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Naturstammhäuser: Der von den Holzwürmern lernt

Jörg Riedel baut Häuser aus ganzen Baumstämmen. Für jeden muss er einen Platz finden.

Auf der Fensterbank steht ein Marder und glotzt aus toten Augen. Er ist ausgestopft und hat eine ganz besondere Verbindung zu dem Blockhaus, in dem er sitzt: „Den habe ich gegen Brennholz eingetauscht“, sagt Jörg Riedel. Seit fast zehn Jahren baut der Mann mit der randlosen Brille und der sanften Stimme Holzhäuser. Genauer: „Naturstammhäuser nach traditioneller, kanadischer Art mit Kettensäge und Schnitzbeil“. Nicht nur die Häuser sind Unikate, sondern eigentlich ist auch seine Firma, „Die Blockhausbauer GmbH“, ziemlich einzigartig – zumindest in der Region. Viel unmittelbare Konkurrenz gebe es nicht, sagt Riedel. „Nur ein paar in Süddeutschland.“ Fragt man beim Verband privater Bauherren (VPB) nach , hört man Ähnliches: Er kenne nur eine weitere Firma im Umland von Berlin, die Naturstammhäuser baut, sagt Bauingenieur Yves Hassenmeier, Bauherrenberater: „Aber die liefert hauptsächlich in die Alpen. Da hat so eine Bauweise ja eher Tradition.“ Hassenmeier glaubt nicht, dass man demnächst mehr Naturstammhäuser in der Region sehen wird: „Das ist was für Individualisten. Da guckt der Nachbar komisch, wenn man sich so eins hinstellt.“

Riedel formuliert das anders. Denn für ihn sind Naturstammhäuser „ein Lebensstil. Man muss det wollen“. Das gelte auch für seine Kunden. Natürlich ist Riedels Büro in einem Blockhaus, in Heidesee, Ortsteil Wenzlow, in der Nähe von Königs Wusterhausen. Zwei bis drei Naturstammhäuser baut er mit seinen vier Mitarbeitern pro Jahr.

Rund 70 Baumstämme braucht er für ein Einfamilienhaus. Doch Riedel bestellt grundsätzlich wesentlich mehr bei seinen Lieferanten im Harz, denn nur die besten, ganz geraden Stämme können für die Häuser verwendet werden. Aus dem Rest, den zu kurzen oder zu sehr gekrümmten und gedrehten, entstehen andere Dinge: Hundehütten, Möbel, Treppen oder Halbstammhäuser, die sich nicht als dauerhafte Wohnhäuser eignen, dafür aber etwa als Saunen. „Nur was gar nicht mehr geht, wird als Brennholz verkauft“, sagt Riedel. Oder gegen einen Marder eingetauscht. Das passt zur ländlichen Atmosphäre. Denn Riedel baut selten in der Stadt, die meisten Häuser hat er in die Umgebung Heidesee geliefert.

Ganz richtig: geliefert. Denn die Häuser entstehen zunächst auf seinem 5000 Quadratmeter großen Firmengelände. Soviel Platz ist notwendig für das Zusammenbauen, das fast ein bisschen an ein Spiel erinnert – etwa an Tetris, Mikado, Jenga oder ganz einfach an ein Puzzle.

Und so beginnt das Spiel: Alle gelieferten Stämme liegen ordentlich aufgereiht nebeneinander. Dann wird eine Liste angefertigt: Länge und Durchmesser von jedem einzelnen werden dort notiert, aber auch, ob und wie der Stamm gekrümmt oder gedreht ist. Die Liste ist die Arbeitsgrundlage. „Manchmal laufe ich eine halbe Stunde mit ihr in der Hand zwischen den Stämmen umher, bis ich den nächsten passenden gefunden habe“, sagt Riedel. „Aber den idealen findet man sowieso nicht. Man sucht deshalb immer den besten Kompromiss. Schließlich liegen sie hier wie sie aus dem Wald kommen.“

