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Immobilien: Schutt für die Zukunft

Auf der Suche nach einem verschwundenen Haus. Dabei ist das nächste schon geplant. Am Alexanderplatz, der nie zur Ruhe kommt

Die Adresse ist Karl-Liebknecht-Straße 32. Das Haus liegt einen Steinwurf vom Alexanderplatz entfernt. Wenn man von den „Linden“ kommt, rechts hinter dem früheren „Haus der Elektroindustrie“ mit den Alfred-Döblin-Zitaten. Unmittelbar zwischen einer einstigen Betriebskantine, dem „Fresswürfel“, in dem jetzt Küchen und andere Möbel verkauft werden, und einem Gebäude, das sich bis zur Ecke Mollstraße zieht. Früher saß hier in der Nummer 34 das DDR-Ministerium für Kohle und Energie, heute sitzen hier ein Stromkonzern, etliche Büros, eine Bank.

Aber die Nummer 32, direkt an der Wadzeckstraße, suchen wir vergebens, die gibt es nicht mehr. Das Haus ist einfach weggeputzt, man muss durch die Lücken im grünen Bauzaun schielen, um überhaupt zu erfahren, dass hier mal so etwas wie ein Gebäude stand. Jetzt fliegt der Staub durch die heiße Luft, die 32 wurde und wird abgerissen, das Geröll der zersplitterten Betonplatten hat sich mit Stahlbewehrungen vermischt, Bagger türmen die Kubikmeter auf, bald ist eine neue Schuttkippe voll und das Areal leer, ein Bürohaus ist weg.

Hier wurde einst zu DDR-Zeiten für die Firma SKET („Schwermaschinenbau-Kombinat Ernst Thälmann“) gegrübelt, geplant und verworfen, eine Gruppe von etwa 700 Ingenieuren, Sekretärinnen und Sachbearbeitern saß in dem schmucklosen, sachlichen hellgrauen Bürohaus, lange Gänge, rechts und links davon die Zimmer. Mal mit zwei, mal mit drei und vier Leuten besetzt, meistens zu eng, Blick nach vorn zur Karl-Liebknecht-Straße . Oder hinten heraus zum Polizeipräsidium in der Keibelstraße, mit dem keiner gern etwas zu tun haben mochte. Heute bietet sich plötzlich ein ganz neuer Durchblick: Die dunkelrote Klinkerfassade, hinter der noch einige Polizeidienststellen arbeiten, schiebt sich wuchtig in den Vordergrund.

Mitten im Trümmerschutt versucht ein Bauschild, unsere Neugier zu stillen. Beginnt hier mit dem Abriss vielleicht so etwas wie der Neubau des Alexanderplatzes? Da steht auf der Tafel etwas vom „Entwicklungsquartier A 5 Am Alex“, und die TLG Immobilien verspricht: „Ihr neuer Standort!“. Unter der angezeigten Telefonnummer landen wir in dem schicken Bürogebäude schräg gegenüber.

In der Nummer 33 saß früher IHB, das war vor der Wende der Ingenieurhochbau, ein renommiertes Baukombinat, dessen Architekten und Ingenieure halb Ost-Berlin projektiert und bebaut hatten. Heute sitzt hier die Niederlassung Berlin/Brandenburg der TLG-Immobilien, ihr gehört das nun bald leer geräumte Baufeld, auf dem einst das SKET-Haus stand.

Zwei freundliche Herren empfangen uns. Frank J. Schimrigk, der Leiter der TLG-Entwicklungsabteilung, trägt eine große schwarze Projektmappe unter dem Arm, Marketingleiter Olaf Willuhn bietet uns eine Erfrischung an. Weshalb das Haus abgerissen wurde? Weil die Substanz so schlecht war, dass es nicht mehr vermietbar war. Man hätte es sanieren müssen, aber das wäre verhältnismäßig teuer und unrentabel geworden. Flexible Räume hätten man kaum gestalten können. Also entschied sich die TLG für den Abriss. „Wir haben also den Boden dafür bereitet, dass etwas Neues kommen kann“, sagt Frank Schimrigk und erwähnt zum Beispiel die „Unterwelt“ einer solchen Baustelle, also den Kellertrakt mit seinen zahllosen Leitungen und Rohren. Jetzt weiß man, woran man ist, wenn es losgehen kann mit einem neuen Projekt. „Wir haben das Bauplanungsrecht und wären in der Lage, relativ schnell ein Gebäude zu errichten, das der Umgebung angepasst werden kann“.

