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Immobilien: Und der Denkmalpfleger hat seine Freude daran

In Leipzig setzte sich die Sonder-Afa-Konjunktur selbst ein Denkmal: Leere Geschäftshäuser aus drei JahrhundertenVON RALF SCHÖNBALL Als Kaiser und Könige noch das Land regierten, da war keine Säulenordnung gewaltig, kein Fassadenschmuck prachtvoll genug, um ihrer Herrschaft den angemessenen Ausdruck zu verleihen.Als das Bürgertum im 19.

In Leipzig setzte sich die Sonder-Afa-Konjunktur selbst ein Denkmal: Leere Geschäftshäuser aus drei JahrhundertenVON RALF SCHÖNBALL Als Kaiser und Könige noch das Land regierten, da war keine Säulenordnung gewaltig, kein Fassadenschmuck prachtvoll genug, um ihrer Herrschaft den angemessenen Ausdruck zu verleihen.Als das Bürgertum im 19.Jahrhundert seinen ökonomischen Siegeszug feierte, waren Industrielle und konstitutionelle Monarchen weniger einfallsreich: Sie usurpierten Ornamente und Bauordnungen der Aristokratie und feierten mit ihnen einen bunten Karneval der Formen.Barock, Klassizismus, Renaissance, alles war erlaubt, die vielen Stile wurden neu kombiniert, und ein jeder hat in der Bauhistorie des Neunzehnten seither seinen Platz gefunden, mit dem kleinen Präfix "neo-" versehen.Dafür ist das "Neue Rathaus" in Leipzig ein Beispiel - doch mehr als das.Von Grund auf saniert, beschwört es den Siegeszug einer sächsischen Handelsmetropole von gestern, in der sich heute die Jahre der umstrittenen Sonder-Afa-Politik Denkmäler setzt - gewaltige und unvermietbare Bürohäuser. "Da haben sie investiert bis zur Verzweiflung", sagt die Fahrerin lacht und stoppt die Taxe vor dem neuen Rathaus.Mehrere Jahre dauerte die Sanierung des für viele Denkmalschützer bedeutendsten Großstadtrathauses des Kaiserreichs.Zu jener Zeit stand die sächsische Metropole in ihrer Blüte.Pelze wurde umgeschlagen, Kolonialwaren gehandelt, und die Messe florierte derart, daß sie vor die Tore der historischen Stadt ziehen mußte.Auch die Industrie wuchs.Die langen, gelben Ziegelschlote stehen heute noch am Rand verlassener Produktionshallen im "Gewerbegebiet Leipzig-Nordost".Sie stoßen aber nicht mehr die schwarzen Wolken in den Himmel, jene Rauchgase und Schwefelsäuren, die den Regen sauer machen und den Muschelkalk an den Fassaden sowie die Bleche auf dem Dach des Neuen Rathauses zerfraßen. "Wir sind überm Berg mit der Sanierung des Rathauses", sagt Stadtkonservator Jens Müller.Daß so viele Jahre vergingen, lag an der Zuweisung der Mittel: Jedes Jahr kam ein kleiner Betrag aus dem Landessäckle.Damit geübt, waltet der Referatsleiter für Denkmalschutz auch in anderem pragmatisch seines Amtes: Ja, mächtig Wirbel und manchen Protest gebe es, seitdem nur noch die Fassaden des völlig entkernten Zentralmessepalastes stehen, doch ohne derartige Eingriffe "kriegt man da keinen Nutzer hinein", sagt Müller.Beim einstigen Eigentum des Immobilienpleitiers Jürgen Schneider verhindern schwere schwarze Träger aus Stahl, daß die Fassaden in sich zusammenstürzen.Den Schaden abgewendet haben die Banken, aus Angst vor Imageschäden: "Zähneknirschend bauen sie die Schneider-Objekte zu Ende", sagt Engelbert Lütke Daldrup, einst Mann an Hans Stimmanns Seite und heute Beigeordneter für Planung und Bau in Leipzig.Wenn moderne Stahlträger, eine Bodenplatte gelegt, und neue Decken die alten Fassaden zusammenhalten, dann werde ein Kaufhauskonzern einziehen - weiß man in den Ämtern. Der Messepalast ist kein Einzelfall.Damit die "Pelzhäuser" der Gründerzeit oder die neobarocken Geschäftshäuser spätkapitalistische Projektentwickler finden, müssen Licht und Sonne in Innenräume dringen, die nicht mit Trägern aus Stahlbeton vollgestellt und bis zu neun Meter tief sein dürfen."Aber die Weichen", sagt Stadtkonservator Müller, "wurden mit den Geschäftshäusern um 1910 richtig gestellt": Manufakturen in den Durchgängen, Geschäftsräume in den unteren Geschossen und Wohnungen darüber.Auch heute noch müssen Wohnungen mindestens ein Viertel der Gesamtfläche von neu gebauten oder sanierten Häusern belegen, so will es das Gesetz.Manufakturen braucht es aber nicht mehr, dafür wollen die Handelsketten aber helle große Läden.Hier also, bei der Gestaltung der Innenräume, müssen die Denkmalpfleger die Anforderungen der neuen über die Konservierung der alten Zeit stellen.Und sie sind auch kompromißbereit, weil "die Häuser sonst ganz verloren gingen".Kapitalistischer Realismus: Die Staatskassen sind