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Dreilinden 1961. Vom alten Abfertigungsgebäude, den Fahnenmasten der Alliierten und der Tankstelle mit zwei Münzzapfsäulen ist außer Altlasten nichts mehr übrig geblieben.

© ullstein bild - Jacoby

Schlusskapitel: Kontrollpunkt Dreilinden wird versteigert

Das Schlusskapitel der Geschichte des alten Checkpoints: Dreilinden – ein Begriff für zwei Grenzübergänge an zwei Orten zu unterschiedlichen Zeiten. Der erste hieß in der Sprache der Alliierten „Checkpoint Bravo“.

„Checkpoint Bravo“ verschwindet im Frühjahr 1971 krachend von der Bildfläche. Bulldozer reißen die Baracken ein. Doch das ist noch nicht der letzte Akt. Am 16. September könnte es erneut Krach um das Gelände geben, aus dem der erste Grenzübergang Dreilinden werden sollte. Es kommt unter den Hammer. Samt verfallener Raststätte, einer halben Brücke und einiger Meter alter „Reichsautobahn“. Mindestens 45 000 Euro verlangt die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben für 14 772 Quadratmeter.

Ein Quadratmeter Zehlendorf schon ab drei Euro? Zehlendorf gilt, wie es in der Beschreibung zur Versteigerung treffend heißt, als „das nobelste und teuerste Wohnquartier Berlins“. Das Objekt sei wohl „ziemlich abgelegen, aber grün und sehr idyllisch“. Und es hat die beliebte 14er Postleitzahl, die Eingeweihten einen gewissen Wohlstand schon auf dem Briefbogen verkündet. Berliner der älteren Jahrgänge werden sich erinnern, dass es einmal am Teltowkanal auf der Höhe von Albrechts Teerofen eine Grenzübergangsstelle gab. Bis 1969. Auf der DDR-Seite lag hier der „Kontrollpassierpunkt Nowawes“ (heute ein Teil von Babelsberg), später dann „KPP Drewitz“. Bei der Einrichtung von Checkpoint Bravo hatten die Alliierten die kleine Besonderheit dieses Landstrichs nicht beachtet. Er liegt zwar auf Berliner Terrain – ist aber kaum 300 Meter breit. So kam es, dass Autofahrer von Süden her auf der Höhe von Kleinmachnow am Teltowkanal von den Grenzorganen der DDR je nach Ansage kontrolliert oder schikaniert wurden, dann nach Berlin (West) einreisten – und bei der Weiterfahrt jenseits der Brücke flugs wieder auf brandenburgischem Boden waren. Also in der DDR. Der amerikanische Sektor begann erst dort, wo der neue Kontrollpunkt Dreilinden errichtet wurde.

Seitenwechsel. Die heutige A 115 hatte einen anderen Verlauf. Sie überquerte an der Kemnitzbrücke einen etwa 150 Meter breiten Streifen West-Berliner Gebiets mit dem Namen "Albrechts Teerofen".
Seitenwechsel. Die heutige A 115 hatte einen anderen Verlauf. Sie überquerte an der Kemnitzbrücke einen etwa 150 Meter breiten Streifen West-Berliner Gebiets mit dem Namen "Albrechts Teerofen".

© Tsp/Klöpfel

Der West-Berliner Reinhard von Bronewski (72), der als Übersetzer bei der US-Militärpolizei tätig war, erinnert sich mit gemischten Gefühlen an den alten Checkpoint Bravo. „Lustiges gibt’s da eigentlich nicht zu erzählen“, sagt er und muss dann aber doch schmunzeln. „Ständig hat man in der falschen Schlange gestanden, so wie an jedem anderen Grenzübergang auch.“ Das konnte Stunden dauern und so wurde in den Autos nicht nur geflucht, sondern auch gegessen und getrunken. Man war ja auf die Warterei eingerichtet. Die Reste des Reiseproviants landeten am Checkpoint rechts und links in den Büschen. „Es gibt nette Raritäten, die man am Checkpoint Bravo noch finden kann. Die werden heute hoch gehandelt“, sagt von Bronewski, der hier erste Nachkriegspressungen von Cola- und Florida-Boy- Flaschen eingesammelt hat. Er erinnert sich, dass der Checkpoint Bravo – wie auch die Checkpoints Alpha and Charlie – mit amerikanischen, britischen und französischer Militärpolizisten besetzt war. Die zuständigen Amerikaner waren in den Andrews Barracks in Lichterfelde stationiert und gehörten zur 287sten MP Company. Der ehemalige Polizist Bronewski arbeitete elf Jahre lang mit dieser Einheit zusammen. Nach der Wende drehte der TV-Sender RTL auf dem verwaisten Gelände mit der alten Autobahnpiste gelegentlich Szenen für die Serie „Alarm für Cobra 11 – Die Autobahnpolizei“.

Die echten Grenzpolizisten waren bereits 1969 vom alten Checkpoint Bravo abgezogen worden. Denn die Ulbricht- Regierung hatte die „schlechten Möglichkeiten zur Beobachtung und Feuerführung“ in dem Gebiet bedauert und die Autobahn ein paar hundert Meter weiter nach Osten verlegt. Dort wurde der neue Übergang Drewitz (siehe Grafik) gebaut. Der Neubau kostete rund 50 Millionen Mark, die neue Anlage wurde Vorbild für weitere Bauvorhaben der DDR, zum Beispiel für die Grenzübergangsstelle Marienborn.

