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In Land Kamerun in der Gemeinde Gehörde ist alles auf Pferdefreunde ausgerichtet.

© Ariane Bemmer

Reitferiensiedlung: Powerhoppen statt Dauershoppen

Mit kostenlosen Probewohnwochen wirbt die Reitferiensiedlung „Land Kamerun“ in der Lüneburger Heide um neue Einwohner aus der Stadt.

Sie sind zum dritten Mal hier – aber diesmal erleben sie es anders. Sie schauen anders, denken anders, fühlen anders. Weil bei fast allem, was sie tun, die Frage mitschwingt: Was, wenn das hier für immer wäre?

Ingo Klein macht die Reitschuhe zu und zieht die Hosenbeine zurecht. Dann greift er seinen Helm und die Handschuhe und geht los. Er hat sich für einen Ausritt angemeldet. Seine Frau Tina und die gemeinsame Freundin Gesine Drewes reiten erst später, sie bleiben noch etwas am kleinen Tisch auf der kleinen Terrasse sitzen. „Sommer, Sonne“, sagt Gesine Drewes und schließt beim Blick zum blauen Himmel die Augen, „das ist natürlich optimal.“ Das sechsjährige Kind der Kleins ist längst weg: Ponys putzen.

Wenn es für immer wäre, wären sie täglich von Landluft und Pferden umgeben, der Weg zum Reitstall würde Minuten dauern, nicht Stunden, wie jetzt, statt Autolärm würden sie Hufe klappern hören, Nachbarn würden Reithosen und Strümpfe mit Rombenmuster tragen, statt über Fußbälle würde man über Reithelme stolpern und vom Tresen der Dorfkneipe in die Reithalle schauen.

Wenn es für immer wäre, würden sie in dem Feriendorf namens Land Kamerun leben, einer Ansammlung von Häuschen im Osten der Lüneburger Heide, mit weiten 500 000 Quadratmetern Wiesen und Weiden drumherum, mit Obstbäumen und Waldstückchen, mit Dressurviereck, Geländeparcours, mit Wasserloch zum Durchreiten. Dem Dorf wären sie willkommen, es wirbt gerade um Dauerbewohner.

Sieben Tage Landleben zum Ausprobieren

Die zuständige Gemeinde Göhrde hat den Bebauungsplan geändert und für das bisherige Feriendorf die Genehmigung zum dauerhaften Wohnen erteilt – ob in den bereits stehenden Ferienhäusern oder im neu zu bauenden eigenen Haus. Nicht störende Handwerks- und Gewerbebetriebe sind dort nun erlaubt, Kleintierhaltung und Nutzgärten auch. Das Angebot richtet sich vor allem an Großstädter, die im täglichen Stress immer wieder an Stadtflucht denken. Für die gibt es, was sich auch in anderen Gegenden schon als gute Idee erwiesen hat: kostenlose Probewohnwochen. Sieben Tage Landleben zum Ausprobieren.

Zum Probewohnen da. Gesine Drewes, Ingo und Tina Klein aus Hamburg in Reiterferiensiedlung.
Zum Probewohnen da. Gesine Drewes, Ingo und Tina Klein aus Hamburg in Reiterferiensiedlung.

© Ariane Bemmer

Als die Kleins und Gesine Drewes davon erfuhren, haben sie sich sofort angemeldet. Ingo Klein ist in Land Kamerun im vergangenen Herbst eine Jagd mitgeritten, und sie haben Silvester im Reiterdorf gefeiert. Jetzt sind sie hier als Probedauerbewohner: drei Erwachsene aus Hamburg und ein Kind, das von den Gedanken, die sich seine Eltern machen, nichts merken soll, denn dann würde es keine Ruhe mehr geben. Das Kind hätte seine Entscheidung schnell getroffen.

Bevor Ingo Klein zum Ausritt gegangen ist, hat er seine Überlegungen zusammengefasst: Die Stadt ist laut und kostet Nerven. Als Suchmaschinenoptimierer kann er ortsunabhängig arbeiten, er benötigt dafür lediglich leistungsstarke Netze. Er wäre so etwas wie der idealtypische Neu-Kameruner. Er sagt, seit das Kind da sei, drehe sich sein Leben hauptsächlich um Arbeit und Familie. „Die Prioritäten haben sich verschoben.“ Ja, Hamburg biete viel, das Land wenig. Andererseits: „Das kulturelle Angebot Hamburgs? Nutzt du das?“, habe er sich gefragt. Die Antwort lautete: nein. Die vielen Kneipen? Schön, aber sitzt du da drin? Gehst du aus? Nein. Alles ist da in Hamburg, und nichts wird gebraucht. Was ihm aber wichtig ist, weil es der perfekte Ausgleich für jeden Stress ist, das Reiten nämlich, das er als Kind pferdeverrückter Eltern früh lernte, dazu komme er in Hamburg so gut wie nie.

Alles nur ein Hobby?

Beschaulich: Leben in Reiterdorf.
Beschaulich: Leben in Reiterdorf.

