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Immobilien: Pragmatisch und undogmatisch

Zwei Architekten, Vater und Sohn, entwerfen und bauen individuelle Eigenheime zum Preis von Fertighäusern

Der Junge mit dem kurzen dunklen Haar ruft von der Schwelle: „Hallo Jonas, ich habe euch schon vom Fenster aus gesehen.“ Jonas Olfe begrüßt ihn lächelnd und fragt: „Ist dein Papa da?“ Der junge nickt und ruft nach seinem Vater. Aus dem Keller des grauen Hauses mit Flachdach hebt der Klang eines Streichinstrumentes an, verfehlt den Ton, bricht jäh ab. Eine Tür geht auf und die Treppe hinauf kommt Thomas Kretschmar und begrüßt den Architekten seines Einfamilienhauses mit einem herzlichen Lächeln.

Die Freundschaft zwischen dem Musikerhaushalt und der Architektenfamilie Olfe ist ungetrübt. Das ist verwunderlich. Denn ein Bonmot unter Bauleuten lautet: „Wenn Dir etwas an einer Freundschaft liegt, dann bau’ bloß kein Haus für gute Bekannte“. Daran hat sich Olfe junior nicht gehalten. Im Gegenteil. Er hat seine Freunde überzeugt, dass er ihnen ein konkurrenzlos gutes Eigenheim hinstellt. Indem er der Musikerfamilie ein Architektenhaus zum Preis eines Fertigbaus versprach. Einschließlich fünfjähriger Garantie. Und der Architekt verpflichtete sich sogar noch dazu, die vorgesehenen Baukosten nicht zu überschreiten, den Zeitplan genauestens einzuhalten und am Ende seinen Kunden den Schlüssel für ein Eigenheim zu überreichen, bei dem sie nur noch mit dem Möbelwagen vorfahren mussten.

Sachlichkeit auf 130 Quadratmetern

Sein Versprechen hat der Architekt eingelöst. „Natürlich gab es auch Mängel,“ sagt der Bauherr, „aber das lag meistens an Fehlern von Handwerkern“, nimmt er Olfe in Schutz. Dieser sagt: „Probleme gibt es immer beim Bauen, man kann sie aber lösen“. Pragmatisch ist der Anfangsdreißiger und so sachlich wie die Architektur des knapp 130 Quadratmeter großen Kladower Eigenheimes. Adolf Loos nennt Olfe als Vorbild. Das ist der große Baumeister und Theoretiker der Neuen Sachlichkeit. Auch wenn Loos während seiner Feldzüge gegen die neobarock wuchernden Friese und Stuckaturen an den Gebäuden seiner Heimatstadt Wien die Sachlichkeit gerne auch mal eintauschte gegen wütende Polemik – und die Ornamentik der historisierenden Bautradition als „Verbrechen“ geißelte.

Im Gegensatz zu Loos ist Olfe weitaus sachlicher. Die Angriffslust seines Vorbilds ist ihm völlig fremd. Sicher, das Flachdach, die schmalen hohen Fenster und die fast kubische Form des Kladower Eigenheimes sei ein Kontrastprogramm zu den vielen stereotypen Häuser mit Satteldächern in der ursprünglich für Bonner Ministerialbeamte geplanten Siedlung. Doch dieser Kontrast, der in den sechziger Jahren noch Stoff für harte Kontroversen über Tradition und Moderne gab, hat sich dem 1973 geborenen Architekten zufolge eher beiläufig ergeben: Weil der Bauherr es so wollte. Im Übrigen „sind wir völlig undogmatisch“. Auf ein anderes Eigenheim, in Kleinmachnow, hat er ein Satteldach gesetzt. Weil die Bauordnung es dort so verlangt. „Da habe ich auch nichts dagegen.“

Undogmatisch, heißt nicht unreflektiert. Die Gemeinplätze der Architekturdebatten sind Olfe sehr wohl bekannt. Zu diesen zählt beispielsweise auch, dass das Entwerfen von Eigenheimen keine Herausforderung ist. Schon der Wunsch nach dem Einfamilienhaus im Grünen für die gerne elitären Baumeister einen Hautgout auch deshalb, weil die neuen Siedlungen die Landschaft zerstören, überflüssige Verkehrsströme erzeugen und die Innenstädte in soziale Brennpunkte verwandeln, denn dort bleibe nur, wer sich den Wohnsitz im Vorort nicht leisten könne.

