Auto-Markt und Werbeschilder, die Erotikvideos anpreisen.

Lange lebten Vermieter und Verkäufer gut vom guten Ruf des Südwestens. Und wenn der verblasst? „Hier passiert baulich viel, aber oft kleinteilig und mit weniger Tamtam“, sagt Uwe Stäglin dazu. Klar, der Baustadtrat von Steglitz-Zehlendorf muss so argumentieren. Aber die Fakten geben ihm recht. Bei der Anzahl der Bauanträge in den zwölf Berliner Bezirken steht der Südwestbezirk immerhin auf Platz fünf. Im Bauamt liegen Anträge für den Ausbau einzelner Dachgeschosse ebenso wie für große Projekte. Etwa solche wie das von Stofanel Investment am Griebnitzsee. Das Unternehmen, das den Marthashof in Prenzlauer Berg baut, investiert auch im Südwesten. Stofanel will auf dem einstigen Campingplatz in Kohlhasenbrück auf 35 000 Quadratmetern ein neues Quartier errichten. Die Baugenehmigung für die ersten Häuser zwischen Clayallee und Neuer Kreisstraße hat man in der Tasche.

Junge Familien, die in den Südwesten ziehen, schätzen ländliche Qualitäten eher als Kneipendichte: das Grün, die nahe gelegenen Seen und kurze Wege in die Ausflugsgebiete rund um Potsdam. Dazu finden Familien hier Wohnungen, die für mehr als ein Kind passen. „In Prenzlauer Berg gibt es oft nur Zwei- oder Dreizimmerwohnungen – zu klein für große Familien“, sagt Reinhard Aehnelt vom Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik. Die ausgebauten Luxus-Dachgeschosse und Neubauten wie die Prenzlauer Gärten könne sich nur eine kleine Zielgruppe leisten.

Dabei ist Südwesten nicht gleich Südwesten. Kaum ein Berliner Bezirk ist so stark durch seine Ortsteile geprägt, findet Baustadtrat Stäglin. Wer gern zu Fuß auf Shoppingtour geht, sucht sich ein Quartier rund um die Schloßstraße, die zweitstärkste Einkaufsmeile Berlins. Hier ist samstags mehr los als an der Schönhauser oder Kastanienallee. In einer Parallelstraße wohnt Karsten Himmer. Obwohl der Informatiker gern und regelmäßig tanzen geht, hat er sich für Steglitz entschieden. „Die Schloßstraße ist eine quirlige Ader. Trotzdem wohnt man in den Seitenstraßen ruhig, sauber und ein bisschen bürgerlich.“ Tatsächlich: Die opulenten Altbauten von Friedenau bis Steglitz bieten Atmosphäre; herrschaftliche Treppenhäuser, Stuck, große, hohe Räume und Flügeltüren.

Wer es noch ruhiger mag, bevorzugt Dahlem oder Schlachtensee. Noble Wohnqualität und Preise bleiben hier stabil. Allem Wirbel um die Neue Mitte zum Trotz. Interessenten mit kleinerem Budget finden Wohnungen bei einigen Genossenschaften.

Dass man jenseits der Schloßstraße zum Einkaufen meist ein paar Minuten Anfahrt kalkulieren muss, stört hier die Wenigsten. Man will es eigentlich nicht anders haben. So kämpfen die Zehlendorfer derzeit gegen ein geplantes Einkaufszentrum. Es solle kleinteilig und idyllisch bleiben, argumentierten jüngst die Anwohner bei einer Diskussion.

„Der Südwesten hat eine gute Sozialstruktur – und die ist stabil“, sagt Stadtforscher Aehnelt: „Wir untersuchen soziale Indikatoren; den Anteil von Arbeitslosen, Hartz-IV-Empfängern und die Zahl der Migranten. Da können wir in Steglitz-Zehlendorf und Charlottenburg-Wilmersdorf nichts Alarmierendes feststellen.“ Berlins Zentrum verändere sich viel dynamischer. „Wir sehen dort eine starke Polarisierung mit neuen Käufer- und Mieterschichten.“ Mit bekannten Folgen: Alteingesessene Bewohner werden verdrängt. „Der Südwesten bleibt von diesem Prozess der Gentrifizierung weitgehend verschont“, so Aehnelt. Auch wenn Hartmann Vetter vom Berliner Mieterverein in einzelnen Lagen „erhebliche Preissprünge“ registriert.

Allerdings: Wer den Zustand teils maroder Straßen oder mangelnde Infrastruktur beklagt, muss wissen, dass man hier auf sich gestellt ist. Finanzspritzen für Quartiersmanagement, Sanierung oder Geld aus dem Programm „Soziale Stadt“ – Fehlanzeige. „Wir haben eine gute soziale Struktur, dafür gehen wir leer aus. Und das betrifft ja auch private Investoren“, sagt Baustadtrat Uwe Stäglin: „Wir brauchen deshalb privates Engagement.“ Davon verspricht sich der Stadtrat einen Dominoeffekt. So wie am Teltower Damm. Als dort in einer Baulücke ein neues Geschäftshaus entstand, sanierte flugs der Nachbareigentümer seine Fassade. Stadtforscher Aehnelt schlägt Standortgemeinschaften vor, wie es sie bereits in anderen Städten gibt. „Dazu kann dann auch ein Verhaltenskodex gehören – zum Beispiel, nicht jeden Gewerbemieter zu nehmen.“

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