Die Umgebung ist, im weitesten Sinn, ein Platz, der nie zur Ruhe kommt und nicht sein darf, was er eigentlich sein möchte. Bei der Neugestaltung des Alex in den sechziger und siebziger Jahren fand man große Worte für das „sozialistische Stadtzentrum der Hauptstadt der DDR“und den belebtesten Ost-Berliner Verkehrsknotenpunkt. Ein Brockhaus-Stadtführer von 1966 schreibt: „Nachdem frühere Generationen vergeblich versucht haben, die Platzanlage zu verbessern, wird der Platz in den nächsten Jahren um das Doppelte vergrößert und völlig neu gestaltet. Bis 1970 ist der Alex Großbaustelle für den Straßen- und Hochbau. Der Fußgänger wird seinen Alex in der Platzmitte – einem zur Rathausstraße offenen Raum zwischen dem S-Bhf., dem neuen Zentralen Warenhaus und dem dreißiggeschossigen Hotelhochhaus – finden.“

So einen richtigen lauschigen Platz hat er allerdings nie gefunden. Der Wind fegte über die große freie Fläche, man war froh, im Centrum-Warenhaus oder in der Sparkassenfiliale im Alexanderhaus verschwinden zu können. Nur rund um die „Nuttenbrosche“, dem Brunnen von Walter Womacka, entfaltete sich ein wenig Leben. Nur einmal zeigte der Platz, wozu er auch gut sein konnte – als 500 000 Menschen am 4. November 1989 für Reise- und Meinungsfreiheit demonstrierten.

Heute erleben wir wieder einen Alex-Umbruch. Im Berolina-Hochhaus, wo viele Jahre der Rat des Stadtbezirks Mitte saß, wird es bald ein Kaufhaus geben. Der Platz erhält ein neues Gesicht aus Stein, auch aus etwas Grün. Der geliftete Galeria-Kaufhof und das neue Alexa-Einkaufs- und Freizeitzentrum mit 54 000 Quadratmetern Geschossfläche für 180 Läden und 17 Restaurants auf dem Gelände des früheren Weihnachtsmarktes sollen dazu beitragen, dass der Platz der beliebteste Einkaufsort des Ostens wird.

Frank J. Schimrigk macht aus seiner Sympathie für die geplante Hochhaus-Kette, die den Platz irgendwann einmal umstellen soll, kein Hehl. Er schwärmt vom Standort, der Frequenz (mehr als 300 000 Fußgänger täglich!), dem Verkehr auf seinen drei Ebenen! Geplant sind 1,3 Millionen Quadratmeter Bruttogeschossfläche, davon 350 000 für den Einzelhandel und 300 000 fürs Wohnen, 650 000 Quadratmeter sind für Büro-, Hotel- und Entertainmentflächen gedacht. Auf dem geduldigen Papier.

Und bei dieser Masse ist das Projekt auf der Karl-Liebknecht-Straße 32 nur ein Stein im Mosaik. Aber es hat den Vorteil, bereit zu sein für alles, was da kommt.

Der Entwicklungschef schlägt die schwarze Mappe auf und zeigt verschiedene Entwürfe für diesen zentralen Standort mit der Straßenbahn vor der Tür: Sie sehen schick aus, sind transparent, licht, haben acht Geschosse und 24 000 Quadratmeter Nutzfläche. Sie suchten auch international nach Kunden, sagen die TLG-Leute, das heißt, sie sind „im aktiven Prozess“. Sie bieten den Standort an, um nach den Wünschen künftiger Nutzer möglichst maßgeschneidert zu bauen.

Der Prozess könnte zwei, drei Jahre dauern. Berlin, sagen sie, spiele als interessanter, vor Ideen sprudelnder Ort bei der Anwerbung eine große Rolle: „Diese fantastische Stadt, in der so vieles möglich ist, wirkt wie ein Magnet.“

Im Oktober soll das alte Haus vollkommen beseitigt sein. Dann liegt da eine leere Fläche. Die wird zunächst einmal ein Parkplatz. Bis der Magnet auch hier wirkt. Und ein neues Haus aufersteht, mit der Nummer 32.

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