Der alte Checkpoint Bravo in der Ortslage Albrechts Teerofen wurde mit Mauersegmenten abgeriegelt – „genau in der Mitte der Brücke über dem Teltowkanal“, erinnert sich Stephan Regeler. Früher hat er dieses Berliner Unikum häufig fotografiert, jetzt hat er das ganze Teil, nur bildlich gesprochen, auf dem Schreibtisch. Regeler leitet für die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben den Verkauf in Berlin und Brandenburg. Kein einfacher Job, denn im Bundesbesitz ist so manches Sperrgut, was einen neuen Besitzer braucht. Der Grenzkontrollpunkt Dreilinden lag auf einer Reichsautobahn, die in Bundesbesitz überging. Jetzt ist das Gelände von seinen Verkehrsaufgaben entwidmet wie das Grünland.

Die Sache hat jedoch einen Haken: Die Kremnitzbrücke über den Teltowkanal gehört auch zum Versteigerungsobjekt, genau gesagt die „Berliner Hälfte“ dieser Brücke. Die nördliche Hälfte liegt zwar im Brandenburgischen, ist aber dennoch Eigentum der Stadt Berlin. „Die beiden Besitzer müssen sich auf eine Nutzung einigen“, sagt Auktionator Thomas Engel (Deutsche Grundstücksautionen AG). Die Brücke, heute Teil des „Mauerweges“, ist laut Prospekt noch ganz gut in Schuss. Der Fahrbahnbelag sollte allerdings einmal erneuert werden – für Berliner Verhältnisse also Straßenstandard.

Geblieben ist aus alten Zeiten die „Raststätte Dreilinden“, eine Bude, deren Zustand nach all den Jahren erwartungsgemäß schlecht ist. Aber was könnte ein Käufer nun mit dem alten Kontrollpunkt anfangen? Immerhin, Denkmalschutz besteht hier nicht. „Die Raststätte wieder zu beleben, wäre sicher eine Option“, sagt Engel, „aber ein Investor, der hier ein Hochhaus mit 82 Etagen errichten möchte, hat sich leider noch nicht gemeldet.“ Wäre eine Wehrsportgruppe als Nutzerin zu befürchten? „Nein, das dürfte auch ausfallen. Ganz unmittelbar in der Nähe trainieren Bogenschützen“, flachst Engel. Das unerschöpfliche Altarchiv des Tagesspiegels weiß, warum und weshalb: „Der Verein Berliner Bogenschützen e. V. ist seit dem 1. Januar 1970 Pächter des Bezirksgeländes. Die ingesamt 40 Berliner Bogenschützen (sechs Damen zählen auch dazu) verloren kürzlich infolge der Flugplatzerweiterung ihren Schießplatz am Kurt-Schumacher-Damm im Tegel“, berichtete diese Zeitung am 20. Januar 1970 unter der gegen die DDR zielenden Zeile „Mit Pfeil und Bogen in Dreilinden“.

Das Gelände war gleich nach der Stilllegung ein begehrtes Pachtobjekt geworden: Das Bezirksamt Zehlendorf wurde bestürmt von Reitern, Autosportlern, Modellfliegern und Campingfreunden. Doch das Sagen hatte hier damals wie heute die Oberfinanzdirektion als Verwalterin des Bundes und die verpachtete das Gelände im Jahrestakt, wie auch die Fläche auf dem alten Autobahntorso. Nun soll das Gelände versteigert werden, „seitens des Landes Berlin besteht keine Absicht, das oben genannte Grundstück zu erwerben“, so die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung unter dem Datum des 4. Mai 2009.

Der Kontrollpunkt Dreilinden (neu) war übrigens schon vor Jahresfrist in andere Hände gegangen. Investoren um den Berliner Kaufmann Thomas Drechsel hatten zugegriffen und Hans-Gert Passarge, der den Verkauf für den Liegenschaftsfonds Berlin betreut hatte, war froh über den Handel: „Der Kaufpreis ist geflossen“ – wie viel bleibt sein Geheimnis – „der Nutzenlastenwechsel hat stattgefunden, jetzt ist dieses Areal Privatgelände.“ Thomas Drechsel, der in Zehlendorf schon den Tanzschuppen Primus-Palast wieder aufgebaut hatte, daneben auch dem S-Bahnhof Mexikoplatz neues Leben gab, wollte ursprünglich eine Super-Disco an diesem Ort errichten. Doch aus dem Remmidemmi wird nichts, trotz aller Lärmpegelfreiheiten dort. Der Tagesspiegel berichtete schon im Januar von der ungewöhnlichen Suche nach einem neuen Sinn für die sperrige Liegenschaft. Auf einem Werbebanner an dem zinnoberroten Gebäude wurde mit dem Konterfei Erich Honeckers geworben: „Historischer Standort sucht geniale Idee“. Das gilt in Berlin also gleich an zwei Stellen. Denn auch der ehemalige Rasthof sucht noch immer einen neuen Nutzer.

Aufgerufen zur Versteigerung wird das Objekt am 16. September 2010 nach 14 Uhr durch die Deutsche Grundstücksauktionen AG im Berliner abba-Hotel (Lietzenburger Straße 89, 10719 Berlin). Weitere Informationen zum Checkpoint Bravo unter www.berlin-brigade.de und unter www.checkpoint-bravo.de

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