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Das Waste House steht seit dem 10. Juni auf dem Campus der Universität von Brighton – natürlich in Reichweite der Fakultät für Kunst und Design. Die Bauzeit betrug ein Jahr.

© BBM Architects

Upcycling in Großbritannien: Verfallsdatum unbekannt

Nachhaltig bis unter die Dachkante – in Großbritannien entstehen neue Häuser aus Gebrauchtem.

Auf dem Campus der Universität Brighton baute Architekt Duncan Baker-Brown zusammen mit Studenten und Auszubildenden ein Haus, das fast ausschließlich aus weggeworfenen Dingen besteht. Auf dem Hof der Kunst-Fakultät der Universität Brighton plätschert auf einem sonnigen Innenhof ein Springbrunnen. Studenten sitzen auf dem grünen Rasen und trinken Kaffee. Folgt man einem Schotterweg, steht ein wenig abseits ein zweistöckiges Haus, das mit seinem Satteldach an ein typisches Wohnhaus erinnert. Es ist mit schwarzen „Ziegeln“ verkleidet. Bei näherem Hinsehen entpuppen sie sich als Rückseiten von Teppichbodenresten, die in Rechtecke zugeschnitten wurden und überlappend die Fassade schützen.

Wie seine äußere Hülle, besteht fast das gesamte Haus aus Dingen, die Menschen weggeworfen haben oder die auf Baustellen im Müllcontainer gelandet wären. Duncan Baker-Brown betreut als Architekt und Dozent der Universität von Brighton das Projekt. Am 10. Juni wurde es nach zwölf Monaten Bauzeit fertig und trägt seit einem Bericht des „Guardian“ den Namen Waste House, also Abfall- Haus. In England ist es das erste Gebäude, das fast nur aus Müll besteht, europaweit gibt es nur in Rotterdam ein ähnliches Projekt.

„Wir kamen auf die Idee, weil die Universität mehr Raum benötigte, zum Unterrichten und für studentische Projekte“, sagt Duncan Baker-Brown. Er hat mit seinem Büro BBM Sustainable Design bereits Erfahrungen mit nachhaltigen Bauten und entwarf beispielsweise ein Fertighaus aus organischen Materialien.

Ein professioneller Bauunternehmer, die Firma Mears, unterstützte das Projekt, führte die Bauaufsicht, sorgte für die Sicherheit und koordinierte die Arbeiten. Keine einfache Aufgabe, denn mal halfen zwei bis drei Auszubildende beim Bau mit, mal war es eine ganze Schulklasse. Das benachbarte City College Brighton and Hove beteiligte sich ebenfalls. Es bildet Handwerker wie Tischler oder Klempner aus. Sie übernahmen viele der anfallenden handwerklichen Arbeiten und arbeiteten eng mit Architekturstudenten zusammen.

Viele der benötigten Materialien bekam Duncan Baker-Brown über das Freecycle-Portal Freegle. Es hat 1,8 Millionen Mitglieder in Großbritannien und bringt auf seiner Internet-Plattform Menschen zusammen, die etwas loswerden wollen, und solche, die damit noch etwas anfangen können. „Die Leute von Freegle haben uns erklärt, welche Dinge den Müllmarkt überschwemmen. Das ist vor allem Plastik, zum Beispiel Trinkflaschen von Haushalten oder aus der Industrie“, sagt Duncan Baker-Brown. Das meiste landet auf Müllhalden oder im Meer.

Deshalb entschied er sich, die Wände als Holzboxen mit kleinen Fenstern zu gestalten und als Isolation Dinge zu benutzen, die andere wegwerfen, darunter 20 000 Zahnbürsten vom Flughafen Gatwick, die Passagiere der ersten Klasse nur einmal oder gar nicht benutzt haben, zwei Tonnen Jeansstoff, 4000 DVD-Boxen, ebenso viele VHS-Videokassetten, Disketten sowie 200 Rollen unbenutzter Tapete.