leer und per Gesetz dürfen höchstens 25 Prozent der für Pflege und Erhaltung von Baudenkmälern zusätzlich anfallenden Baukosten auf Investoren umgelegt werden. Mit dem Ergebnis dieser Politik, zeigt sich das Leipziger Bauamt zufrieden: In den vergangenen sieben Jahren sei ein Drittel der über 110 000 Wohnungen in der Innenstadt instand gesetzt worden.Und bei Lückenschließungen wurden Fehler wie im Berlin der Stimman-Ähra vermieden: Neubauten greifen mit modernen Mitteln historische Gestaltungsprinzipien auf.Die Deutsche Bank hinter dem Neuen Rathaus fügt dem neobarocken Eckturm einen modernistischen hinzu.Auch bei Lückenschließungen in der Innenstadt werden Türme, Erker und Kapitelle mit modernen Mitteln zitiert - hier gekonnt, dort nicht.Vom ganz großen Elan dieser steuerbegünstigten Gründerzeit aber kündet die kunstvolle Fassade im Jugendstil der Commerzbank: Zwischen Sandstein, Metalleinsätzen und Granitsockel glänzen plastisch ausgearbeitete Fassadenornamente wie reines Gold. Von diesem aufpolierten Glanz der Gründerzeit träumten die Projektentwickler allerdings nur kurze Zeit - zumindest, wenn sie ihre Häuser nicht für eigene Zwecke bauten: Knapp 33 Prozent aller Büros stehen leer, das sind 680 000 Quadratmeter.Im nächsten Jahr kommen 200 000 Quadratmeter hinzu.Vermietet wurden letztes Jahr aber nur 95 000 Quadratmeter, auch davon höchstens 10 Prozent an neue, nach Leipzig zugezogene Unternehmen.Wer angesichts des üppigen Angebots die voluminösen Großbauten im Graphischen Viertel mieten soll, weiß niemand: Hier entstanden über 50 000 Quadratmeter Büro rund um einen Platz, dem gleich zwei der neuen Blöcke den klangvollen Namen entlehnten: verniedlichend wie beim "Friedrich-List-Haus" oder schwungvoll wie beim "Friedrich-List-Bogen".Mit seinem Namen und seinem Volumen dem Umfeld eher gerecht, wird der benachbarte "Industriepalast".Auch dieses ehemalige Produktionsgebäude ist saniert und harrt seiner Mieter.Es säumt die Althner Straße, an dem die Pendler die allabendliche Blechlawinen erzeugen, auf ihrem Weg aus der Metropole.Wer dagegen stadteinwärts läuft, kommt an verlassenen Lagerhallen mit zerschlagenen Fenstern vorbei, läßt Baulücken und Brachen sowie das bunt bemalte "Tanszcafé Kutsche" links liegen - ein typisches Bild im stadtabgewandten, gleisseitigen Rücken von Hauptbahnhöfen. Von der Stirnseite des Leipziger Kopfbahnhofs dagegen prangen die Superlative von den Transparenten: Mit 58 000 Quadratmetern ist er der größte Europas - und soll nun auch der profitabelste werden.Über 100 Geschäfte und 1300 Parkplätze entstehen nach den Plänen von Shopping-Center-Spezialist ECE und Deutsche-Bank-Tochter DIA."Die Läden sind zu 80 Prozent vermietet und bis zur Eröffnung im Herbst werden alle Flächen vergeben sein", sagt Roland Liederbach, Niederlassungsleiter von Jones Lang Wootton.Das Geld für den Umbau sammelte die Bahn bei Kapitalanlegern in der ganzen Republik ein.Die Anteile am "Fonds" wurden den Entwicklern aus den Händen gerissen.Büros gibt es hier nur für die Bahn AG, und die Einkaufsmöglichkeiten in der kleinflächigen Leipziger Innenstadt sind begrenzt."Filialisten finden hier kaum geeignete Flächen", sagt Liederbach.Das erkläre die geradezu spektakuläre Vermietung des "Kaufhauses mit Gleisanschluß". So erfolgreich die DIA hier ist, so mächtig dürfte sie sich gegenüber des Bahnhofs verrechnet haben: Dort baut sie gleich fünf Bürohäuser mit mehreren zehntausend Quadratmetern, zwei Hotels und einem Wohngebäude."Deutsche Interhotel" steht noch auf dem Bauschild, das etwas verborgen an den Baucontainern haftet.Ob die Immobilientochter der Deutschen Bank auch hier eine Altlast zu bewältigen hat? - Die Interhotels der Ex-DDR waren im Paket von der Berliner Trigon-Gruppe erworben worden, die bald darauf in Schräglage geriet.Inzwischen wird jedes Manöver der Gruppe von Deutschbänkern eingeleitet, wissen Branchenkenner.Durch strengen Sparkurs, Großverkäufe von Immobilieneigentum in der Berliner City West und die Verdingung als reiner Bauleister wird ein "Entschuldungsprogramm" für Verbindlichkeiten in Milliardenhöhe abgewickelt - das ist die Politik von Kredithäusern für konkursgefährdete Großschuldner im Jahr zwei nach Schneider.Wie lange sie in einer Stadt durchzuhalten ist, der die Beobachter des Baugeschehens zweistellige Leerstandsraten für die nächsten zehn Jahre prognostizieren, bleibt ungewiß.

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