Alles richtig, sagt Olfe, „doch das Bedürfnis nach dem eigenen Heim gibt es nun einmal.“ Auch unter Menschen mit kleineren Brieftaschen. Diesen Markt könne man nun den Fertighaus-Firmen überlassen – „oder versuchen mit Architektur gegenzusteuern.“ Mit Architektur und niedrigen Baupreisen: 175000 Euro hat das frei stehende Eigenheim gekostet. Inklusive Keller und Parkett. Für dieses Geld gibt es sonst Fertighäuser oder Reihenhäuser in dicht bebauten Wohnparks. Genau das wollten der Violinist im Aureol-Ensemble nicht. Zwei Jahre lang suchte er auf dem Markt nach dem besten Kompromiss zwischen ästhetischem Wunsch und Wirklichkeit auf dem eigenen Baugeldkonto. Als der Musiker den Olfes schließlich einige Angebote zur Durchsicht vorlegte, sagten die Architekten: „Für den Preis können wir das auch.“

Ein „High-End-Haus“ sei für das vergleichsweise kleine Geld natürlich nicht zu machen, sagt Olfe. Anspruchsvolle Details, zum Beispiel eine bündig mit der Wand abschließende Fußleiste, Glaseinsätze in den Türen oder Konstruktionen aus Stahl und Glas, seien zu kostspielig. „Aber solche Details allein machen noch kein Architektenhaus, vor allem der räumliche Eindruck macht den Unterschied“, sagt Olfe. Und das ist eine Frage von Gestaltung und Ideen: Im Zentrum des Kladower Eigenheimes liegt ein Atrium, genau dort, wo Häuser am dunkelsten sind.

Durch das Atrium fällt viel Licht in das Haus und das lässt die Räume großzügig erscheinen. Die Konstruktion hat außerdem einen für die Musiker entscheidenden Vorzug: „Der Klang der Instrumente ist hier nicht so trocken und dumpf wie in Räumen mit tiefen Decken“, sagt der Violinist. Den lichtdurchfluteten Bereich hat der Architekt als kleine Bühne angelegt: Zwei Stufen trennen das Atrium vom Wohnzimmer. Bei der Einweihungsfeier gaben die Bewohner hier zusammen mit befreundeten Musikern ein kleines Konzert. Das Klavier steht heute noch da.

Durch das Oberlicht konnte der Bauherr außerdem am Glas sparen: Die Fenster sind schmal und hoch, zugleich jedoch so angeordnet, dass sie im Hause eine Vielzahl von Sichtachsen bilden: Stehen die Türen zum Flur und zum Gästezimmer offen, ist vom Atrium aus ein Blick in alle vier Himmelsrichtungen möglich. Im Süden der heute als Luftwaffenmuseum genutzte ehemalige Alliiertenflughafen von Kladow, im Norden Schulen und Kindergärten, nebenan das – freilich sehr dicht angrenzende mit kräftigen ockerfarbenen Klinkern verkleidete Nachbargebäude. „Die beiden Häuser sind wie Hund und Katze“, sagt Musiker Kretschmar, und zuckt resigniert mit den Schultern.

