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Prärie mit Panels. Rund 300 000 leistungsstarke Solarmodule produzieren Energie für die wachsende Stadt.

© www.babcockranch.com

Nachhaltige Stadtentwicklung: Wie eine neue Stadt in Florida von der Sonne lebt

Die Babcock Ranch an der US-Ostküste baut komplett auf Solarenergie uns Elektroautos. Ist das die Zukunft?

Babcock Ranch. Das klingt ein bisschen nach amerikanischem wilden Westen mit Cowboys, Pferden, Rindern und saftigen grünen Wiesen, die sich auf den rollenden Hügeln der Prärie bis zum Horizont ausdehnen. Eine romantische Vision aus einem alten Hollywood-Streifen. Aber in Wahrheit ist Babcock Ranch eine am Reißbrett geplante Stadt im Südwesten Floridas zwischen Punta Gorda und Fort Myers. Was sie auszeichnet? Nicht die Rinderherden und Cowboys, die es tatsächlich noch auf dieser funktionierenden Ranch gibt, sondern das innovative Energiekonzept des Projektentwicklers.

Die Stadt, die langfristig für rund 50 000 Menschen zum Zuhause werden soll, baut komplett auf Solarenergie. Dafür hat Kitson & Partner, der Entwickler von Babcock Ranch, dem Energieversorger Florida Power & Light (FPL) acht Kilometer nördlich der geplanten Stadt ein Grundstück zu Verfügung gestellt. Hier produzieren bereits seit Dezember 2016 auf einem 1,8 Quadratkilometer großen Solarfeld rund 300 000 leistungsstarke Solarpanels Energie für die wachsende Stadt. Das 74,5-Megawatt-Solarkraftwerk ist nach Angaben von FPL in der Lage, 15 000 Haushalte mit umweltfreundlichem Strom zu versorgen. Energie, die nicht für die Stadt benötigt wird, fließt mangels Speichermöglichkeit wieder ins Stromnetz zurück. Wenn es abends dann dunkel wird, beziehen die Haushalte in Babcock Ranch ihren Strom von der nächstgelegenen Erdgasanlage. Wer sich davon unabhänig machen möchte, habe die Option, eine PV-Anlage aufs eigene Dach zu setzen, heißt es im Energiekonzept der Planstadt.

„FPL treibt seit 2009, als wir unser erstes Solarenergie-Kraftwerk gebaut haben, den Ausbau von smarter, kostenbewußter Solarenergie in Florida voran“, sagt Eric Silagy, Chef des Energieversorgers bei der Inbetriebnahme des Babcock Ranch Solar Energy Centers. Mittlerweile hat FPL in der Region sechs weitere Sonnenenergie-Kraftwerke fertiggestellt und bis Ende März 2018 vier weitere im Bau. Zusammen sollen diese Kraftwerke rund 120000 Haushalte mit emissionsfreiem Strom versorgen. Dass diese Investition zur rechten Zeit kommt, steht außer Frage.

Die Bevölkerung in Florida wächst rasant

Florida ist beliebt. Der sonnenreiche Bundesstaat verzeichnete 2017 ein Bevölkerungswachstum von 1,6 Prozent, der zweithöchste Wert in den USA, und hat heute knapp 21 Millionen Bürger. Bis 2030 rechnet die Wirtschaftskammer der Staates mit einem Bevölkerungszuwachs auf 26 Millionen. Entsprechend eng geht es auf dem Immobilienmarkt zu. Der Südwesten rückt gerade in den Fokus von jungen Familien und Millenials, die ihr erstes Haus erwerben möchten. Noch liegt in und um Fort Myers der durchschnittliche Kaufpreis für ein Einfamilienhaus bei 249 000 US-Dollar (200 000 Euro), etwas südlicher in Naples ist es mit knapp 400 000 US-Dollar (320 000 Euro) fast das Doppelte – von der Metropolregion Miami und dem beliebten Palm Beach an der Ostküste gar nicht zu sprechen. Mit den Preissteigerungen hat der Südwesten jetzt wieder das Preisniveau von vor der Immobilienkrise 2010-2012 erreicht und in manchen Regionen sogar überschritten. Experten schätzen, dass der Trend sich auch in den nächsten Jahren fortsetzen wird.

