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"Space Egg" tauften britische Journalisten das neue EU-Gebäude in Brüssel (links im Bild).

© Nicolas Maeterlinck

Neues "Europa-Gebäude": Die Runde steckt im Eckigen

Die Europäische Union bezieht ihr neues Ratsgebäude für Gipfel- und Ministertreffen.

In der Nacht wirkt Europas neues Gipfelgebäude wie ein gerade gelandetes außerirdisches Raumschiff: ein leuchtendes weißes Ei, umgeben von einem Wirrwarr aus Stahl und Glas. „Space Egg“ – „Weltraum-Ei“ tauften es britische Journalisten, „Europa-Gebäude“ heißt es nüchtern offiziell. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihre Kollegen aus den anderen EU-Mitgliedstaaten werden ab kommendem Jahr von hier aus über die Geschicke Europas befinden.

Den Neubau hatten die Staats- und Regierungschefs schon 2004 beschlossen. In jenem Jahr wuchs die EU durch die Osterweiterung auf einen Schlag von 15 auf 25 Mitglieder. Das bisherige Ratsgebäude „Justus Lipsius“ platzt seitdem aus allen Nähten. Denn in ihm finden nicht nur pro Jahr 4000 Gipfel, Ministerräte und andere Regierungstreffen statt. Jeder der 28 Mitgliedstaaten hat dort auch eigene Büros für seine Diplomaten. Hinzu kommt schließlich die eigentliche Ratsverwaltung.

Der Bau soll für all das stehen, was Europa ausmacht

Das mit 374 LED-Leuchten bestückte „Weltraum-Ei“ hat nach offizieller Lesart die Form einer Vase oder Laterne. Das futuristische Innere umgibt ein Würfel aus Holzfenstern verschiedenster Größen. Sie stammen aus „renovierten oder abgerissenen Gebäuden in den EU-Mitgliedstaaten“, erklärt der Rat und sieht in der Wiederverwendung der Bauteile auch ein Signal der Nachhaltigkeit.

Herzstück der „Vase“ ist ein großer Konferenzraum, in dem Teppich und Decke mit Rechtecken in psychedelisch wirkenden Farben versehen sind. Hier werden die Staats- und Regierungschefs voraussichtlich erstmals im März 2017 die Weichen für Europa stellen. Schon ab Januar sollen die Minister in dem neuen Gebäude tagen.

Der Name "Ei" oder die "Vase", wie es offiziell heißt, erschließt sich im Innern der Konstruktion aus Stahl und Glas.
Der Name "Ei" oder die "Vase", wie es offiziell heißt, erschließt sich im Innern der Konstruktion aus Stahl und Glas.

© Emmanuel Dunand/AFP

Der belgische Architekt Philippe Samyn pocht darauf, dass der Bau für all das stehe, was Europa im positiven Sinne ausmache, seitdem es nach dem Zeiten Weltkrieg den Weg der Einigung des Kontinents beschritten habe. „Ich wollte einen Treffpunkt, der Freude ausstrahlt, damit Menschen, die mit vielen Problemen hereinkommen, Luft zum Atmen bekommen.“ Er habe lange darüber gebrütet, wie er einen runden Konferenzraum am besten in ein eckiges Gebäude integrieren könne, sagte Samyn. „Ich habe immer ein Stück Papier neben meinem Bett. Eines nachts bin ich aufgewacht und hatte von dieser Lampenform geträumt. Dabei ist es seitdem geblieben.“

Die Fassade mit insgesamt 3750 Fenstern solle die „Vielfalt“ der EU ausdrücken, weil sie aus allen Mitgliedstaaten kämen, sagt der Architekt; und auch „Einheit“, weil sie nun für den Bau des „Europa-Gebäudes“ wiederverwendet würden. Gleichzeitig solle die durchsichtige Fassade „ein klares Signal der Transparenz“ aussenden.

David Cameron hatte den Neubau als "goldenen Käfig" für die EU-Spitzen verspottet

Der hintere Teil des Gebäudes besteht aus dem alten „Residenz-Palast“, ein Art-Déco-Block, der früher der belgischen Regierung als Ministeriumssitz diente und den Deutschen während der Besatzung im Zweiten Weltkrieg als Hauptquartier.

Das Gebäude beherbergt einen Konferenzraum, dessen Teppich und Decke Rechtecke in psychedelisch wirkenden Farben zieren.
Das Gebäude beherbergt einen Konferenzraum, dessen Teppich und Decke Rechtecke in psychedelisch wirkenden Farben zieren.

© REUTERS

Verzögert wurde die Fertigstellung wegen einer heiklen Lage direkt über einer der wichtigsten U-Bahn-Linien Brüssels, der Entdeckung von Ölverschmutzung im Erdreich und juristischen Einsprüchen. Ursprünglich sollte der Neubau 240 Millionen Euro kosten. Nun sind es 321 Millionen Euro, was zum Teil die Inflationsentwicklung widerspiegele, sagt Ratsgeneraldirektor William Shapcott. Die wirklichen Mehrkosten beliefen sich auf eine „Handvoll Prozente“ – im Vergleich zu anderen Großprojekten „nichts Dramatisches“.

Der frühere britische Premierminister David Cameron sah das nicht so und hatte den Neubau in Zeiten des Sparzwangs als „goldenen Käfig“ für die EU-Spitzen verspottet. Inzwischen hat sich der Brite mit der beißenden Europa-Kritik über das von ihm angesetzte Brexit-Referendum selbst aus dem Amt befördert. Die Diplomaten der anderen Mitgliedstaaten treibt nun die Frage um, welches Land im neuen Gebäude die gut gelegenen Delegationsräume der Briten nach deren EU-Austritt bekommt.

(AFP)

Danny Kemp

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