Große Wirkungen mit kleinen Mitteln erzielte der Architekt auch beim Zugang zum Obergeschoss. Die Treppe verläuft zunächst parallel zum Atrium, verläuft dann aber bogenförmig und verschwindet hinter einer Wand, bevor sie auf der oberen, parallel zum Atrium verlaufende Galerie mündet. „Diese Idee habe ich vom Bühnenbild der Don-Giovanni-Inszenierung im E-Werk übernommen,“ sagt Olfe, „da verschwinden die Leute kurz hinter einer Wand und tauchen dann auf der anderen Seite wieder auf.“ Im oberen Geschoss liegen die Zimmer der beiden zwölf und sieben Jahre alten Kinder. Das erste Zimmer hat eine rote, das zweite eine blaue Auslegware, und im Flur liegt gelber Teppichboden. „Die Hausherrin hatte den holländischen Konstruktivismus im Sinn“, sagt der Architekt und schaut etwas gequält. Das kräftige Gelb verträgt sich schlecht mit der Farbe des Holzes auf dem Handlauf der Galerie sowie dem mausgrauen Geländer.

Das Architektenhaus ist auf dem Kladower Gelände die Ausnahme von der Regel. Im Inneren des Baufeldes reihen sich stereotype Fertighäuser und konventionelle Massivhäuser dicht an dicht, fast ausnahmslos mit Satteldächern. Am Rande des Areals, parallel zur Hauptstraße, hat der Baukonzern Viterra mehrgeschossige Reihenhäuser errichtet. „Zu verkaufen“ heißt es auf den Plakaten. Während sich der Konzern mit der Kundenwerbung schwer tut, hat das eigenwillige Eigenheim den Olfes en passant Nachfolgeaufträge eingetragen: Passanten riefen von sich aus die auf dem Bauschild genannten Architekten an. Mit einigen wurde man handelseinig: Ein weiteres Eigenheim steht im Rohbau, zwei zusätzliche Bauanträge sind eingereicht.

Die Rückfahrt von der kurzen Landpartie führt uns am Internationalen Congress Centrum vorbei. „Der sieht aus wie ein riesiger Kopierer“, sagt Olfe. Ich erwidere: „Und die Betriebskosten sind so teuer, dass man das Haus nicht rentabel verpachten kann“. – „Das ist das Symptom einer Fehlentwicklung“, erwidert der Architekt. Viele Bauten seien heute mit Gebäudetechnik überfrachtet. Weil diese Technologien eine sehr kurze Halbwertzeit hätten, sei der Aufwand für Wartung und Betrieb der Anlagen bereits nach wenigen Jahren enorm. Die damit verbundenen, hohen Kosten führten häufig zu einem frühzeitigen Abriss. Das Hotel „Schweizer Hof“ in der Budapester Straße ist ein Beispiel hierfür: errichtet in den Siebzigern, abgerissen Ende der neunziger Jahre.

Komplikationen sind Kosten

Daher nähern sich die zwei Architektengenerationen im Olfe-Büro mit ganz anderen Mitteln ihren Bauaufgaben. Das frühere Industriegebäude in Steglitz, Sitz der kleinen Firma, ist in seiner trutzigen Solidität ein Bekenntnis zur bauhandwerklichen Tradition. „Der Senior“, wie ihn sein Sohn nennt, erklärt: „Damit sich unser Serienhaus rechnet, muss man auf ein Repertoire an handwerklichen Konventionen zurückgreifen.“ Der Königsweg zum günstigen Architektenhaus verlaufe daher nicht vom Entwurf zur Ausführung, sondern erreiche, über einen Zickzackkurs vom Gestalter zum Generalunternehmer und zurück, die preisgünstigste Lösung. Der Handwerker führe nicht einfach nur die Ideen des Architekten aus, sondern rede diesem allzu aufwändige Entwürfe aus. Daher müsse der Baumeister sehr flexibel sein, denn die Freiheit der Gestaltung ende dort, wo sie handwerklich problematisch sei – weil Komplikationen Kosten verursachen.

Und Vater Hans-Henning Olfe ist es, der die gestalterische Freiheit seines Sohnes einschränkt, denn der Senior ist für die Kalkulationen zuständig. Nicht weil der Sohn mehr Talent hätte, sondern „weil ich hafte“, sagt der Vater trocken. Doch dann räumt er gedankenverloren ein, auch schon mal neidisch zum Junior hinübergeschaut zu haben, wenn dieser, versunken in einen Entwurf, dem Inbegriff architektonischer Arbeit nachgehe: dem Entwerfen.

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