Dickes Ende auf dünnes Ende – so werden die entrindeten Stämme dann in „Lagen“ verarbeitet. Oben und unten wird die Rundung so abgesägt, dass die Stämme genau aufeinanderpassen. Alle werden markiert und genau in den Grundrissplänen eingezeichnet – davon gibt es einen für jede „Lage“. Bei normalen Einfamilienhäusern, die im Rohbau zwischen 60 000 und 100 000 Euro kosten, braucht er vier Stämme pro Lage – dann ist das „Spiel“ nicht so schwierig. Neulich jedoch hatte er den Auftrag, ein verwinkeltes 275-Quadratmeter-Haus zu bauen. Mit Kettensägen, Äxten und dem Turmdrehkran. Den braucht man, weil ein Stamm zwischen 1,5 und 2 Tonnen wiegt. „Da kann man nicht einfach mal etwas ausprobieren, sondern jeder Schritt muss vorher genau geplant sein“, sagt Riedel.

Vier Monate brauchte Riedels Team für das Riesenhaus, ein normales Einfamilienhaus mit etwa 120 Quadratmetern ist im Schnitt nach zweieinhalb Monaten fertig.

Oder eher: bereit zum Abtransport. Denn im nächsten Spielzug wird alles wieder abgebaut und auf Lastwagen verladen. Dabei sägen Riedel und seine Mitarbeiter die Fenster aus und bohren die Löcher für Rohre und Leitungen. „Wir bauen nur den hohlen Vogel“, sagt Riedel in seiner trockenen Art. Also nur die Außenwände. „Aber alles muss für die anderen Gewerke vorbereitet sein: für Dachdecker, Elektriker, Fliesenleger.“

Beim Wiederaufbau am Bestimmungsort kommt als Dämmung Schafwolle zwischen die Stämme. „Wir verarbeiten das Holz grün, das heißt, die Stämme wurden maximal ein halbes Jahr vor der Verarbeitung geschlagen“, sagt Riedel. Beim Trocknen entstehen zwar Risse, aber die sind mit eingeplant – und deshalb an den richtigen Stellen, immer in dem Teil des Stamms, der unten liegt. So bleibt das Haus stabil. „Je trockener das Holz wird, desto weiter rutschen die Stämme zusammen. So wird das Haus immer dichter.“

Ein nicht mehr ganz so „hohler Vogel“, der aber auch noch nicht fertig ist, steht einige Kilometer von Riedels Firmengelände entfernt: Auf dem Hof seiner Eltern baut er gerade für sich selbst ein Naturstammhaus. „Ich war schon immer ein Holzwurm“, sagt der 46-Jährige. Schon immer habe er gern Möbel gebaut. Doch zunächst ließ er sich beruflich eher auf andere Materialien ein: Riedel ist eigentlich Maschinenbauingenieur und damit Quereinsteiger als Holzhausbauer. Als er in seinem gelernten Beruf keinen Job fand, machte er eher zufällig einen Lehrgang bei einem Kanadier mit und lernte, wie man aus Naturstämmen ein Haus baut. Dann ließ ihn diese Technik nicht mehr los.

Der eigentlich eher zurückhaltende Mann ist voller Begeisterung, wenn er über seine Häuser spricht, und es klingt nicht nach geschickter Werbung, sondern echt, was er sagt: „So ein Haus ist einfach ein Stück Natur.“ „So ein Haus hält etliche Generationen, wenn es richtig gemacht ist.“ „Das ist ein sehr gesundes Wohnen.“ Auch für Allergiker. Die Vorteile sprudeln nur so aus ihm heraus: Die Häuser erfüllen die neue Energieeinsparverordnung. Sie sind hervorragend wärmegedämmt. Feuchtigkeit wird aufgesogen und verdunstet wieder. Sie zieht nicht ins Innere.

Bauexperte Hassenmeier bestätigt all das. Nachteile fallen auch ihm nicht ein, dabei würde er selbst nie in so einem Holzhaus wohnen wollen – eben weil solche Häuser in Norddeutschland keine Tradition haben: „ Ich baue massiv. Aus Steinen. Weil ich Ostdeutscher bin.“ Wie Riedel.

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