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Wie aus dem Bilderbuch: Hauseingang in der Gartenstadt Margarethenhöhe in Essen.

© imago/Priller&Maug

Stadtentwicklung: Eine Gartenstadt fürs 21. Jahrhundert

Ein Hamburger Büro hat Leitlinien fürs Wohnen im Grünen entwickelt. Sie hören sich alle gut an. Doch die Nagelprobe kommt bei der Umsetzung.

In einer Gartenstadt wohnen, wer möchte das nicht? Der Begriff allein weckt so viele Assoziationen, dass er gern genutzt wird, um Quartiere zu bewerben, die mit der Idee rein gar nichts zu tun haben. Das sagte der Stadtplaner Frank Schlegelmilch am Mittwoch beim Wohnzukunftstag in Berlin, einer Veranstaltung der Wohnungswirtschaft.

Was aber ist eine Gartenstadt und wie kann das Konzept ins 21. Jahrhundert geholt werden? Im Auftrag des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) arbeitet Schlegelmilch im Bremer Büro baumgart+partner an der Beantwortung dieser Fragen. Sie werden auch beim Bau von zwölf neuen Wohngebieten in Berlin eine Rolle spielen.

Ursprünglich wurde das Konzept der Gartenstadt vor über 100 Jahren von Ebenezer Howard in Großbritannien entwickelt, der ein Bewunderer der Öko-Utopisten Walt Whitman und Ralph Waldo Emerson war. Gartenstadt bedeutete für ihn viel mehr als nur wohnen im Grünen oder ein bisschen gärtnern. Grund und Boden sollten in Gemeinbesitz sein und die Bewohner ein Mitbestimmungsrecht bei der Planung haben. Vielfältige soziale und kulturelle Einrichtungen sollten fußläufig erreichbar, die Bebauung selbst relativ dicht sein.

Sir Ebenezer Howard (1850 - 1925), Gründer der Gartenstadtbewegung.
Sir Ebenezer Howard (1850 - 1925), Gründer der Gartenstadtbewegung.

© imago

Die später tatsächlich gebauten Gartenstädte wie die allererste im Letchworth, die erste deutsche in Dresden-Hellerau, Bruno Tauts Tuschkastensiedlung oder die Preußensiedlung in Berlin wichen von diesen Ideen meist ab.

Parallelen zur Gartenstadtbewegung des 20. Jahrhunderts

Trotzdem hat das Konzept auch heute noch große Strahlkraft. „Die aktuellen Herausforderungen der Stadtentwicklung in Ballungsräumen sind vielfältig und komplex und zunehmend mit dem Wunsch nach neuen Formen des städtischen Lebens verbunden, die Parallelen zur Gartenstadtbewegung des frühen 20. Jahrhunderts aufweisen“, schreibt das BBSR.

Folgende Thesen zur Gartenstadt des 21. Jahrhunderts stellte Frank Schlegelmilch vor. Sie

- ist durch gemeinschaftliche Organisations- und Finanzierungsmodelle geprägt

- ermöglicht Modelle der allgemeinen Mitwirkung und Teilhabe

- bewirkt eine Qualifizierung und Vernetzung vorhandener Siedlungs- und Freiraumstrukturen

- hält hohe bauliche Dichte und öffentliche Freiräume in einem angemessenen Verhältnis bereit

- bietet eine attraktive grüne Infrastruktur

- ist klimaangepasst und energieoptimiert

- bietet vielfältige bezahlbare Wohnangebote für verschiedene soziale Gruppen

- berücksichtigt neue Formen des Arbeitens sowie der Kreislaufwirtschaft

- verfügt über öffentliche und soziale Einrichtungen für Menschen unterschiedlichen Alters und Herkunft

- bietet ein vernetztes Mobilitätsangebot und mindert das Verkehrsaufkommen

Gegen diese wünschenswerten Eigenschaften dürfte niemand etwas haben. Aber: „Es kommt auf das Kleingedruckte an, sonst werden die Leitlinien scheitern“, sagte Theodor Winters von der Gesellschaft der behutsamen Stadterneuerung S.T.E.R.N in der anschließenden Diskussion.

Das Weiterwachsen der Stadt in der Stadt

Das erste Gartenstadt-Konzept von Ebenezer Howard aus dem Jahr 1902: Wohnstädte sind ringförmig um die Kernstadt angeordnet und mit ihr sternförmig durch Straßen, Eisenbahn und U-Bahn vernetzt sowie untereinander ringförmig verbunden.
Das erste Gartenstadt-Konzept von Ebenezer Howard aus dem Jahr 1902: Wohnstädte sind ringförmig um die Kernstadt angeordnet und mit ihr sternförmig durch Straßen, Eisenbahn und U-Bahn vernetzt sowie untereinander ringförmig verbunden.

© Abbildung: Wikimedia

Jochen Lang von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung konnte dem nur zustimmen. Für die neuen Wohngebiete Berlins hatte der Senat Ende 2015 eine Fachtagung einberufen, die ähnliche Leitlinien wie die von Schlegelmilch entwickelte. Keine neuen Vorstädte, sondern das Weiterwachsen der Stadt in der Stadt sei das Ziel, sagte Lang.

Er zeigte in seinem Vortrag, wie das Konzept der Gartenstadt in der Elisabeth-Aue im Norden Pankows umgesetzt werden soll. Es ist eins der zwölf ganz großen Standorte, die der Senat plant. Bis zu 12.000 Wohnungen sollen hier demnächst entstehen. Im Gegensatz zu den meisten Gartenstädten des 20. Jahrhunderts wird das Areal kein reines Wohngebiet sein, sondern geplant ist ein Wohnen und Arbeiten am selben Ort.

Was den Verkehr angeht, soll ein Radschnellweg die Elisabeth-Aue an die City anbinden. Die Tramlinien 50 und M1, die jetzt südöstlich und südwestlich des geplanten Wohngebiets enden, sollen verlängert werden und sich im Quartier treffen. „Die Straßenbahn ist das richtige Mittel“, merkte Mathias Metzmacher vom BBSR an. Sie sei geeignet auch für die Anbindung eines Wohngebietes mit vielen tausend Menschen, wie die Gartenstadt Margarethenhöhe in Essen zeige.

Gemeineigentum gehört in Berlin nicht wirklich zum Konzept

Was die Besitzverhältnisse angeht, nähert sich die Elisabeth-Aue dem Idealtypus allerdings kaum an: Die beiden städtischen Wohnungsbaugesellschaften Howoge und Gesobau haben für die Erschließung eine gemeinsame Gesellschaft gegründet, die die Hälfte der Flächen behalten wird. Die andere Hälfte soll an private Bauträger und Baugruppen verkauft werden. Sicherlich kann auch eine Genossenschaft darunter sein. Die Regel aber ist es nicht. Aus dem Erlös sollen die Kosten für die Erschließung gedeckt werden. Immerhin wird die Beteiligung der Anwohner im Rahmen eines Integrierten Städtebaulichen Entwicklungskonzepts organisiert.

Kritik an der Bebauung der heutigen Ackerfläche entzündet sich am Punkt Klimaanpassung. Gegner befürchten, dass das neue Quartier eine Kaltluftschneise in die Stadt verbaut. „Das Thema kommt in der Regel zu spät auf die Agenda“, räumte Frank Schlegelmilch ein. Rechtzeitig auf Klimaanpassung zu achten, scheint ein typischer Fall fürs Kleingedruckte zu sein.

Weitere Informationen: das Forschungsprojekt des BBSR zur Gartenstadt und Ergebnisse der Fachtagung „Gartenstadt des 21. Jahrhunderts“.

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