Der Müll wurde nicht etwa wie bei anderen Recyclingprojekten verarbeitet, sondern befindet sich als Ganzes als Isolationsmaterial in den Wänden. Durch kleine Fenster können die Besucher dies anschauen. Sensoren überwachen mögliche chemischen Reaktionen der Materialien wie zum Beispiel Wärmeentwicklung. Darüber hinaus sind die Wände mit früheren Werbebannern isoliert und mit Farben der Firma Newlife Paints gestrichen. Sie sammelt Farbreste in Haushalten ein und verarbeitet sie zu neuen Anstrichen.

20 Prozent der Materialien landen unbenutzt auf dem Müll

Auf den ersten Blick sieht man dem Haus das Baumaterial nicht an.
Auf den ersten Blick sieht man dem Haus das Baumaterial nicht an.

© BBM Architects

Auch Baumaterialien bekam Duncan Baker-Brown aus zweiter Hand. „Für fünf Häuser, die in Großbritannien gebaut werden, könnte man ein neues bauen, denn 20 Prozent der Materialien landen benutzt oder unbenutzt auf dem Müll“.

Ausnahmen bilden die dreifach verglasten Fenster und die Glastür, durch die man das Waste House betritt. Denn das Haus produziert die benötigte Energie durch Fotovoltaik-Anlagen auf dem Dach. Eine gute Isolierung war daher essentiell. Über eine Treppe aus gepresstem Altpapier gelangt man in den ersten Stock. Etwa 500 Fahrradschläuche dämmen die Fenster. Eine runde Bank, entworfen von Studenten des Masterstudiengangs Sustainable Design, ruht auf Füßen aus 800 eingeschmolzenen Plastiktüten. Ein anderer Student hat aus einem alten Klavier, das er für fünf Pfund bei Ebay ersteigert hat, einen Stuhl mit Saiten getischlert. An der Wand hängt ein Fahrrad mit einem Rahmen aus Holz. Das Material dafür fand der Nachwuchsdesigner am Strand.

Insgesamt waren etwa 300 Studenten in den Bauprozess involviert. Rund 700 Schulkinder besuchten bislang das Waste House. Zum Teil halfen sie auch, das benötigte Material zu sammeln. „Das Haus schafft ein Bewusstsein dafür, wo Dinge herkommen und wo sie hingehen“, sagt Duncan Baker- Brown. „Abfall ist nichts als richtige Sachen am falschen Ort.“

Auch wenn das Haus alle Sicherheitsstandards und Bauvorschriften für öffentliche Gebäude erfüllt, ist es vor allem ein Ort für Experimente: Die äußere Verkleidung aus Teppichfliesen wird vielleicht nicht für immer halten. Auch die Inhalte der Holzboxen müssen möglicherweise irgendwann ausgetauscht werden und die Arbeitsplatte aus Kaffeebechern hat auch schon erste Kratzer. „Aber dann lassen wir uns eben etwas Neues einfallen“, sagt er Architekt.

Auch wenn viele Materialien für den Hausbau gar nichts oder wenig gekostet haben und viel Arbeit von Studenten und Freiwilligen erledigt wurde, war das Waste House mit einem Preis von rund 300 000 Euro nicht viel billiger als ein herkömmlicher Neubau mit einer Fläche von 85 Quadratmetern. „Viele Arbeitsstunden haben wir damit verbracht, nach passenden Materialien zu suchen“, sagt Duncan Baker-Brown. So war er im verregneten Sommer 2012 vergeblich auf der Suche nach gebrauchtem Sperrholz für sein Projekt. Doch auf den Baustellen gab es nur aufgeweichte Holzreste.

Seine Vision für die Zukunft sind so genannte RIY-Center, eine analoge Version zu Freegle. Angelehnt an die Abkürzung für Do it Yourself gäbe es dort Materialien, die sonst auf dem Müll landen würden. Aus scheinbar Nutzlosem eine neue Verwertbarkeit schaffen. So könnte man sein Projekt aus den verfügbaren Materialien gestalten und nicht umgekehrt.

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