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Neues Kreativquartier: Berlins erste gewerbliche Baugruppe am Start

In der südlichen Friedrichstadt finden Kreativwirtschaftler neue Gestaltungsspielräume.

Längst sind sie keine Exoten mehr: die Baugruppen, die in begehrten Berliner Wohnlagen in eigener Regie Wohnungen errichten und deren Mitglieder so deutlich mehr Einfluss auf ihr künftiges Heim nehmen, als wenn sie es vom Bauträger kaufen würden. Jetzt geht die Baugruppenbewegung noch einen Schritt weiter: Zum wahrscheinlich ersten Mal will eine Baugruppe dieses Prinzip in Berlin auf eine gewerbliche Nutzung übertragen.

Initiiert worden ist diese gewerbliche Baugruppe vom Berliner Architekturbüro Deadline und vom Forum Berufsbildung, einem großen Fortbildungsinstitut. Neben der ehemaligen Blumengroßmarkthalle im Kreuzberger Abschnitt der Friedrichstraße wollen sie ein innovatives Projekt mit Büros, Ateliers, Läden, Bildungseinrichtungen und Apartments realisieren. Das Prinzip ist das gleiche wie bei den Baugruppen, die Wohnungen errichten: Die Mitglieder der Gruppe können ihre Vorstellungen bereits in den Planungsprozess einfließen lassen und werden später nicht Mieter, sondern Eigentümer ihrer Einheiten.

„Im Mittelpunkt Berlins bauen wir gemeinsam mit vielen Kulturschaffenden einen lebendigen Ort für Kunst, Kreativwirtschaft und Bildung“, sagt Britta Jürgens vom Büro Deadline, die gemeinsam mit ihrem Partner Matthew Griffin das Projekt mit dem Namen Frizz23 entwickelt hat. Dieses ist Teil des sogenannten Kreativquartiers rund um die einstige Blumengroßmarkthalle, die mittlerweile von der Akademie des Jüdischen Museums genutzt wird.

Für drei Baufelder im Umfeld der Halle entschied sich die landeseigene Berliner Großmarkt GmbH für ein ungewöhnliches Vergabeverfahren: Während Grundstücke des Landes Berlin sonst in der Regel an den Meistbietenden gehen, entschied in diesem Fall nicht nur die Höhe des Gebots, sondern auch die Qualität des Konzepts. Eine Folge dieses Verfahrens ist, dass die künftige Nutzung genau festgelegt ist. Im Fall von Frizz23 sind dies 32 Prozent Bildung, 22 Prozent Kreativwirtschaft, 15 Prozent Einzelhandel, 15 Prozent Kurzzeitwohnungen, zwölf Prozent Kunst und vier Prozent Gastronomie.

Der Nutzungsmix ist im Grundstückskaufvertrag festgelegt und gilt für zehn Jahre. „In diesen zehn Jahren kontrolliert der Verkäufer dreimal, ob die Nutzungsmischung tatsächlich eingehalten wird“, erklärt Planer Matthew Griffin. Damit soll verhindert werden, dass die Eigentümer plötzlich auf eine – lukrativere – Wohnnutzung setzen.

Bereits weitgehend abgedeckt ist der Bildungsbereich: Das Forum Berufsbildung wird einen der drei Teile des geplanten Gebäudeensembles nutzen; außerdem hoffen die Initiatoren, eine Kita gewinnen zu können. Ebenfalls schon fest steht die Nutzung des östlichen Gebäudeteils: Dort wollen Jürgens und Griffin Minilofts betreiben – Apartments für temporäre Bewohner, wie sie sie bereits in der Hessischen Straße in Mitte realisiert haben (vgl. Tagesspiegel vom 13. Juli). Im mittleren Bereich schließlich ist Platz für Kreativwirtschaft und Kunst, wobei die einzelnen Einheiten zwischen 30 und 400 Quadratmeter groß sein können.

Für diese Flächen suchen Jürgens und Griffin derzeit Interessenten, die Mitglieder der Baugruppe und später Eigentümer werden wollen. Diese Suche ist nicht ganz einfach, wie die beiden einräumen: „Die meisten jungen Betriebe haben nicht genügend Eigenkapital für eine derart langfristige Investition“, sagt Britta Jürgens. Und Eigenkapital muss mitbringen, wer sich am Projekt beteiligen will – nämlich rund 1000 Euro pro Quadratmeter. Für eine 30 Quadratmeter kleine Einheit werden also bereits etwa 30 000 Euro fällig. Der Rest soll dann durch Bankkredite finanziert werden. Die gesamten Bau- und Planungskosten (inklusive Grundstücksanteil) beziffern Jürgens und Griffin auf durchschnittlich 3000 Euro pro Quadratmeter.

Welche laufenden Ausgaben auf die künftigen Eigentümer zukommen, zeigt eine Modellrechnung von Deadline: Für eine 30 Quadratmeter große Gewerbefläche ist demnach für Zins, Tilgung und Nebenkosten (ohne Heizung) mit 312 Euro pro Monat zu rechnen – nicht wenig, wenn man den hohen Eigenkapitaleinsatz berücksichtigt. „Dafür schaffen sich die Mitglieder aber ihr eigenes Stück Stadt“, argumentiert Britta Jürgens. „Und sie machen sich unabhängig von künftigen Mietsteigerungen und von der Gefahr, verdrängt zu werden.“

Vor allem für die im Erdgeschoss geplanten Einzelhandelsflächen setzen die Initiatoren der Baugruppe nicht ausschließlich auf Selbstnutzer. Hier sind auch Investoren willkommen, die sich den Zielen der Baugruppe verpflichtet fühlen und sich mit einer moderaten Rendite zufrieden geben. „Wir wollen nicht, dass hier lauter Ampelmännchen verkauft werden“, betont Britta Jürgens. „Es soll ein authentischer Ort werden.“

Gesichert ist den Angaben von Jürgens und Griffin zufolge der Kaufpreis für das Grundstück. Allerdings ist der Kaufvertrag noch nicht unterschrieben, obwohl der Zuschlag bereits vor Monaten erfolgte. Im Oktober soll es so weit sein, hoffen die Projektentwickler. Laut einer Sprecherin des Liegenschaftsfonds, über den die Vergabe des Grundstücks läuft, sind noch vertragstechnische Details zu klären. Den Bauantrag will Matthew Griffin in diesem Jahr einreichen; fertiggestellt sein könnte der Neubau mit rund 4700 Quadratmetern Nettogeschossfläche dann im besten Fall 2015.

Bereits unterschrieben sind die Kaufverträge für die beiden anderen im neuartigen Verfahren vergebenen Grundstücke neben der Blumengroßmarkthalle. Rechtskräftig sind jedoch auch diese Verträge noch nicht, da laut der Sprecherin des Liegenschaftsfonds die endgültige Zustimmung der Senatsverwaltung für Finanzen noch aussteht. Mehr über die Pläne aller drei Investoren wird man bald erfahren: Im September oder Oktober, sagt Florian Schmidt vom Projektbüro Kreativquartier Südliche Friedrichstadt, ist eine gemeinsame Informationsveranstaltung geplant.

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