„Die Bevölkerung in Florida ist in den letzten Jahrzehnten in einem rasanten Tempo gewachsen. Jeden Tag kommen mehr als Tausend neue Bewohner an und sie alle brauchen ein Zuhause“, sagt Syd Kitson, Vater des Projekts Babcock Ranch. „Und unsere traditionellen Ansätze, um diesem Wachstum zu begegnen, sind nicht nachhaltig. Wenn wir die Art und Weise, wie wir mit Wachstum umgehen nicht ändern, riskieren wir den Verlust eines Großteils der natürlichen Schönheit, die die Leute in erster Linie hierher anzieht.“

Babcock Ranch soll ein Modell für nachhaltige Entwicklung werden

Daher gehe man mit Babcock Ranch neue Wege, um zu beweisen, dass es durchaus möglich ist, verantwortlich mit Wachstum umzugehen und gleichzeitig die Umwelt zu schützen. „Nachhaltige Entwicklung muss eben nicht zwangsläufig teurer sein“, so Kitson. „Es ist geradezu umgekehrt. Mit dem Skaleneffekt, den wir hier realisieren können, indem wir die Nachhaltigkeit direkt in die Infrastruktur reinbauen, können wir bessere Qualität zu geringeren Kosten erzielen.“

Außerden hat Kitson, der die fast 328 Quadratkilometer große Ranch – das entspricht ziemlich genau der Fläche von Dresden – 2006 erworben hat, dem Bundesstaat Florida 295 Quadratkilometer verkauft, um hier das Naturschutzgebiet Babcock Ranch Preserve einzurichten. Von den 72 Quadratkilometern, die für den Bau der neuen Stadt bestimmt waren, ist die Hälfte wiederum als geschützte Grünfläche im Masterplan verankert worden. „Diese neue Stadt ist der finanzielle Motor für den größten Naturschutzgebietkauf in der Geschichte des Staates Florida“, meint Kitson. Der Masterplan sei eine kollaborative Leistung, für die alle privaten und öffentlichen Partner an einem Strang gezogen haben, um aus Babcock Ranch ein Modell für nachhaltige Entwicklung zu machen.

Und so ist nicht nur das Energiekonzept innovativ – zumal für eine amerikanische Stadt. Zum Verkehrskonzept der Gemeinde gehört etwa eine hohe sogenannte Walkability, also eine ausgeprägte Fußläufigkeit. In Babcock Ranch bedeutet das über 80 km Fuß- und Fahrradwege, die durchs Grüne führen und leicht zugängliche soziale Infrastruktur in Form von Einkaufsmöglichkeiten, einem Ärztehaus und einer Grundschule im parkähnlichen Ortskern am Babcock Lake. Ein selbstfahrendes E-Shuttle, das zur Zeit von den Bewohnern und Besuchern getestet wird, ist ebenfalls Teil dieser Zukunftsstadt. Laut Kitson soll es zudem bald noch selbstfahrende Autos geben, die man sich „on demand“ bestellen kann.

In Babcock Ranch soll es über 80 Kilometer Fuß- und Fahrradwege geben, die durchs Grüne führen.
In Babcock Ranch soll es über 80 Kilometer Fuß- und Fahrradwege geben, die durchs Grüne führen.

© www.babcockranch.com

Menschen, die auf die Ranch ziehen, sollen hier auch arbeiten

„Mit den neuen Bauphasen, die in Zukunft folgen, werden wir kleinere Nachbarschaftszentren einrichten, damit unsere Bewohner soviel wie möglich zu Fuß erledigen können“, sagt Kitson dem Tagesspiegel. Außerdem setzen die Stadtplaner auf das Konzept „Farm-2-Table". Das erste Restaurant im Ort „Table & Tap“ beherzigt die Idee und bezieht all ihre Zutaten von der Ranch und Farms in direkter Umgebung. Außerdem soll es in jedem Stadtviertel einen Gemeinschafsgarten geben für Kräuter, Gemüse und Obst.

„So ist es etwa für unsere ersten Bürger spannend, dass sie in einem Ort leben, der wirklich multigenerational ist.“ Damit spielt Kitson auf die Tatsache an, dass viele Rentner sich in Florida ihren Alterssitz leisten und zahlreiche Orte in Seniorensiedlungen verwandelt haben. Aber auch Start-ups und Unternehmer, denen Nachhaltigkeit, Solarenergie und schnelles Internet wichtig sind, zieht es bereits nach Babcock Ranch. Im Co-Working-Büro „The Hatchery“ (Die Brutstätte) seien bereits einige Mieter mit innovativen Geschäftsidee eingezogen.

„Unsere Vision ist, dass Menschen, die nach Babcock Ranch ziehen, auch hier arbeiten“, so Kitson. Momentan gäbe es auf der Ranch noch mehr Arbeitnehmer als Bewohner, aber das soll sich ändern. Ein Einfamilienhaus mit 155 Quadratmetern Wohnfläche, drei Schlafzimmern und zwei Bädern gibt es schon ab 205 000 US-Dollar (165 000 Euro), wobei der Fantasie natürlich keine Grenzen gesetzt sind und den Preisen nach oben hin auch nicht. Ein repräsentatives Anwesen mit eigenem Pool und über 370 Quadratmetern Wohnfläche am Lake Timber darf dann auch gerne zwischen 750 000 und einer Million US-Dollar (600 000 bis 800 000 Euro) kosten. Noch ist die Auswahl groß und der Ort klein. Dennoch könnte Babcock Ranch als lebendiges Labor fungieren, wo Stadtplaner lernen können, wie das Leben und Arbeiten der Zukunft aussehen kann.

Tong-Jin Smith

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