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Case Study #1: Das Gebäude basiert auf quadratischen Modulen, die gestapelt werden können.

© imago/Hoch Zwei Stock/Angerer

Serieller Wohnungsbau: Das Comeback der Plattenbauten

Immer mehr Unternehmen beschäftigen sich mit den Chancen des seriellen Bauens. Das System eignet sich laut Experten sowohl für die Schließung von Baulücken als auch für weniger dicht besiedelte Räume.

Im thüringischen Erfurt wird an der Zukunft des Wohnungsbaus getüftelt. „Bauen mit Weitblick“ heißt ein Projekt der Kommunalen Wohnungsgesellschaft (Kowo) Erfurt, das als Kandidat für die Internationale Bauausstellung (IBA) Thüringen nominiert ist. Leitbild des Forschungsvorhabens, heißt es bei den Verantwortlichen, sei „die industrielle Strategie“, individuelle Wohnformen „auf standardisierten Plattformen in Großserie zu fertigen, um Kosten- und Qualitätsvorteile zu erzielen“.

Wer dabei an die Plattenbauweise denkt, liegt nicht falsch. Denn vor dem Hintergrund der Forderung nach preisgünstigem Wohnungsbau gewinnt die Beschäftigung mit dem industriellen oder seriellen Bauen immer mehr an Bedeutung. Gemeint ist dabei eine Bauweise, die mit vorgefertigten Elementen arbeitet – also ganz ähnlich, wie es die DDR mit ihren Plattenbaukomplexen und die alte Bundesrepublik mit ihren Großwohnsiedlungen vorgemacht hat.

Nicht nur in Thüringen befassen sich Wohnungsunternehmen und Planer mit der neuen Form des Plattenbaus. Mit der „Industrialisierung des Bauens“ beschäftigt sich auch die von der Bundesregierung eingesetzte Baukostensenkungskommission, die aufzeigen soll, wie sich die Wirtschaftlichkeit des Wohnungsbaus steigern lässt. Und auch in Berlin ist das Thema angekommen: „In unseren Überlegungen spielt serielles Bauen eine wichtige Rolle“, sagt Stefanie Frensch, die Geschäftsführerin der Berliner Wohnungsbaugesellschaft Howoge, die in den kommenden drei Jahren 1500 Wohnungen vor allem in Berlin-Lichtenberg bauen will.

Dabei denkt Frensch beispielsweise an vorgefertigte Badzellen, aber auch an Sandwichpaneele für die Fassade, die im Werk gefertigt und dann auf der Baustelle innerhalb kurzer Zeit eingebaut werden können.

Das intelligente System spart Zeit

„Zum jetzigen Zeitpunkt bietet diese Bauweise einen Zeitvorteil, aber noch keinen Kostenvorteil“, räumt Frensch ein. Das aber könnte sich ändern: Die Verantwortlichen des Erfurter IBA-Projekts streben explizit „Lösungen für preiswerten Geschosswohnungsbau“ an. „Gerade die Schnittstellen der einzelnen Gewerke sind ein wesentlicher Kosten- und Zeittreiber“, erläutert Kowo-Pressesprecherin Cornelia K. Schönherr.

„Es gibt mehrere gute Gründe, die für einen intelligenten Systembau aus vorgefertigten Elementen sprechen“, sagt auch Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur. Die Bauweise habe nicht nur finanzielle und zeitliche Vorteile, sondern ermögliche es zudem, den gestiegenen technischen Anforderungen leichter gerecht zu werden.

Außerdem führt Nagel ein wirtschaftliches Argument an: Angesichts des Nebeneinanders von boomenden und darniederliegenden Wohnungsmärkten biete die Vorfertigung die Möglichkeit, handwerkliche Ressourcen in wirtschaftlich schwachen Regionen besser auszulasten – die Elemente müssen ja nicht vor Ort produziert werden. Bei alledem, so Nagel, dürften jetzt aber nicht wieder Großsiedlungen mit ihren gestalterischen und infrastrukturellen Defiziten entstehen.

Serielle Bauweise führt zu innovativen Lösungen

Doch passen ästhetische Qualität und industrielle Bauweise überhaupt zusammen? „Der Serienbau“, heißt es dazu in einer 2013 im Auftrag der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung veröffentlichten Studie, „wird historisch bedingt gemeinhin häufig mit mangelnder Flexibilität und gestalterischer Monotonie konnotiert.“ Das aber müsse nicht so sein, entgegnet Nagel. „Entscheidend ist, wie man das Gestaltungspotenzial der Vorfertigung nutzt.“

Zum Beleg dafür verweist er auf ein Beispiel aus dem Gewerbebau, nämlich den Tour Total, also das 2012 fertig gestellte Bürohochhaus nördlich des Berliner Hauptbahnhofs: Trotz hohen Vorfertigungsgrads sei die Fassade „sehr differenziert“.

Diese These unterstützt auch die erwähnte Berliner Studie mit dem Titel „Serieller Wohnungsbau. Standardisierung der Vielfalt“, die im Hinblick auf die (mittlerweile abgesagte) IBA Berlin 2020 erstellt wurde. Mehrere Beispiele aus dem In- und Ausland belegen nach Ansicht der Autoren, „dass Standardisierung im Wohnungsbau heute keineswegs mehr mit Einschränkungen bezüglich Nutzung oder Gestaltung verbunden sein muss“.

Im Gegenteil: Oft führe der Einsatz serieller Bauweisen oder Planungsmethoden erst zu innovativen Lösungen. Das sieht man in Erfurt ganz ähnlich: „Dem Ideenreichtum der Bauherren und ihrer Planer sollen trotz standardisierter Plattform möglichst wenig Grenzen gesetzt sein“, betont Kowo-Sprecherin Schönherr.

Fertighausbranche treibt die Entwicklung voran

Vorangetrieben wird die Entwicklung dabei von einem Marktsegment, das man auf den ersten Blick nicht mit dem Bau günstiger Mietwohnungen in Verbindung bringt: von der Fertighausbranche, die traditionell auf den Bau von Einfamilien- und Doppelhäusern aus vorgefertigten Holzelementen spezialisiert ist.

Seit einigen Jahren aber arbeiten mehrere Fertighausunternehmen an Projekten im mehrgeschossigen Wohnungsbau. So realisierte zum Beispiel Schwörerhaus im Rahmen der IBA Hamburg das Projekt Case Study #1. Dieses viergeschossige Gebäude mit sechs Wohnungen basiert auf quadratischen Modulen, die horizontal aneinandergereiht oder vertikal gestapelt werden können. Sie bestehen aus vorgefertigten Elementen wie Spannbetondecken, Holz-Verbund-Konstruktionen und Beton-Fertigteilwänden.

In diesen Wochen stellt Schwörerhaus ein weiteres Pilotprojekt in Baden-Württemberg fertig. „Genauso wie in Hamburg stellt auch Case Study #2 in Pfullingen eine zukunftsweisende Neuinterpretation des Fertighauses als kostengünstiges, flexibles Stadthaus dar“, sagt Geschäftsführer Johannes Schwörer.

Das System eignet sich nach seinen Worten sowohl für die Schließung von Baulücken als auch für weniger dicht besiedelte Räume. Aufmerksam verfolgt werden solche Ansätze von etablierten Wohnungsunternehmen: „Den Holzbau“, sagt jedenfalls Howoge-Chefin Frensch, „halte ich für einen sehr interessanten Ansatz.“

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