© Ariane Bemmer

Auch Tina Klein könnte ihre Arbeit mit dem Landleben vereinbaren. Sie ist Gebärdendolmetscherin und sagt, sie fahre ohnehin meist zu ihren Auftraggebern hin, von wo aus, sei egal. Sie reitet erst seit einigen Jahren, aber es hat sie völlig gepackt. „Urlaub“, sagt sie, „machen wir schon lange nur noch da, wo Pferde sind.“

Gesine Drewes, auch sie wurde erst als Erwachsene von der Reit- und Pferdebegeisterung befallen, könnte ihre Arbeit vom Pferdedorf aus nicht weitermachen. Sie ist in der Leitungsebene eines Hamburger Sozialträgers beschäftigt, und weil Pendeln nicht infrage komme, müsste sie eine neue Arbeit suchen. Was sicher gehen würde, da hat sie keine Sorge. Sie lockt am meisten die Aussicht auf regelmäßiges Reiten bei guten Reitlehrern, wie es sie im Dorf gebe. Ihre Zweifel betreffen die Freunde. Die sehe sie zwar auch in Hamburg nicht dauernd, aber der Weg von einem Stadtteil in den anderen sei doch ein anderer als der Weg raus aufs Land.

Es sieht ein wenig so aus, dass sie alle drei eins gemeinsam haben: Die größte Kompromissbereitschaft zeigen sie beim Reiten: ist ja schließlich nur ein Hobby. Aber wenn es einen glücklich macht, ist es dann nicht viel mehr?

Das ist der Haken, den Land Kamerun ausgeworfen hat.

Christine-Beatrix Schnettler hat ihre Reitgruppe abgegeben und sitzt nun beim Kaffee im Garten des Rezeptionshauses. Sie ist die treibende Kraft hinter den Erweiterungsplänen, angeregt und aufgeschreckt durch einen Bericht in der regionalen „Elbe-Jeetzel-Zeitung“, in dem von Landflucht zu lesen war. Warum nur? Wo es doch hier so schön ist! Wir sollten die Menschen aufs Land holen, habe sie gedacht und losgelegt.

Schritt für Schritt - das hat hier Tradition

Im Gemeinderat waren nicht alle gleich von ihrer Idee begeistert. Göhrdes Bürgermeister Thomas Stegemann erinnert sich an „ordentlich Gegenwind“. Weil es genug leerstehende Häuser in der Gegend gebe, wozu da noch mehr bauen? Stegemann sagt, er habe das immer anders gesehen. Es wolle ja nicht jeder Städter, der mal raus aufs Land will, gleich ein altes großes Haus kaufen, sagt er. Und ist nun zufrieden, dass der Gemeinderat im März 2012 dann doch mit „Ja“ stimmte.

Am Kaffeetisch im Garten schwärmt Christine-Beatrix Schnettler von einem „Immenhof in Modern“, lauter Pferdebegeisterte in einem Dorf, herrlich kann sie das als passionierte Reiterin nur finden. Auch wenn sie keine konkreten Vorstellungen hat, was aus ihrer Initiative mal wird. Wollen die neuen Dörfler selber bauen? Wollen sie die Ferienbungalows kaufen? Mieten? Umbauen? Wollen sie gärtnern, Hühner halten, Pferde mitbringen oder die Schulpferde reiten? „Es soll sich alles entwickeln“, sagt Schnettler.

Genauso ging es hier auch los. Schnettlers Schwiegereltern legten den Grundstein, die kamen vor 1942 als Hamburger Aussteiger in die Ödnis nahe der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Sie bauten ein Holzhaus, dann ein zweites. Immer, wenn Geld da war oder Zeit oder Lust, wurde etwas dazugebaut. Die entspannte Schrittfürschritterweiterung hat in Land Kamerun also Tradition, was den charmanten Zufallscharakter des Ortes ausmacht.

Was nicht da ist, könnte man in Hamburg erledigen

Rund 20 Menschen leben hier bereits dauerhaft, Beschäftigte des Feriendorfs, zu dem 30 Holzbungalows und knapp 50 Appartements gehören. Sie beantworten die Fragen der Probewohner freundlich. Ja, im November ist es grau hier, und im Februar ist es auch nicht so toll, aber wo ist der deutsche Februar schon toll? Sie könnten bestätigen, dass in der Urlaubssaison viel los ist. Dass der örtliche Reitverein die Geländeparcours nutzt. Dass es im nächsten Ort, dem Städtchen Hitzacker, einen Bahnhof und Schulen gibt, und der Weg dahin nicht länger ist als die Wege in der Stadt. Aber hier fährt man durch den Wald und dann noch zwei Mal um die Ecke. Staus sind selten.

Für die Probewohner macht Christine-Beatrix Schnettler Führungen durch die ländliche Infrastruktur. Zeigt ihnen neben den Schulen oder Kitas die nächsten und übernächsten Supermärkte, die Arztpraxen, Restaurants, Schwimmbäder. „Es ist ja alles da“, sagt sie.

„Es ist ja alles da“, sagen auch die Kleins und Gesine Drewes. Und das, was nicht da ist, könnte man, wenn man hier wohnen würde, mit umso größerem Vergnügen in Hamburg erledigen: „ein Wochenende Powershoppen beispielsweise“, das wäre sicher zwischendurch mal nötig. Sagt Gesine Drewes und lacht vergnügt. Dann schiebt sie den Stuhl zurück und steht auf. Sie will noch etwas essen, bevor es zur Reitstunde geht.

Pünktlich um 16 Uhr werden die Freundinnen auf ihren Schulpferden in das Dressurviereck reiten, über das sich allmählich der Schatten der nahen Bäume ausbreitet. Sie werden Tritte zulegen im Trab und auf dem Zirkel galoppieren, sie werden „einmal umsitzen“ hören, wenn sie im Leichttraben falsch aufgestanden sind, sie werden schwitzen und rote Köpfe kriegen und am Ende der Stunde glücklich sein.

Und wenn das nun für immer wäre?

Weitere Informationen und Anmeldung fürs Probewohnen unter www.land-kamerun.de/leben-mit-pferden/

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